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Grenze bei Elternrente

■ Sozialgericht wies Klage von Türkin ab

Mit einer ungewöhnlichen Argumentation hat eine Türkin in Bremen versucht, die Weiterzahlung einer Elternrente der gesetzlichen Unfallversicherung zu erstreiten. Sie wäre von ihrer Tochter langfristig unterstützt worden, wenn diese nicht bei einem Brand ums Leben gekommen wäre, machte die Frau geltend. Weil die Tochter zum Zeitpunkt ihres Todes mit 20 Jahren noch ledig war, hätte sie wahrscheinlich nie mehr geheiratet und ihre Mutter daher weiterhin versorgt.

In seinem Berufungsurteil (Az.: L2U 24/96) verwies das Bremer Landessozialgericht nun jedoch auf die Statistik: Danach bestehen im Heiratsverhalten zwischen deutschen und türkischen Familien keine wesentlichen Unterschiede. Das Gericht meinte vielmehr, daß die Tochter normalerweise mit 28 Jahren geheiratet und spätestens zwei Jahre später ein Kind bekommen hätte, wenn sie nicht zuvor auf tragische Weise gestorben wäre. Die Elternrente sei daher nicht unbegrenzt zu zahlen. Die Tochter war 1984 bei einem Brand in einem Bremer Chemiebetrieb ums Leben gekommen.

Der Versicherungsträger ging zunächst davon aus, daß die Mutter von der Tochter durch deren Tätigkeit als Fabrikarbeiterin unterstützt worden wäre. Nach zehn Jahren wurde die Rentenzahlung eingestellt. Begründung: Im Normalfall hätte die Tochter inzwischen geheiratet und wegen eines eigenen Kindes dann der Mutter keinen Unterhalt mehr zahlen können.

Die Klägerin sah dies anders: Türkische Mädchen würden traditionell schon mit 14 Jahren heiraten. Daher sei es sehr unwahrscheinlich, daß ihre damals 20 Jahre alte und ledige Tochter später überhaupt noch geheiratet hätte. Falls die Tochter dann ein Kind bekommen hätte, wäre sie trotzdem weiter arbeiten gegangen. In türkischen Familien sei es in diesen Fällen üblich, daß die Großeltern die Kinder versorgten.

Das Gericht verwies jedoch darauf, daß nach den Gesetzen beider Staaten der Unterhalt eines Kindes Vorrang vor der Versorgung der Eltern hat. dpa

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