Nachgedacht: Grüne Ratlosigkeit
■ Wie Migrantenkinder fördern? Was Bildungspolitiker aus PISA lernen
Auch die Bundesausländerbeauftragte Marie Luise Beck (Grüne) kann MigrantInnenkindern keinen Weg aus der Bildungskrise weisen. Das jedenfalls zeigte das „Werkstattgespräch“ zum Thema „Schule – ein Hürdenlauf für Migranten“, zu dem die Grünen am Montagabend in die Bürgerschaft eingeladen hatten.
Anlass waren die Ergebnisse der internationalen PISA-Studie, die aufgezeigt hatte, dass Kinder mit Migrationshintergrund noch stärker als Kinder deutscher Eltern große Defizite im Umgang mit Sprache haben: Textverstehen, Erfassen von komplexen Sachzusammenhängen – alles Lernen, was auf Sprache beruht, steht danach auf wackeligen Füßen. Weswegen Migrantenkinder auch der zweiten und dritten Generation gemessen an ihrem Bevölkerungsanteil in Hauptschulen deutlich überrepräsentiert sind.
„Das wirft ein schlechtes Licht auf das deutsche Bildungssystem“, bilanzierte die Grüne Beck. Und: „Wir haben es mit einem sozialen, nicht mit einem ethnischen Problem zu tun.“ Als besonders benachteiligt und schwach würden zwar Kinder von Eltern erscheinen, die als unqualifizierte Arbeitskräfte eingewandert sind. Vergleiche man deren Leistungen aber mit denenen von Kindern deutscher ungelernter Arbeiter, schnitten diese vergleichbar ab.
Welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind, darüber herrscht auch unter angegrauten grünen-nahen Lehrkräften noch Unklarheit, zumal Beck deutlich machte, dass Integrationsmaßnahmen wie Familienhilfe und Sprachkurse, die es für eingewanderte Russlanddeutsche ja bereits gibt, sich nicht nachhaltig positiv auf die Integration dieser Kinder auswirken.
Wie Bildungshemmer für I-Dötzchen mit nichtdeutschem Hintergrund aussehen, machte unterdessen der Kölner Gesamtschullehrer und Bildungsplaner Thomas Jaitner deutlich: Viele Kinder müssten in der Schule Laute schreiben, die sie aus ihrer Muttersprache nicht mal kennen. Auch fehle den Kindern der zweiten und dritten Generation oft ein gutes Grundlagenwissen in der Muttersprache. Alphabetisierung, die das nicht berücksichtige, sondern sich ausschließlich an der deutschen Sprache orientiere, könne nicht erfolgreich verlaufen.
„Wir brauchen eine Didaktik für heterogene Gruppen“, forderte Jaitner. Nachwachsende Lehrergenerationen müssten für diese Anforderungen speziell ausgebildet werden. Der vieldiskutierte gezielte Förderunterricht in Deutsch, der fremd-muttersprachliche Kinder extra fördern soll, könne kein Lösungsweg sein. Dies gelte umso mehr, als in vielen Klassen in Großstadtschulen der Anteil von MigrantInnenkindern bei 30 bis 50 Prozent liege. Außerhalb der Klassen Förderunterricht anzubieten, sprenge jeden Rahmen.
Was die mehrsprachliche Alphabetisierung für deutsche Muttersprachler allerdings bedeutet – auf diese und viele andere Fragen gibt es keine Antwort. Ob es die einmal geben , und woher sie kommen wird, ist vorerst unklar. „Am Landesinstitut für Schule macht dazu kein Mensch Fortbildungen“, stellte eine Lehrerin resigniert fest. Die Bundesausländerbeauftragte wagte unterdessen die These, dass Einwanderer in Ländern, in denen man ihnen politische Mitspracherechte zugesteht „und ihnen so signalisiert, ihr gehört dazu“, sich auch im Bildungswesen aktiver und erfolgreicher einbringen. ede
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