Grüne Neuausrichtung: Friede den Autos, Krieg den Privatjets
Die Grünen schärfen beim Parteitag in Hannover ihr klimapolitisches Profil. Stahlarbeiter und Kassiererinnen sollen sich bei ihnen heimisch fühlen.
Als der grüne Co-Vorsitzende Felix Banaszak Kind war, musste er mit seiner Familie von Duisburg mit der Straßenbahn 901 nach Mülheim und von dort mit der U18 bis Essen zu Ikea fahren, wenn sein Zimmer renoviert wurde – und mit den Regalen unter dem Arm zurück. Denn sie hatten kein Auto. Für ihn war völlig klar, dass er zum 18. Geburtstag den Führerschein machen und eines kaufen würde. „Das war Leben, das war Freiheit“, sagt er begeistert beim Parteitag der Grünen am Samstag in Hannover – und erntete viel Applaus von den Delegierten der Ökopartei. Das ist beim Thema Auto alles andere als selbstverständlich.
Die Grünen sind zu ihrem ersten Parteitag nach der Bundestagswahl zusammengekommen. Bei der Wahl im Februar haben sie nach drei Jahren Ampel 3,1 Prozentpunkte verloren, sie landeten bei 11,6 Prozent. Das schlechte Wahlergebnis steckt den Delegierten noch in den Knochen. Viele grüne Funktionär:innen haben sich die Kritik zu eigen gemacht, die Grünen seien nicht nah genug bei den „normalen“ Menschen, zu bevormundend und abgehoben – und eine Partei für die Wohlhabenden.
Solche Zuschreibungen wollen die Grünen in Hannover hinter sich lassen. Banszaks Bericht von seinem ersten Auto und der damit verbundenen Freiheitsanmutung – bislang war diese Verbindung eine Spezialität der FDP – ist einer der Schritte zu auf die „normalen Menschen“. Die Grünen sollten „emotionale Heimat“ sein für den Stahlkocher, die Rossmann-Kassiererin, den Daimer-Arbeiter am Band und den Paketboten, sagt Banaszak. Flugscham war gestern. Heute haben die Grünen Empathie für die, die von ihrem zusammengesparten Geld einmal im Jahr nach Mallorca fliegen oder Angehörige in der Türkei besuchen.
Flankiert wird diese neue Ausrichtung – von einem „Paradigmenwechsel“ spricht Banaszak – von einer Neujustierung der grünen Klimapolitik. Die wird im grünen Wording nun um das Wort „sozial“ ergänzt. „Links ist für mich kein Schimpfwort, sondern Auftrag“, betont er. Geht es nach dem grünen Co-Parteivorsitzenden, bedeutet soziale Klimapolitik, fossilen Konzernen in die Parade zu fahren. Er will fossile Geschäftsmodelle stärker belasten. „Dieser wirkmächtige Lobbyismus hat sich gezeigt auf der Weltklimakonferenz“, sagte Banaszak. „Diesem fossilen Lobbyismus sagen wir heute den Kampf an.“
Ehrgeizig und sozial
Mögliche Maßnahmen, die die neue Erzählung untermauern sollen, hatte der Bundesvorstand in einem Leitantrag zum Thema vorgelegt. Von einer Rückkehr zum 49-Euro-Ticket war in der ursprünglichen Fassung zum Beispiel die Rede und von neuen Abgaben, die fossile Konzerne auf ihre Gewinne zahlen sollten. Bei letzterem blieb aber die konkrete Ausgestaltung bewusst vage: „Dazu erarbeiten wir verschiedene Optionen“, hieß es in der Vorlage.
Zugespitztere Vorschläge dazu, was es denn heißt, die Klimapolitik einerseits ehrgeizig und andererseits sozial zu gestalten, lieferten erst Änderungsanträge aus der Partei. Für einen davon wirbt am Samstagmorgen vor der Parteitagshalle eine kleine Delegation von Fridays For Future: Ein Dutzend Aktivist:innen protestiert gegen geplante Gasbohrungen vor der Insel Borkum. „Stimme für Glaubwürdigkeit und gegen Gasrausch!“, appellieren sie auf den Flyern, die sie an die Delegierten verteilen. Der Bundesrat muss der Gasförderung noch zustimmen und auf die Bundesländer mit grüner Regierungsbeteiligung kommt es bei der Entscheidung mit an. Der Parteitag soll ihnen auftragen – so steht es in einem Antrag des ehemaligen Bundestagsabgeordneten Sven-Christian Kindler – die Pläne abzulehnen.
Vom Bruch zwischen Bewegung und Partei, der in der Ampel-Zeit zu beobachten war, ist am Morgen vor der Halle nichts zu spüren. „Schön, dass ihr da seid!“, ruft einer der Delegierten in Richtung der kleinen Kundgebung. „Borkum ist mein Urlaubsparadies!“, der nächste. Auch Felix Banaszak geht auf dem Weg in die Halle einen Umweg, um kurz mit den Aktivist:innen zu sprechen. Im Wortlaut werde der Antrag wohl nicht durchgehen, sagt er, alles nicht so einfach, aber in Kern seien sich alle einig – auch die grünen Landesregierungen. „Wir arbeiten an einem Signal“, sagt er noch, dann muss er weiter. Die Fridays schauen zufrieden.
Ein paar Stunden später, am frühen Nachmittag, stehen sie in der Halle und schauen ungläubig. Gerade haben sie die Nachricht bekommen, dass der Bundesvorstand den Änderungsantrag leicht verändert akzeptiert hat. Gleichzeitig geben die sieben Landesumweltminister:innen der Grünen ein öffentliches Bekenntnis ab. Über die DPA verbreiten sie einen gemeinsamen Antrag für den Bundesrat, in dem es sinngemäß heißt: Wir lehnen die Gasbohrung ab.
Wiederauflage des 9-Euro-Tickets
Auch andere Änderungsanträge gehen auf dem Parteitag durch: Vorschläge für eine höhere Besteuerung von Privatjets akzeptiert der Bundesvorstand ohne Abstriche. Einen Antrag der Grünen Jugend, den Preis für das Deutschland-Ticket nicht nur auf 49 Euro zu senken, sondern auf 9 Euro, lehnt die Parteispitze zwar ab. Bei der Abstimmung, zu der es dadurch kommt, setzt sich der Nachwuchs aber durch.
Auch in einer zweiten Abstimmung unterliegt der Vorstand, aber das wird er verkraften können: Die Basis streicht zwar den Vorschlag der Spitze, ein mögliches Klimageld regional auszudifferenzieren und auf dem Land mit schlechtem ÖPNV-Angebot mehr zu zahlen als in der Stadt. Die Delegierten stellen aber nicht die Forderung infrage, das Klimageld sozial zu staffeln und schnell einzuführen.
Die Botschaften, die sich Parteichef Banaszak gewünscht hat, sendet der Parteitag am Samstag also tatsächlich. Welchen Weg die Grünen in Zukunft wirklich gehen, ist damit aber noch lange nicht gesagt. Während die Bundespolitiker:innen auf Konfrontation zur fossilen Industrie gehen, ist die Lage in mehreren Ländern, abgesehen von der Borkum-Frage, anders.
Nicht alle wollen Konfrontation
Die nordrhein-westfälische Wirtschaftsministerin und stellvertretende Ministerpräsidentin Mona Neubaur setzt beim Klimaschutz nicht auf Konfrontation, sondern ein Miteinander mit der Industrie. „Wir werden das nicht gegen die Industrie schaffen, wir brauchen die Mehrheiten in der Gesellschaft“, sagt sie in Hannover. Die Grünen müssten breite Bündnisse schließen, von Naturschutzverbänden über „Oma Erna“ bis zur Wirtschaft. „Das ist unsere Super-Power“, sagt sie. Neubaur steht in der Partei in der Kritik, weil sie mit der Chemie-Industrie einen Pakt geschlossen hat, bei dem ihren Kritiker:innen zufolge die Klimaziele nicht ausreichend berücksichtigt werden. „Es ist in NRW gelungen, einen Weg zu finden, wie die Transformation weitergeht“, verteidigt sie den Pakt mit der Branche. Die Industrie hätte zugesagt, auf dem Pfad der Co2-Minderung zu bleiben.
Ähnlich hält es Cem Özdemir, der im März grüner Ministerpräsident in Baden-Württemberg werden will, im Umgang mit der Wirtschaft. Er hat sich mit Blick auf die Autoindustrie im Ländle schon vor Wochen für eine Aufweichung des Verbrenner-Aus ab 2035 ausgesprochen – entgegen der Linie der Bundespartei. Am Sonntag wird er auf dem Parteitag in Hannover sprechen. Dass er sich dort hinter den Beschluss stellen wird, den die Delegierten am Samstag zu diesem Thema getroffen haben, ist nicht zu erwarten: Es sei gefährlich, heißt es darin, dass „rückwärtsgewandte Politiker*innen, insbesondere von Union und SPD, die europäische Einigung zum Verbrenner-Aus infrage stellen“.
Salbe fürs angeschlagene Selbstbewusstsein
Neben der inhaltlichen Neuausrichtung geht es in Hannover auch um das Regenerieren des angeschlagenen Selbstbewusstseins der Partei. Viele Redner:innen bemühen sich nun, Zuversicht zu verbreiten. „Der Wind bläst uns ganz schön ins Gesicht“, sagt etwa die Co-Vorsitzende der grünen Bundestagsfraktion, Britta Hasselmann. „Lasst Euch nicht beirren.“ Wenn Bundeskanzler Friedrich Merz durch Unfähigkeit und Rückschritt glaube, sich aus der Verantwortung stehlen zu können, brauche es die Grünen „, die sagen: nein.“ „Wir dürfen uns nicht entmutigen lassen“, sagt sie. „Ich bin überzeugt, dass Bündnis 90/ Die Grünen den Menschen Mut und Kraft geben.“
Die frühere grüne Umweltministerin Steffi Lemke ruft ihre Parteifreund:innen auf, mehr über die Erfolge in der Bundesregierung zu sprechen. „Nach meinem Geschmack reden wir zu wenig darüber“, sagt sie. Der Ausbau der Erneuerbaren Energien, das Programm Natürlicher Klimaschutz, die Wasserstrategie und die Kreislaufwirtschaft nennt sie als Beispiele – und lässt keinen Zweifel daran, dass sie die Auflistung noch eine ganze Weile fortsetzen könnte. „Lasst Euch nichts einreden“, ruft sie. „Grün wirkt sogar noch weiter, wenn wir nicht mehr in Regierungsverantwortung sind.“
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