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Griechenland vor der WahlÜberzeugte Linke

„Es läuft so viel falsch in Griechenland“, sagt Dimitris Routos – und glaubt dennoch an den Wandel. Unterwegs mit Syriza in Thessaloniki.

Das Leben draußen findet nicht mehr so statt, wie früher einmal: Thessaloniki im August 2015. Foto: ap

Thessaloniki taz | Früher Abend in Thessaloniki. Vor den Fenstern des schmucklosen Ladenlokals im Stadtteil Sykies sitzen vier Frauen und drei Männer auf weißen Plastikstühlen. Angeregt diskutieren sie über die neuesten Wahlumfragen. „Jetzt sieht es wieder ganz gut aus“, sagt Eleftheria Chatzigeorgiou und nimmt einen tiefen Zug aus der Zigarette. „Die Tendenz geht nach oben.“ Im Fitnessstudio nebenan trainiert hinter großrahmigen Fenstern ein Mann auf einem Laufband, auf der Empore über ihm turnen mehrere Frauen. Das Treiben vor dem Büro von Syriza, dem „Bündnis der radikalen Linken“, beachten sie nicht.

Im Stadtviertel Sykies, zehn Autominuten vom Zentrum entfernt, haben sich Parteiaktivisten in Griechenlands zweitgrößter Stadt zum Straßenwahlkampf verabredet. Syriza muss kämpfen, um bei der Parlamentswahl am Sonntag erneut in die Regierung gewählt zu werden. Die meisten Umfragen sagen ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit der konservativen Nea Dimokratia voraus. „Wir warten noch ein bisschen, bevor wir losgehen“, sagt Chatzigeorgiou. „Es kommen noch ein paar mehr.“

Die 36-Jährige mit den blonden Haaren ist eigentlich Französischlehrerin, seit zwei Jahren arbeitet sie für das Erziehungsministerium. Auf der regionalen Wahlliste von Syriza steht sie auf Platz 9 und damit zu weit hinten, um eine realistische Chance auf den Einzug in die Vouli, das griechische Parlament, zu haben. „Aber Markos wird sicher reinkommen“, sagt Chatzigeorgiou und zeigt auf den Mann, der gerade herzlich von den Umstehenden begrüßt wird. Markos Barolis trägt als einziger einen Anzug. Ein bisschen erinnert der graumelierte Schnauzbartträger an den italienischen Film-Bürgermeister Peppone, nur mit lichterem Haar. Wie Alexis Tsipras trägt der 57-Jährige selbstverständlich keine Krawatte. Mit einem breiten Lächeln reicht er die Hand.

Als Dimitris Routos zu der Gruppe stößt, holt sofort jemand einen Plastikstuhl für ihn aus dem Lokal. Der 60-Jährige setzt sich und steckt sich eine Camel ohne Filter an. Routos ist ein altgedienter Genosse. Bereits als Schüler schloss er sich der damals illegalen eurokommunistischen KKE-Inland an, einem Vorläufer von Syriza. Das war Ende der 1960er Jahre und in Griechenland herrschte die Diktatur der Obristen.

Aufgeben ist keine Option

Routsos macht nicht den Eindruck eines Revolutionärs. Bis er vor zwei Jahren in Frühpension geschickt wurde, arbeitete er 45 Jahre lang für griechische und internationale Banken. Ein überzeugter Linker ist er gleichwohl über all die Zeit geblieben. Mit dem Wahlsieg von Syriza im Januar ging für ihn ein Traum in Erfüllung. Die damalige Euphorie ist längst verflogen. Die erzwungene Unterwerfung von Alexis Tsipras unter das Diktat der Eurogruppe hat bei Routos Spuren hinterlassen. Aber aufgeben will er nicht. „Es läuft so viel falsch in Griechenland“, sagt er. „Wir müssen einfach weiter um die Chance kämpfen, das Land zu verändern.“

Griechenland darf nicht wieder denen überlassen werden, die das Land in den Abgrund gewirtschaftet und sich selbst die Taschen gefüllt hätten, findet er. Thessalonikis früherer konservativer Bürgermeister ist vor zwei Jahren wegen Korruption zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt worden. In der Stadt gibt es viele große Baustellen, auf denen nicht gearbeitet wird. Bis 2013 sollte eine U-Bahn mit EU-Geldern fertiggestellt werden. Die Baugruben klaffen wie riesige Wunden in der Stadt.

Routos hat kein Verständnis für diejenigen, die Syriza nach der Ankündigung der Neuwahlen verlassen und eine eigene Partei, die Laiki Enotita („Volkseinheit“), gegründet haben. „Sie begehen einen historischen Fehler“, sagt. Mit ihrer Abspaltung riskierten sie die linke Regierung. Dabei würde ihr vermeintlicher „Plan B“, der Grexit und die Rückkehr zur Drachme, nur zu einer noch größeren Verelendung führen und hätte daher zu Recht keine Akzeptanz in der Bevölkerung. In den Umfragen liegt die Laiki Enotita deutlich unter zehn Prozent und kann nicht einmal sicher sein, überhaupt ins Parlament einzuziehen.

