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Grüne Löhrmann über Bildungspolitik„Es geht nicht nur um Exzellenz“

Die neue Bundesbildungsministerin sollte nicht nur die Wissenschaft im Blick haben. Das meint zumindest die grüne Bildungspolitikerin Sylvia Löhrmann.

„Es muss auch um das Fundament von Bildung gehen.“ Bild: dpa
Bernd Kramer
Interview von Bernd Kramer

taz: Frau Löhrmann, was haben Sie gedacht, als Sie von Schavans Rücktritt erfahren haben?

Sylvia Löhrmann: Der Rücktritt war unausweichlich. Man hat gemerkt, dass Annette Schavan sehr klar war in ihrer Entscheidung. So wie ich sie kenne, hätte mich auch alles andere überrascht. Dieser Rücktritt ist wirklich anständig über die Bühne gegangen.

Haben Medien und Opposition nicht etwas übertrieben mit ihrem Betroffenheitsgefühl?

Von Betroffenheit würde ich nicht sprechen. Bei aller notwendigen Kritik ist die Opposition sehr fair und respektvoll mit Annette Schavan umgegangen. Ich finde es übrigens legitim, dass sie klagt. Nur Ministerin konnte sie so unmöglich bleiben.

Schavan ist das zweite Kabinettsmitglied, das durch Plagiatsjäger im Internet zu Fall gebracht wird. Macht Ihnen diese Denuziationskultur Angst?

Nein. Und ich würde nicht von einer Jagd sprechen. Von hunderten promovierten Politikerinnen und Politikern ist bis jetzt eine Handvoll über Plagiate gestürzt. Politiker müssen damit leben, dass man bei ihnen genauer hinsieht.

Bild: dpa
Im Interview: Sylvia Löhrmann

ist seit 2010 Ministerin für Schule und Weiterbildung in Nordrhein- Westfalen. Sie ist Vizeministerpräsidentin im rot-grünen Kabinett von Hannelore Kraft (SPD). 1957 in Essen geboren, arbeitete Löhrmann ab 1984 als Lehrerin für Englisch und Deutsch in Solingen und trat 1985 den Grünen bei.

Der Wissenschaftsbetrieb hat sich im Fall Schavan alles andere als einheitliche gezeigt. Müssen Lehren daraus gezogen werden?

Das würde ich mich wünschen. Die Universitäten, die in jüngster Zeit wegen der Plagiatsprüfung prominenter Doktoranden in der Öffentlichkeit standen, sollten sich zusammensetzen und Kriterien benennen, die berücksichtigt werden müssen. Sie könnten ihre Erfahrung nutzen und einen Kriterienkatalog entwickeln. Der Vorschlag sollte aber aus der Wissenschaft und nicht aus der Politik kommen.

Was wird Johanna Wanka anders machen als Annette Schavan?

Ich habe eine Sorge: Johanna Wanka ist zwar eine Fachpolitikerin, aber sie war anders als Annette Schavan nie Schulministerin. Ich befürchte, dass sie noch stärker als ihre Vorgängerin auf die Wissenschaft guckt und nicht erkennt, dass wir uns um den gesamten Bildungsbereich kümmern müssen. Und zwar gemeinsam: Bund, Länder und Kommunen. Es kann nicht nur um Exzellenz und Forschungsförderung gehen. Die Schulen dürfen nicht zu kurz kommen.

Schavan war auch nicht gerade für ihre Schulpolitik berühmt.

Aber sie hat auf Drängen meiner Kollegen und mir zuletzt immerhin zugestanden, dass es etwa beim gemeinsamen Unterricht von behinderten und nicht-behinderten Kindern oder beim Ganztagsausbau eine Mitverantwortung des Bundes gibt. Es ist ja absurd, dass der Bund private Nachhilfe finanziert, aber nicht die Schulen direkt unterstützen darf. Es ist zwingend, dass da etwas passiert, und das wissen alle. Wir waren uns nur noch nicht einig, wie.

Annette Schavan wollte die Verfassung ändern, um besonders herausragende Hochschulen künftig durch den Bund fördern zu können, Sie und andere rot-grüne Länder wollten auch Bundesgeld für die Schulen. Daran sind die Gespräche geplatzt. Wie stehen die Chancen, dass das so gennante Kooperationsverbot doch noch kippt?

