Grünen-Politikerin über Geburtshilfe: „Ein Recht auf Begleitung“
Die Geburtshilfe werde von der Gesundheitspoltik vernachlässigt, sagt Kirsten Kappert-Gonther. Vor allem müsste mehr für Hebammen getan werden.
taz: Frau Kappert-Gonther, die Situation für Hebammen war schon vor der Krise schlecht. Hat sich diese Situation unter Corona verschärft?
Kirsten Kappert-Gonther: Tatsächlich sehen wir die bestehenden Probleme in der Geburtshilfe jetzt durch Corona wie im Scheinwerferlicht. Geburtshilfe wird nicht mitgedacht als relevanter Bereich des gesellschaftlichen Lebens. Freiberufliche Hebammen sind bis jetzt nicht unter den Rettungsschirm des Bundesgesundheitsministeriums aufgenommen worden. Sie haben auch keinen systematischen Zugang zu Schutzkleidung. Das ist vor allem für freiberufliche Hebammen bei der Vorsorge, bei Hausgeburten und bei Wochenbettbesuchen ein großes Problem. Ein weiteres Thema ist, dass in manchen Kliniken Gebärende ihre Partner*innen nicht mitbringen dürfen.
Was müsste die Politik jetzt tun um die Lage zu entschärfen?
Hebammen müssen Zugang zu Schutzkleidung bekommen, um Schwangere und Mütter gut betreuen zu können. Mittlerweile ist die Abrechnung der Telefonbetreuung immerhin möglich, es muss aber sichergestellt werden, dass die Hebamme die Frauen und Babys, wenn nötig, besuchen kann. Die Ausweitung des Schutzschirms, der die durch Corona entstehenden Mindereinnahmen im Gesundheitswesen refinanziert, ist für Hebammen dringend nötig. Das wird sonst existenzbedrohend, weil die Honorare ohnehin niedrig sind und es kaum Rücklagen gibt. Für die Gebärenden muss sichergestellt werden, dass es keinen generellen Ausschluss von Begleitpersonen gibt.
ist Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie und seit 2017 Bundestagsabgeordnete für Bündnis 90/Die Grünen. In der Bundestagsfraktion ist die Bremerin Sprecherin für Gesundheitsförderung.
Gibt es Anzeichen dafür, dass Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) die nötigen Schritte einleiten wird?
Beim letzten Gesundheitsausschuss habe ich genau diese Punkte angesprochen, der Minister sicherte zu, er werde diese Themen „mitnehmen“. Der Rettungsschirm wird in Kürze noch einmal per Gesetz ausgeweitet. Wir Grüne werden einen Antrag einbringen, unter anderem für eine Ausweitung auf die Hebammen. Da braucht es unbedingt politischen und öffentlichen Druck.
Macht die Opposition genug Druck oder sind alle Abgeordneten eher im Krisenmodus und weniger kritisch?
Der Welttag der Hebammen findet jährlich am 5. Mai statt und soll auf die Situation und die Bedeutung der Arbeit von Hebammen hinweisen. Rund 24.000 Hebammen gibt es in Deutschland, rund eine dreiviertel Million Geburten werden sie dieses Jahr voraussichtlich betreuen. 2015 gaben Klinikhebammen in einer Studie an, oft drei oder mehr Frauen unter der Geburt parallel betreuen zu müssen. Corona erhöht nun die Arbeitsbelastung der Hebammen in vielen Fällen deutlich. (pat)
In der ersten Beratung im Bundestag unter Coronabedingungen war es sinnvoll, dass alle demokratischen Abgeordneten zusammengestanden haben. Bereits zum ersten Bevölkerungsschutzgesetz konnten wir wichtige Änderungen durchsetzen. Wir weisen laut auf Leerstellen hin. Ich mache für die Geburtshilfe und die Schwangeren Druck und bin damit durchaus nicht alleine. Dieser Druck ist nicht nur jetzt, sondern generell für die Verbesserung der Geburtshilfe notwendig.
Sie haben schon angesprochen, dass Begleitpersonen teilweise der Zutritt zum Kreißsaal verwehrt wird. Ist es nicht unter Präventionsgesichtspunkten sinnvoll zu vermeiden, dass Menschen, die nicht im Krankenhaus sein müssen, eventuell Viren verbreiten?
Das ist eine Frage der Verhältnismäßigkeit. Eine Begleitperson kann Schutzkleidung tragen. Eine Geburt ist eine zentrale, besondere Erfahrung für die Mutter und wichtig für die Bindung von Mutter und Kind, aber auch von Vater oder Co-Mutter und Kind. Wenn Gebärende nicht gut begleitet sind und sich alleingelassen oder verunsichert fühlen, kann das eine Geburt unnötig verkomplizieren. Hebammen sind leider häufig für mehrere Geburten gleichzeitig zuständig, das kann sich durch höhere Krankenstände durch Covid-19 weiter verschärfen. Unter solchen Umständen kommt einer Begleitperson noch mehr Bedeutung zu. Für mich ist klar, dass die Gebärende ein Recht auf Begleitung und Unterstützung haben muss.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Ex-Mitglied über Strukturen des BSW
„Man hat zu gehorchen“