Große Koalition zur Energiewende: Verordnete Wachstumsstörung

Schwarz-Rot bekennt sich zur Energiewende – allerdings mit Zurückhaltung. Die formulierten Ziele sind oft schwammig. Fragen bleiben offen.

„Eine Chance für Deutschland“: Energiewende in Thüringen. Bild: dpa

BERLIN taz | Bundeskanzlerin Angela Merkel hat den Sound der Koalition in Sachen Energiewende am Mittwoch selbst wunderbar zusammengefasst: „Die Energiewende wird uns noch viel Kraft abverlangen“, sagte sie wie eine besorgte Mutter über einen störrischen Teenager und fügte hinzu, sie sei auch „eine Chance für Deutschland“.

Der Bengel Energiewende wird schon noch erwachsen, soll das heißen. Dass er wächst, daran lässt der Koalitionsvertrag keinen Zweifel, allerdings mit verordneter Wachstumsstörung: Bis 2025 sollen 40 bis 45 Prozent des deutschen Stroms grün sein, bei bisheriger Geschwindigkeit wäre das auch bereits 2020 möglich gewesen. Bis zum Jahr 2035 sollen es dann 55 bis 60 Prozent sein – die SPD wollte im Wahlkampf noch 75 Prozent schon 2030.

Bei den einzelnen Technologien hat sich wenig ändern: Der Förderdeckel von 52 Gigawatt für Solaranlagen bleibt ebenso wie die Bestimmungen zur Wasserkraft. Die Biomasse wird auf Abfall- und Reststoffe begrenzt, was Umweltschützer begrüßen. Beim Ausbau der Windkraft im Meer stutzen die Koalitionäre die bisher unrealistischen Planungen auf 6,5 MW bis 2020 zurecht. Beim Wind an Land wird gekürzt.

Der „Sachverständigenrat der Bundesregierung für Umweltfragen“ (SRU) hielt gestern mit seinem „Sondergutachten Energiewende“ dagegen: Bis 2030 könnten Sonne und Wind 60 bis 70 Prozent des Stroms zu vertretbaren Kosten erzeugen. „Es wäre mehr möglich“, kommentiert SRU-Geschäftsführer Christian Hey den Koalitionsvertrag. „Vor allem weil das Kostenargument nicht zieht. Die EEG-Umlage steigt nicht mehr so stark wie in den letzten Jahren.“

Frank Peter, Energieexperte des prognos Instituts, stimmt ihm zu: „Es geht vor allem um Verteilungsfragen: Zahlen eher die Verbraucher oder die Unternehmen? Die Kosten von etwa 20 Milliarden Euro pro Jahr sind seit 2011 ziemlich stabil geblieben.“

Besonders der „Ausbaukorridor“ sorgt für Irritationen. Was passiert, wenn Investoren ohne Förderung neue Ökostromanlagen bauen? Gibt es dann Sanktionen? Nein, sagt Umweltminister Peter Altmaier: „Die Förderung sinkt, wenn der Ausbau überschritten wird. Es wird kein Verbot geben“, sagt er.

Steuern will die Koalition den Zubau eigentlich, indem Wind- und Solarprojekte ab 2018 über Ausschreibungen vergeben werden. Wenn dann das billigste Angebot zum Zug kommt, würde das die Konzerne begünstigen. Statt der starren EEG-Förderung sollen immer mehr Erneuerbare ihren Strom selbst verkaufen. Neue Anlagen sollen von den Netzbetreibern abgeschaltet werden können, wenn zu viel Strom fließt, sonst aber weiter Vorrang genießen.

Schwach oder schwammig bleibt der Vertrag in vielen Punkten. So sollen die Ausnahmen von der EEG-Umlage für Unternehmen „überprüft“ werden, ohne dass dafür Kriterien genannt werden. Die Energieeffizienz bekommt viele gute Worte, aber nicht mehr Geld. Und vor allem: Der EU-Emissionshandel, zentrales Instrument der Klimapolitik, wird nicht repariert.

Auch auf die Frage, wie die schwankende Stromproduktion der Erneuerbaren auszugleichen ist, gibt der Vertrag keine Antwort: Aktuell soll es bei fossilen Reservekraftwerken bleiben. Ein „Kapazitätsmechanismus“, der auf eine zusätzliche Subventionierung solcher Kraftwerke hinauslaufen könnte, soll „mittelfristig entwickelt“ werden – nicht ohne Gegenleistung.

„Die großen Energieversorgungsunternehmen müssen auch bereit sein, konventionelle Kraftwerke abzuschalten, wenn die Sonne scheint und der Wind weht“, sagte Altmaier der taz. Für Christian Hey „geht der Dauerkonflikt um die Energiewende mit diesem Vertrag in die nächste Runde“.

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