Das weiß ich nicht. Wir haben weitere Gespräche verabredet und ich hoffe, dass Johanna Wanka sich daran gebunden fühlt. Vor der Bundestagswahl wird es aber wohl keine Entscheidung geben. Insofern ist das ein Thema, das im Wahlkampf eine Rolle spielt.

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8 Kommentare

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  • KK
    Karl Kraus

    @Fritzes Fischer

    Sie meinen also, dass die geistig behinderten Kinder von denen ohne dieses Handicap getrennt werden sollen, damit sie nicht an ihrer Behinderung leiden? Das finde ich natürlich human. Das ver- und behindert allerdings nu wirklich jede gesellschaftliche Bewegung der Art, dass Menschen eben nicht nur als Humankapital existieren. Dass "Ihr" "Downkind" (das ebenfalls neben seiner Behinderung noch andere menschliche Eigenschaften besitzt, zum Beispiel Gefühle, Interessen und soziale Fähigkeiten zum Donnerwetter) keinen Kontakt zu den anderen Kindern hatte, ist nicht schön, aber dafür hässlich. Aber das ist ja überhaupt keine Begründung für die Behauptung, separiert gehe es allen besser. Übrigens ist dieses Anderssein bei Kindern oft deshalb ein Problem, weil gewisse Erwachsene ihnen nie vorgelebt haben, dass Anderssein etwas Normales ist: Auch nichtbehinderte Kinder können sehr seltsam sein, aber bei denen wird das nicht noch durch Schubladeneltern verstärkt. Und natürlich muss sich eine Kultur des Andersseindürfens (finde keinen eleganteren Ausdruck) entwickeln.

    Das Problem liegt allerdings immer wieder in der stillen anthropologischen Voraussetzung, Leistungsfähigkeit (als Vorstufe dann Förderbarkeit und als Resultat Verwertbarkeit und als Sahnehäubchen das Uns-nix-Kosten) sei die entscheidende Eigenschaft, um als Mensch unter Menschen dort leben zu dürfen, wo es einem gefällt. Und arbeiten. Und lernen. Ihre Schule ist einfach nur eine Trimm-Dich-Anstalt für Nichtbehinderte. Eine inklusive Schule unterrichtet Menschen, nicht Kader. Sie wird auch Behinderungen gerecht. Schauen Sie sich die Konzepte einfach an. Tipp: Die Ketteler-Schule in Bonn (http://www.kgs-kettelerschule.de/index.php).

    Zum Schluss: Ich dachte immer, Strom kommt tatsächlich aus der Steckdose. Bei mir klappt's jedenfalls. Oder ist das wieder so eine Metapher, mit der Sie sicher stellen wollen, dass Behinderte schlimm teuer werden, wenn man sie einfach an allen Aspekten der Gesellschaft teilhaben lassen will? Aber das Geld verschwindet schon seit Langem zu Milliarden in den Hälsen unserer Leistungsträger. Vielleicht könnte man da was abzwacken. Aber solange die Aufhebung der Separation von Menschen in diesem Staat mit dem Argument des Geldes abgelehnt wird, kann man erkennen, wie dünn das Eis der Zivilisation ist. Immerhin.

     

    Das P.S. verstehe ich nicht.

  • FF
    Fritzes Fischer

    Karl Kraus, mal daran gedacht, dass auch geistig behinderte Kinder mitbekommen, dass sie mit geistig normalen Kindern wenig bis keine Berührungspinkte haben und darunter durchaus leiden können. "Unser" Downkind hatte keinen einzigen Kontakt zu auch nur einem Mitschüler- nicht weil die anderen böse waren, aber weil sie eben anders sind. Man tut weder den gesunden, noch den kranken KIndern einen Gefallen damit, sie zusammenzusperren.

    Und natürlich geht es auch um Kosten. Ich befürchte, für Sie kommt der Strom aus der Steckdose und das Geld fällt vom Himmel. Ist aber nicht so. Das muss erarbeitet werden. Und Deutschland hat ausschließlich Humankapital. Nix da mit großartig Bodenschätze, unendliche Weiten an Land etc.pp. Behinderte Kinder sollen gefördert werden, da wo man ihnen gerecht wird, wo sie sich nicht ausgegrenzt fühlen und wo eigens dafür geschulte Pädagogen arbeiten und sich entsprechend kümmern können.

