Grüner Spitzenkandidat in Niedersachsen: Wenzel, der alles hinterfragt
Mit seinem Pragmatismus eckt Stefan Wenzel bei der linken Grünen-Basis immer wieder an. Wegen seines Aufklärungswillens ist er trotzdem unangefochten.
HANNOVER taz | Der „echte Oppositionsführer“. Dieser Ruf eilt Stefan Wenzel, seit 2004 Fraktionschef der Grünen in Niedersachsens Landtag, voraus. Sollte es bei der Landtagswahl am 20. Januar für Rot-Grün reichen, ist fest damit zu rechnen, dass Wenzel von der Oppositionsbank an den Kabinettstisch wechseln wird. Der 50-Jährige will Umweltminister werden.
Und er hat alle Berechtigung, Ansprüche beim potenziellen Partner SPD anzumelden. Kommt es zur Koalition, so wird das vor allem an der Stärke der Grünen liegen, für die Wenzel mit Landeschefin Anja Piel als Spitzenduo antritt: Bei 13 Prozent liegen sie derzeit in Umfragen.
Dabei ist es fast schon Ironie, dass der Diplom-Agrarökonom jetzt ausgerechnet für Rot-Grün kämpft: Er gilt seit jeher als Mann für ein Bündnis mit der CDU. Wenzel erklärt das mit seinen Anfängen als Kommunalpolitiker in Göttingen. Zu oft habe er erlebt, wie die „SPD uns vor vollendete Tatsachen gestellt, Personalentscheidungen nur nach Parteibuch gefällt hat“, sagt er. Mittlerweile aber erklärt der Synodale der evangelischen Kirche, man stehe der CDU jetzt „nicht als Steigbügelhalter zur Verfügung“. Geschuldet ist das vor allem der linken Parteibasis.
Alte Regierung: Seit Juli 2010 ist David McAllister (CDU) Ministerpräsident. Er übernahm das Amt von Christian Wulff, der damals als Bundespräsident nach Berlin wechselte. Die CDU kommt zusammen mit ihrem Koalitionspartner FDP auf 81 Sitze im Landtag. Die Opposition aus SPD, Grünen und Linkspartei hat nur 71 Mandate.
Prognose: Bei der Wahl am 20. Januar zeichnet sich eine Mehrheit für Rot-Grün ab. Laut einer Anfang Januar vom NDR veröffentlichten Umfrage verbessert sich die SPD auf 34 (plus 3), die Grünen auf 13 Prozent (plus 5). Die CDU käme nur noch auf 40 Prozent (minus 2). Wahlentscheidend dürfte sein, ob - wie prognostiziert - sowohl die FDP als auch Linkspartei und Piraten an der 5-Prozent-Hürde scheitern. Die Linke lag auch 2008 in Umfragen kurz vor der Wahl bei 3 Prozent, holte am Ende aber 7,1 Prozent.
Bei der eckt Wenzel immer wieder an, auch mit seinem Pragmatismus. Bei der Suche nach einem Atommüllendlager etwa plädierte er früh dafür, Gorleben nicht vorab auszuschließen, sondern die Suchkriterien so zu fassen, dass der Salzstock in Niedersachsen ausscheidet. Es brauchte Monate, bis sich die Partei dem anschloss.
Unangefochten ist Wenzel bei den Grünen, für die er seit 1998 im Landtag sitzt, vor allem wegen seinem absoluten Aufklärungswillen. Die Aufarbeitung um das marode Atommülllager Asse etwa trieb er hartnäckig voran, in der Affäre um Ex-Bundespräsident Christian Wulff (CDU) piesackte er die Landesregierung mit schier endlosen Fragen zum einstigen Ministerpräsidenten. Das hat ihn bundesweit bekannt gemacht – und zum Intimfeind der Niedersachsen-CDU.
„Provokateur ohne Maß und Moral“
Dabei hatte Ministerpräsident David McAllister die Grünen einst als „Premium-Opposition“ umworben. Das ist endgültig vorbei, seit Wenzel dann auch noch forderte, Ex-Landesvater Ernst Albrecht vor den Gorleben-Untersuchungsausschuss zu laden. Der ist zwar dement. Aber immerhin löse er noch Sudokus, argumentierte Wenzel. Die CDU nahm das als Beleg für seinen Charakterwandel zum Provokateur ohne Maß und Moral. Wenzel selbst bezeichnet seinen Vorstoß inzwischen als „Fehler“.
Grundsätzlich aber wolle er sich „mit denen auseinandersetzen, die ein politisches Amt inne haben und nicht mit denen, die im Namen eines Dienstherrn handeln“. Die Autorität eines Amtes schreckt ihn nicht, sei es das des Bundespräsidenten oder eines CDU-Heiligtums. Er pocht auf Unabhängigkeit. In der Politik müsse „der mit den besten Argumenten gewinnen und nicht der, der Unternehmer, Spender und Sponsoren am skrupellosesten für sich einspannt“.
Keine „Koch-Kellner-Situation“
Um Unabhängigkeit geht es Wenzel auch im Privaten. Vor der Politik war er an einem Genossenschaftsprojekt in Südamerika beteiligt, später Selbstversorger. Heute lebt er mit seiner Familie in einem Wohnprojekt mit eigenem Blockheizkraftwerk.
Und bei der Landtagswahl will er jetzt ein Ergebnis, das die Grünen unabhängig macht. „Wir gleichen aus, was der SPD fehlt“, gibt er vor. Zu einer „Koch-Kellner-Situation“ werde es erst gar nicht kommen.
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