piwik no script img

Großbritannien vor der EU-EntscheidungAm Ende gewinnen die Brexiter

Im 900-Seelen-Dorf Kingham findet die EU-Kontroverse im Vereinshaus der Veteranen statt. Abgestimmt wird dabei vor und nach der Debatte.

Heile englische Welt, erst recht nach dem Brexit? Biobauernmarkt in Kingham Foto: imago/UIG

Kingham taz | In Kinghams Wild Rabbit, einer Mischung zwischen Edelrestaurant und Dorfpub, laden Flugblätter zur „Großen EU-Debatte“ im Vereinshaus der Royal British Legion ein. Im Veteranenclub des idyllischen 900-Seelen-Dorfs im westlichen Teil der Grafschaft Oxford haben sich am Abend rund 40 Personen versammelt, die meisten über 60. An den Wänden des Vereinshauses hängen Bilder verschiedener Flugzeugmodelle der britischen Air Force.

Vier Männer sitzen vorne, in ihrer Mitte der Pfarrer David Salter. Man hat den Mann der Kirche zum neutralen Moderator der bevorstehenden politischen Debatte nominiert. Vor der Debatte fragt der Pfarrer: „Wer ist für den Verbleib, wer ist für das Verlassen der EU, und wer ist sich noch nicht sicher?“

22 Befragte wollen bleiben, 19 wollen raus, der Rest ist sich unsicher. Pfarrer Salter kündigt an, man werde am Ende der Debatte noch mal abstimmen.

Schauspieler, Lehrer und Theaterautor Andy Graham, ist für den Verbleib in der EU. Er ist Abgeordneter des Landkreises und einer von vier Liberaldemokraten in einer starken Toryregion. Die Konservativen besitzen in diesem Bezirk 41 der 49 Sitze, der Abgeordnete ist hier kein geringerer als David Cameron, der Premierminister des Landes.

Kein Interesse an Ukip

Bis heute hatte die rechtspopulistische Partei Ukip in West­ox­fordshire wenig Erfolg. Doch heute ist sie mit zwei Mitgliedern vertreten. Der eine ist der graubärtige 70 Jahre alte Jim Stanley, der andere mit Krawatte und Jackett der britischen Armee sein etwa zehn Jahre jüngerer Parteikollege Dicky Bird.

Stanley spricht über die 1970er Jahre und meint, dass der EU-Beitritt damals nur als ein Handelsabkommen verkauft worden sei. Doch habe man ihnen damals nicht die Wahrheit gesagt. Graham meint dagegen: „Ich weiß noch, dass wir vor der Union der arme Mann Europas waren.“ Er meint, dass Großbritannien in der EU besser dastünde als alleine. Ukip-Mann Dicky Bird spricht dann vom englischen Kanal als Mauer, die man kontrollieren müsse, sonst sei man den EU-Bürokraten ausgeliefert.

Jemand stellt die Frage, ob Norwegen das Modell sein könne. Bird ergreift das Wort: „Wir müssen niemandem folgen, wir sind als fünftstärkstes Industrieland der Welt stark genug, allein zu gehen!“ Einer der Zuhörer berichtigt ihn. Norwegen müsse alle EU-Regulierungen einhalten und verfüge nicht einmal über ein Stimmrecht.

Einkaufen im teuersten Laden

Wieder meldet sich ein Zuhörer, ein älterer Herr im Sakko erzählt, dass er Berater der WTO war und dass unabhängige Handelsabkommen sehr zeitaufwendig sind. Das Argument der Mindestregeln der WTO beschreibt er als das Einkaufen im teuersten Laden in der Stadt.

Einige der anwesenden Frauen fragen, ob die derzeitige Einwanderungswelle verantwortbar sei. Graham preist das Erfolgsmodell London. Eine Frau ruft dazwischen: „Unser Land wird mit Wohnungen für Immigranten zuzementiert!“ Ein anderer Mann, Brian Holmes, erzählt von seiner Cousine aus Litauen, die vor über zehn Jahren schwanger und arbeitslos nach England kam und sofort eine Sozialwohnung bekam.

Nebenbei versucht ein junger Mann einen Älteren von den Vorteilen der EU zu überzeugen, spricht von Reisefreiheit und der Tatsache, dass Großbritannien ohne Immigranten nicht überlebensfähig sei. Nachdem keiner mehr eine Frage hat, und alle Biergläsern leer sind, lässt Pfarrer Salter nochmals abstimmen. Die Brexiter gewinnen nun mit 19 Stimmen, 16 stimmen für den Verbleib in der EU.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!