Grenzkontrollen zu Polen: Die Ausweise, bitte!
Seit zwei Wochen finden an der Grenze zu Polen stationäre Kontrollen statt. In Frankfurt (Oder) mehren sich skeptische Stimmen.
Dabei hätte das „Sorry“ gerade jetzt ganz gut gepasst. Als kleine Entschuldigung zum Beispiel für die etwa 50 Fahrgäste eines Reisebusses aus Gorzów Wielkopolski. Auf dem Weg nach Frankfurt (Oder) wird der Fahrer von einer Beamtin und einem Beamten der Bundespolizei am Donnerstag zur Seite gewunken. Platz für Platz gehen die Beamten durch den Bus und kontrollieren die Papiere. Nach zehn Minuten Pause darf der Bus weiterfahren. Ein bisschen Abschottung ist auch an der deutsch-polnischen Grenze das neue Normal.
Sechzehn Jahre nach dem Beitritt Polens zum Schengenraum wird seit dem 16. Oktober an Oder und Neiße, aber auch an der Grenze nach Tschechien wieder kontrolliert. Schon Monate zuvor hatte Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen (CDU) stationäre Kontrollen gefordert.
Nun steht ein weißes Zelt auf dem Grünstreifen an der Słubicer Straße in Frankfurt. Wer den Beamten verdächtig vorkommt, wird dort genauer kontrolliert, als es bei den Fahrgästen im Bus aus Gorzów der Fall ist.
In einer ersten Bilanz gab die Bundespolizei bekannt, dass allein am vergangenen Wochenende 225 illegal eingereiste Personen festgestellt worden seien. Am Freitag teilte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) mit, dass an den ersten zehn Tagen bundesweit insgesamt 3.700 unerlaubte Einreisen festgestellt worden seien.
Immer wieder gibt es Staus
Am Donnerstag trafen sich in Frankfurt Vertreter von Wirtschaft und Polizei mit der grünen Abgeordneten Sahra Damus. Dabei räumt ein Vertreter der IHK Ostbrandenburg ein, dass die Kontrollen Auswirkungen auf die Arbeitspendler aus Polen hätten. „Es kommt zu einer Verlängerung der Arbeitswege“, so IHK-Vertreter Knuth Thiel gegenüber dem RBB. „Auch im Wirtschaftsverkehr, wenn Kleintransporter und Lkws kontrolliert werden.“
Thiel fordert deshalb, die Kontrollen so zu organisieren, dass die Behinderungen möglichst überschaubar bleiben. Vor allem an der A12 bilden sich immer wieder lange Staus.
Kleinere Staus gibt es am Donnerstag auch auf der Frankfurter Oderbrücke. Immer wieder müssen polnische Transporter ihren Laderaum öffnen. Weil die Fahrbahn auf eine Spur verengt ist, stockt der Verkehr dahinter.
Die grenzüberschreitende Buslinie 983, die zwischen dem Frankfurter Bahnhof und Słubice pendelt, könne ihren Fahrplan aufgrund der Staus oftmals nicht einhalten, sagte Verkehrsleiter Philipp Schacht dem RBB. Demzufolge seien vor allem am Wochenende mehrere Linien ausgefallen, so Schacht weiter. Die Fahrgäste, die dadurch ihre Züge nicht mehr erreichen, seien Schlacht zufolge „stinksauer“.
Noch gibt es allerdings wenig Hoffnung, dass die Kontrollen bald wieder der Vergangenheit angehören. Bereits am Mittwoch hatte Faeser angekündigt, die zunächst auf zehn Tage angesetzten stationären Kontrollen um weitere 20 Tage zu verlängern. Selbst das ist dem Brandenburger Innenminister zu wenig. „Spätestens im Dezember will Frau Faeser die Maßnahme anscheinend wieder aufheben“, sagte Stübgen am Mittwoch der dpa. Das werde so nicht funktionieren, meinte er. „Wir brauchen die Möglichkeit, Grenzkontrollen durchzuführen, solange die europäischen Maßnahmen zur Begrenzung der Migration nicht wirken.“
Muss sich die Doppelstadt Frankfurt und Słubice, die an der Brücke über die Oder mit dem Slogan „Ohne Grenzen“ für sich wirbt, also auf eine langfristige Rückkehr des Schlagbaums einrichten? Einem Frankfurter, der mit seinem Hackeporsche vom Einkauf aus Słubice zurückkehrt, wäre das recht. „Das hätten die schon vor ein paar Jahren machen sollen“, schimpft er.
Anders sieht es Frankfurts Oberbürgermeister René Wilke (Linke). „Die Verlängerung der Maßnahmen ändert nichts daran, dass stationäre Grenzkontrollen untauglich sind, den Zugang geflüchteter Menschen nach Deutschland zu begrenzen“, lässt Wilke am Mittwoch mitteilen und spricht von einem „rein symbolischen Effekt“.
Recht gibt ihm dabei der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP) für die Bundespolizei in Berlin und Brandenburg, Lars Wendland. Auch Wendland wendet sich gegen langfristige stationäre Kontrollen an der Grenze. Die Bundespolizei sei „über dem Limit“, sagt er im Interview mit dem Inforadio des RBB. „Bei den Grenzkontrollen haben wir schon Personal von überall aus Deutschland. Und ich behaupte, wir halten das nicht allzu lange durch.“
Indirekt bestätigt Wendland Wilkes These, dass die Kontrollen wenig am Zugang Geflüchteter ändern. „Dass durch diese Kontrollen weniger Migranten nach Deutschland kommen, das ist ein Trugschluss“, sagt Wendland und verweist auf das Recht jedes Einzelnen, beim Grenzübertritt Asyl zu beantragen.
Für Brandenburg würde sich die Situation sogar noch verschärfen, sagt der Polizei-Gewerkschafter.
„Bisher haben sich die Migranten in ganz Deutschland gemeldet und wurden überall aufgenommen oder sie sind weiter in andere Bundesländer oder in andere europäische Länder gereist“, sagt Wendland. „Aber ab jetzt werden wir jeden in Brandenburg aufnehmen müssen, der an einer Kontrolle aufgegriffen wird.“
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