     

    P.S. Schon die Privatschule im Brennpunkt gegründet, damit der Nachwuchs nicht mit Murat und Ali die Schulbank drücken muss....?

  • KK
    Karl Kraus

    @Fritzes Fischer

    Puha. "Behindert ist behindert". Schön. Also weg damit?

    Es geht bei der Inklusion nicht einfach nur um die Art von Förderung, die dir vorschwebt. Es geht darum, dass Kinder nicht separiert werden. Ihre gesamte Sozialisation steht heute noch unter dem Zeichen der Trennung nach bestimmten Merkmalen. Damit ist die Förderung von Leistung (wie immer diese definiert sein mag) nur ein Aspekt unter vielen. Aber vielleicht sind die sogenannten Nichtbehinderten ja inklusionsbehindert.

    Das Kostenargument ist übrigens das erschütterndste... Teuer, so Downies, wa? Die richten ja nur volkswirtschaftlichen Schaden an, wenn sie trotz Inklusion einfach behindert bleiben.

    Unser Schulsystem erzeugt im Übrigen in seiner derzeitigen Form noch zusätzliche Selektion, indem es alle möglichen Unterschiede kategorisiert und damit pathologisiert, um anschließend eine räumliche Trennung von Kindern bzw. Jugendlichen zu verordnen. Wir sind da eigentlich ein bisschen weiter... Oder auch nicht. Geschafft hätten wir es, wenn wir auch das Wort Inklusion nicht mehr bräuchten. Dann gäbe es halt Unterschiede, die manchmal auch schwer auszuhalten sind. Noch steckt ein gewisser Zynismus in der Bezeichnung für vernünftige Bemühungen.

  • RT
    reiner tiroch

    wenn hunderte Politiker promovierten und nur eine Handvoll Plagiatsträger bisher erwischt wurden ist die Quote dennoch höher als die erwischten in den Steuer CD´s. aber die werden vorher gesichtet.

  • RT
    reiner tiroch

    wenn hunderte Politiker promovierten und nur eine Handvoll Plagiatsträger bisher erwischt wurden ist die Quote dennoch höher als die erwischten in den Steuer CD´s. aber die werden vorher gesichtet.

  • JR
    Jan Reyberg

    Frau Schavan ist vor allem für Forschungs- und Wissenschaftspolitik und für Exzellenzinitiativen und Deutschlandstipendien und dergleichen bekannt und verantwortlich. Dies sind Fördermaßnahmeen für die Spitze, für Eliteuniversitäten und für die besonders hervorgehobene der Akademiker. Diese Bevölkerungsschicht zeichnet sich nicht dadurch aus, dass sie nicht selbst mit ihrem Leben und ihren Ambitionen klar käme. Ihre Förderung ist aus wissenschaftspolitischen Kalkülen und vielleicht aufgrund von Standortpolitik wichtig (mal abgsehen davon, dass dieses überzogene bedarfsunabhängige Büchergeld sehr fragwürdig ist). Aus gesellschaftspolitischen und bildungspolitischen Überlegungen sollte sich unsere Regierung primär Gedanken um die unteren 10% in unserer Bildungslandschft machen, nicht um die oberen, die ohnehin klar kommen. Bildungspolitik ist mehr als Forschungs und Wissenschaftspolitik. Bildung ist weiter gefasst als Wissenschaft. Bildung formt Menschen und Menschen formen in ihrer Gemeinschaft eine Gesellschaft. Zile der Bildungspolitik sollte die Befähigung zur integration in diese Gemeinschaft werden und nicht die Produktion von Exzellenz am anderen Ende. Hoffen wir, dass sich der Schwerpunkt etwas verschiebt.

  • R
    R_Kiene

    Hier ist noch ein lesenswerter Beitrag zur Thematik vom Team "Wbiue": http://wasbildetihrunsein.de/2013/02/10/heidingsfelder-schavan-plagiat/

  • FF
    Fritzes Fischer

    Inklusion ist Scheiße und das weiß auch die Löhrmann. Wir hatten mal ein Downkind in der Schule und außer hohen Kosten (2 eigene Lehrer innerhalb der Klasse) kam nix bei raus. So traurig es für Eltern ist, aber behindert ist behindert und (bis auf körperlich behinderte) sind diese Kinder eben nicht so förderbar wie gesunde Kinder.