Grüner Landrat in Bayern: Weil er kein Gschleckter ist
Erst der Landkreis, dann die Partei: Wolfgang Rzehak hat als Grüner in einer stockkonservativen bayerischen Region großen Erfolg.
Mit einem Bus vom Bund Naturschutz sind sie hergekommen, um zu demonstrieren. Aber jetzt fühlen sie sich etwas fehl am Platze und begnügen sich mit der Zuschauerrolle. „Die Polizei war sehr aggressiv“, erinnert sich Beppo später, „aber es waren auch echte Chaoten dabei.“ Es ist eine kleine Szene, aber sie ist bezeichnend für den Beppo, den Grünen, der in einem Gespräch gleich dreimal betont: „Ich bin kein Linker.“
Der Beppo heißt gar nicht Beppo. Aber der Spitzname, den ihm ein Spezl auf dem Spielplatz verpasst hat, ist geblieben. Richtig heißt der Mann Wolfgang Rzehak und ist mittlerweile Landrat im Landkreis Miesbach: Ein Grüner im schwarzen Kernland. Im Stimmkreis von Ilse Aigner, die 2013 bei der letzten Landtagswahl 57 Prozent der Stimmen holte. Wenige Monate später feierte Rzehak – sprich: Schehak – seinen Triumph: 53 Prozent bekam er in der Stichwahl. Noch nie hatten die Grünen im Alleingang ein bayerisches Landratsamt erobert.
Dass die CSU in Miesbach schon im ersten Wahlgang mit nur 15,83 Prozent der Stimmen rausflog, lag nicht an Rzehak, dem netten Kassierer vom Eishockeyverein, Vater zweier Kindern und Freund von AC/DC und den Simpsons. Zu verantworten hatte das Wahlergebnis der damals amtierende Landrat Jakob Kreidl. Der hatte sich und seine Partei durch eine Anhäufung von Skandalen ins Aus manövriert: eine abgeschriebene Doktorarbeit, ein privater Schwarzbau und eine prunkvolle von der Sparkasse gesponserte Geburtstagsfeier – das war selbst für die CSU zu viel.
Bayern = CSU?
Jetzt also ein Grüner. Geht denn das? Ja. Wenn man wie der 49-Jährige einer aus dem Volk ist, seinen Trachtenjanker aus Überzeugung und nicht aus Anbiederung trägt und sich auf Volksfesten wohlfühlt. Rzehak, der bis zu seiner Wahl Verwaltungsbeamter am Kreisverwaltungsreferat in München war, sitzt am Besprechungstisch seines Büros. Ein stinknormales Behördenbüro, nichts da von der angeblich prunkvollen Ausstattung des Vorgängers.
Aus der Sicht von Wohnungssuchenden ist der Landkreis Miesbach der fünftteuerste in ganz Deutschland. Aus der Sicht von Kommunalpolitikern ist es der mit der größten Pro-Kopf-Verschuldung in Bayern. Außerdem hat er den höchsten Anteil von Biobauern in ganz Deutschland, fast 30 Prozent. Im Norden stößt er an den Landkreis München, im Süden geht es schon gleich nach Tirol. Knapp 100.000 Menschen wohnen hier in der Postkartenidylle zwischen Wendelstein, Schliersee und Mangfalltal. Rund um den Tegernsee – im Volksmund: Lago di Bonzo – haben Uli Hoeness, Thomas Enders und Hubert Burda ihre Villen gepflanzt, auch der eine oder andere russische Oligarch. Was man hierzulande besonders schätzt, ist Ruhe. Die ist nun nach dem Wirbel um Kreidl wieder eingekehrt. „Wir haben den Neuanfang geschafft“, sagt Rzehak: „Ohne dass die Grüne Republik ausgerufen worden wäre.“
Rzehaks Erfolg zeigt, dass die von der CSU so erfolgreich propagierte Gleichung Bayern gleich CSU doch nicht immer aufgehen muss. „Erst kommt der Landkreis, dann die Partei“, sagt Rzehak. Aber auch vor der hat man hier längst keine Angst mehr. „Wir sind doch die bürgerlichste Partei von allen.“ Rzehak ist ein bekennender Fan von Winfried Kretschmann, dem Mann, den CSU-Wadenbeißer Andreas Scheuer jüngst schon zum Gastmitglied seiner Partei machen wollte.
„A bisserl Grün schadet ja a net“, sagt auch Birgit Thielke, die Personalrätin des Landratsamts, zuständig für die Nöte ihrer 416 Kollegen. Sie erinnert sich noch gut an die Belastung in der Endphase der Kreidl-Ära. „Da wurden Mitarbeiter beschimpft“, erzählt sie. Mit dem Neuen ist sie zufrieden, er sei volksnah und „kein Gschleckter. Eigentlich kein Politiker.“
Rzehak möchte noch ein wenig länger verwalten
Rzehak, fünftes Kind einer sudetendeutschen Flüchtlingsfamilie, ist 1986 direkt nach Tschernobyl bei den Grünen eingetreten. Natürlich weiß er, dass nicht alle Grünen wie Kretschmann ticken. In Kreuzberg würde man ihn vermutlich aus der Partei ausschließen, sagt Rzehak. Und schimpft noch schnell auf den moralischen Impetus mancher Veganer und das Flüchtlingschaos in Berlin: „So was wie das Lageso tät’s hier in Bayern nicht geben. Selber nix auf die Reihe kriegen, aber auf die Seppl da unten in Bayern schimpfen.“ Hätte so mancher CSU-Bürgermeister aus dem Landkreis nicht besser sagen können.
Ein solcher Bürgermeister ist Josef Lechner. Er regiert in der Gemeinde Fischbachau, wo der Biokräuter-Mischer Herbaria seinen Sitz hat. Unterhält man sich mit ihm, kommt man sehr schnell auf Themen wie E-Mobilität, Ökomodellregion und 30-Minuten-Takt der Bayerischen Oberlandbahn. Inhaltlich gibt es kaum Diskrepanzen zu Rzehak. Auch atmosphärisch scheint alles zu stimmen. „Der Wolfgang ist ein netter, freundlicher Kerl. Die Zusammenarbeit ist sehr konstruktiv.“ Wofür Lechner den Landrat kritisiert, ist etwas anderes: „Er verwaltet den Landkreis. Vom führenden Kopf im Landkreis erwarte ich mehr strategisches Denken und Handeln.“
Rzehak kennt diese Kritik, hat sie schon oft zu hören bekommen. Seine Antwort darauf: Hätte mein Vorgänger mal etwas mehr verwaltet und weniger gestaltet, hätten wir viele unserer jetzigen Probleme nicht.
Rzehak jedenfalls möchte noch ein wenig länger verwalten. „Landrat ist das schönste Amt, das es gibt“, sagt er. Er würde das gern bis zur Altersgrenze bleiben. Das sind insgesamt 24 Jahre – vorausgesetzt, die Wähler machen mit.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren