GroKo-Verhandlungen: Operation gelungen, Patient halbtot
Union und SPD haben sich bei der Renten- und Bildungspolitik geeinigt. Die SPD rutscht bei den Wählern auf ihr bislang schlechtestes Ergebnis.
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In mehreren Bundesländern hat sich bereits die rechtspopulistische AfD vor die einstige Volkspartei geschoben. SPD-Chef Martin Schulz rutscht im neuen „Deutschlandtrend“ nach seinem Schlingerkurs der letzten Wochen auf seinen schlechtesten Wert in dieser Umfrage – er verliert fünf Punkte und landet nur noch bei 25 Prozent Zustimmung.
Überschattet von dem fragilen Zustand der ältesten Partei in Deutschland, der sich einpasst in die Krise der Sozialdemokratie in ganz Europa, erreichten Union und SPD in der Nacht zu Freitag weitere Einigungen. Die geplante Koalition von CDU, CSU und SPD will das Grundgesetz ändern, damit der Bund sich stärker am Ausbau von Ganztagsschulen und einem Digitalpakt für die Schulen beteiligen kann. Dazu solle der Paragraf 104c des Grundgesetzes geändert werden, teilten die Unterhändler in Berlin mit.
Bisher ist eine Finanzhilfe des Bundes nur für finanzschwache Kommunen zulässig. Für die geplante Grundgesetzänderung ist im Bundestag eine Zwei-Drittel-Mehrheit notwendig – über die eine große Koalition nicht verfügen würde. Die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig (SPD), betonte, insgesamt umfasse das Bildungs-, Digital- und Forschungspaket ein Volumen von sechs Milliarden Euro. Zwei Milliarden Euro davon sollen für den Ausbau von Ganztagsschulen und für die Betreuung zur Verfügung gestellt werden, zudem soll ein Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung von Grundschülern eingeführt werden. Eine Milliarde soll es für eine Bafög-Reform geben. Die Einigung auf das „Leuchtturmprojekt Bildung“ könne auch ein wichtiges Argument sein, um die SPD-Basis bei dem Mitgliederentscheid zu überzeugen, der Koalition zuzustimmen.
Der parlamentarische Geschäftsführer der CSU-Abgeordneten im Bundestag, Stefan Müller, sagte, man wolle zudem eine Gebührenfreiheit auch für die Meisterschüler einführen. „Bund und Land, Hand in Hand“, laute das neue Motto, sagte der SPD-Politiker Hubertus Heil. Bisher ist die Bildung fast ausschließlich Ländersache, das sogenannte Kooperationsverbot untersagt dem Bund bisher in weiten Teilen die Mitfinanzierung im Bildungsbereich. Das Thema solle zum „Flaggschiff“ der Koalition werden, so Heil. Zuvor war bereits ein milliardenschweres Rentenpaket verabredet worden.
Drei Schritte gegen Altersarmut
Union und SPD gehen zudem mit einem milliardenschweren Rentenpaket in die Endphase ihrer Koalitionsverhandlungen, die bis Sonntag terminiert sind, aber voraussichtlich noch verlängert werden müssen. Die gesetzliche Garantie des Rentenniveaus soll von 43 auf 48 Prozent angehoben werden. Um Arbeitnehmer und Arbeitgeber nicht zu stark zu belasten, soll der Beitragssatz aber auf 20 Prozent des Lohns gedeckelt werden. Beides soll bis 2025 gelten. Für die Sicherung der Renten bis 2045 soll eine Rentenkommission mit Experten und Wissenschaftlern bis März 2020 Ergebnisse vorlegen.
Drei Schritte sollen Altersarmut vorbeugen: Erstmals sollen alle nicht anders abgesicherten Selbstständigen in der gesetzlichen Rente oder privat für das Alter vorsorgen. Eingeführt werden soll ein an die Rentenansprüche gekoppelter Aufschlag auf die Grundsicherung für Menschen, die 35 Jahre lang Beitragszeiten vorweisen, aber nicht über die Grundsicherung hinauskommen. Künftige Erwerbsminderungsrentner sollen deutlich bessergestellt werden als heute.
Nach der Renten-Einigung räumten SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles und die Sozial-Verhandlungsführer der Union, Karl-Josef Laumann (CDU) und Barbara Stamm (CSU), hohe Kosten ihres Pakets ein. „Dass das, was wir hier an Verbesserungen machen, weil es Millionen von Menschen betrifft, auch Milliardensummen kosten wird, kann ich prognostizieren“, sagte Nahles, die für ihre Partei die Verhandlungen im Sozialen führt. „Dafür kriegen die Leute auch was.“
Heiße Phase der Verhandlungen
Anders als der SPD schadet der Union dem „Deutschlandtrend“ zufolge die schwierige Regierungsbildung bisher nicht. Sie kommt wie Anfang Januar auf 33 Prozent. Die AfD käme auf 14 Prozent (plus 1), die FDP auf 10 Prozent (plus 1), die Linke auf 11 Prozent (plus 2) und die Grünen auf 11 Prozent (unverändert). In einer Forsa-Umfrage war die SPD im Januar sogar nur auf 17 Prozent gekommen.
Mit dem ersten Treffen der mehr als 90 Unterhändler starten Union und SPD am Freitagnachmittag in die heiße Phase der Verhandlungen. Auch alle 18 Arbeitsgruppen sollen in der SPD-Zentrale jeweils etwa 20 Minuten lang ihre Ergebnisse präsentieren. CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer kritisierte, dass die AG's „10 Seiten plus“ vorgelegt hätten – erklärtes Ziel ist es, einen schlankeren Vertrag als die rund 180 Seiten beim letzten Mal vorzulegen. Es gebe aber eine Einigungsbereitschaft auf allen Seiten – ob über das bisher geplante Ende am Sonntag hinaus verhandelt werden muss, stehe noch nicht fest. Eine Verlängerung bis Dienstag gilt in Teilnehmerkreisen als möglich.
Kevin Kühnert, Juso-Chef
Vor dem Eintritt der Sozialdemokraten in eine neue Bundesregierung müssten die SPD-Mitglieder noch über den Koalitionsvertrag abstimmen. Juso-Chef und GroKo-Gegner Kevin Kühnert gibt sich zuversichtlich, dass die Basis alles noch kippt. „Im Moment bin ich optimistisch, dass die Mehrheit der SPD-Mitglieder bei der bevorstehenden Abstimmung Nein sagen wird, weil selbst das Führungspersonal das Rennen für offen hält“, sagte er der Rheinischen Post. Andernfalls werde Deutschland erneut „eine Regierung des kleinsten gemeinsamen Nenners und des billigsten Kompromisses“ bekommen.
Aber auch in der CDU wächst die Kritik an der Ausrichtung der eigenen Partei. Die Menschen erwarteten „mehr als ein Wortspiel über ein Land, in dem wir gut und gerne leben“, schrieb Thüringens CDU-Chef Mike Mohring in einem Focus-Gastbeitrag. „Die Menschen wollen wissen, welches Bild von Deutschland ihre Politiker haben: in zehn, in 20, in 30 Jahren. Als Gesellschaft, als Staat, als Nation“.
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