Gleichwohl bedeutet die Abspaltung der „Drachmisten“ eine Schwächung von Syriza, auch und gerade in personeller Hinsicht. So hat die Partei in Thessaloniki rund 20 Prozent ihrer Mitglieder verloren. In Sykies waren es jedoch weniger: 160 Mitglieder hatte Syriza hier vor der Spaltung, jetzt sind es noch 150. „15 Leute haben uns verlassen“, sagt Eleftheria Chatzigeorgiou. „Es sind aber auch fünf Neue gekommen.“

Von Laden zu Laden

Der breite weißgeflieste Bürgersteig vor dem Syriza-Büro hat sich gefüllt. Gegen 19.30 Uhr brechen die mittlerweile mehr als 20 Männer und Frauen zu ihrer Tour durch das proletarisch geprägte Viertel auf. An einem Stromkasten hängen zwei Männer das erste Plakat auf. Der eine hält es fest, der andere befestigt es mit einem breiten Streifen durchsichtigen Klebeband. Andere stecken Flugblätter hinter Scheibenwischer der geparkten Autos.

Ganz vorne läuft Markos Bolaris, an seiner Seite Giannis Panopoulos. Er ist heute für den angehenden Abgeordneten eine Art Türöffner. Denn Panopoulos war einst in Sykies Bezirksbürgermeister. „Das ist lange, lange her“, sagt der ältere gesetzte Herr mit den grauweißen Haaren lachend. Damals war er noch Mitglied der KKE, der kommunistischen Partei Griechenlands. In dem Viertel ist er offenkundig bis heute gut angesehen. Von Laden zu Laden zieht Panopoulos mit Barolis, überall wird er herzlich begrüßt.

Allerdings: In allzu viele Läden können die beiden und der Rest der Truppe nicht gehen. „40 Prozent der Geschäfte in diesem Viertel haben in den vergangenen Jahren geschlossen“, sagt Dimitris Routos. Überall sind Fensterfronten vernagelt und vergittert. Die Gegend war nie so schick wie Thessalonikis Innenstadt mit seinen gut besuchten Partymeilen und den schönen Cafés an der Uferpromenade. Aber die gefliesten Böden und die oberen Stockwerke der Häuser erinnern an den einstigen bescheidenen Wohlstand. Übriggeblieben ist davon sehr wenig.

Routos zeigt auf die vielen leeren Verandas in den ersten Etagen der Häuser. „Früher fand dort das Leben statt, alle waren draußen“, sagt er. Seit der Krise zögen sich die Menschen mehr und mehr zurück. „Viele sind depressiv.“ Routos ist in diesem Stadtteil geboren, er hat sein Leben hier verbracht.

Viele Stunden bei einem Kaffee sitzen

Was es hier noch recht zahlreich gibt sind, sind die Kafenio. Die äußerst spartanisch eingerichteten traditionellen griechischen Kaffeehäuser sind eine Männerdomäne; Frauen ist der Zutritt zwar nicht verboten, aber wenn sich eine dorthin verirrt, erntet sie irritierte Blicke. Nicht nur deswegen gelten sie vielen Griechen als aus der Zeit gefallen. Aber seit der Krise werden die Kafenio wieder stärker frequentiert. „Viele Arbeitslose zieht es dahin“, sagt er. „Sie können dort viele Stunden bei einem Kaffee für einen Euro verbringen.“

So sparsam muss Routos nicht sein. Als Bankangestellter hat er anständig verdient. Und trotzdem hat auch ihn die Krise getroffen. „Ich bekomme 60 Prozent weniger Rente als mir zugestanden hätte“, sagt Routos. Mit seinen nun 1.350 Euro steht er immer noch vergleichsweise gut da. „Ich weiß, dass es vielen schlechter geht.“

Auch neben dem stockdunklen KKE-Büro befindet sich ein Kafenio. Eine Gruppe älterer Männer sitzt an drei Tischen und spielen Karten. An der Wand hängt ein großer Fernseher, eine politische Diskussion flimmert über den Bildschirm. Hingeschaut wird nur selten. Auch von Routos lassen sich die Männer nur kurz von ihrem Spiel ablenken. Er wechselt zwei, drei Worte, legt seine Flugblätter auf die Tische und zieht weiter. Im nächsten Kafenio dauert es etwas länger: Ein paar seiner alten Schulfreunde sitzen hier. Dafür geht es in einem Friseursalon wieder schneller. Die Friseurin und ihre Kundin würdigen Routos keines Blickes. Er legt ein Flugblatt auf einen Beistelltisch und verabschiedet sich höflich.

Kurz vor Ende des Wahlkampfrundgangs bleibt Routos vor einem Gebäude mit zwei Geschäftseinheiten stehen. Ein Laden ist geschlossen, offensichtlich schon eine ganze Weile. Es war mal ein Blumengeschäft. Neben griechischen Buchstaben sind an der Fassade noch Pflanzensymbole und der Schriftzug „Anna“ zu erkennen. Im andern leuchtet helles Licht. Durch die großen Fensterscheiben sind Aktenschränke zu sehen. Ein Mann sitzt am Schreibtisch. „Diesen Laden wird es immer geben“, sagt Dimitris Routos. Es ist ein Beerdigungsinstitut.

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