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WühltischGreifen, danebenfassen

■ Conny's Container oder Die Melancholie des Mangels

Die Supermärkte der 90er Jahre sind monumentale Behausungen des Überflusses. Ihre Betonmauern ummanteln die „ungeheure Warensammlung“, mit der Karl Marx einst den Reichtum der kapitalistischen Gesellschaft kennzeichnete. Leere Regale sind nicht erlaubt: Die prall gefüllten Kaufhallen halten jederzeit mehr bereit, als ein Einkaufszettel fassen kann. Die Marktwirtschaft erlebt in diesen Zentren ihre höchste Steigerungsform – und wird zur Supermarktwirtschaft.

Doch im Schatten der Mega- Stores wuchert das Wildkraut Subversion. In Stadt und Provinz haben kleine Geschäfte, die auf dem Nährboden des Einzelhandels gewachsen sind, dem Prinzip der Überversorgung den Kampf angesagt. Diese Läden fallen dem Vorübergehenden zumeist deswegen ins Auge, weil sie den Bürgersteig mit sperrigen Präsentationskörben, Kleiderständern und Warentischen vollstellen, an denen große Pappschilder Großzügigkeit verheißen: „Jedes Teil nur 1 DM“. Der unkonzentrierte Blick des Einkäufers, der sich tagtäglich von Angebot zu Angebot hangelt, verliert sich im farbigen Durcheinander des Sonderpostenmosaiks aus Haarbürsten, Gefrierdosen und quaderförmigen Notizblöcken. Überwiegend im Geist der Alliteration getauft, widmen sich Rudis Reste Rampe oder Conny's Container den Randbezirken der Überflußgesellschaft. Im allgemeinen Sprachgebrauch zu Ramschläden degradiert, stellen diese Unternehmen das marktwirtschaftliche Prinzip vom Kopf auf die Füße. Hier bestimmt nicht das schmale Angebot die Nachfrage; es wird gekauft, was da ist, zur Not ein Glaseierbecher „Henne“ für sechs Mark fünfzig oder eine selbstklebende Münzbox für das Amaturenbrett für drei Mark fünfundvierzig. Die Strategie der schnellen Bedürfnisbefriedigung wird durchkreuzt und durch die der Mangelwirtschaft eigene Melancholie ersetzt. Der wehmütige Konsument wartet auf die unsichtbare Hand des Zufalls, die ihm einen Restposten Kleiderbügel zur rechten Zeit beschert.

Die Funktionsweise der Resteläden greift auf den Keynesianismus zurück, dessen staatswirtschaftliche Theorie sie jedoch auf den Einzelhandel reduziert: Die Wühltischhallen bedienen ihre Kunden antizyklisch. In ihren Schaufenstern bieten sie die verstaubten Überreste vom Wohlstand der Nation an, die den Besitzern der Trendshops in den Fußgängerzonen und Einkaufszentren die Schamesröte ins Gesicht treiben würden. Die schwarzlackierten, achteckigen Teller und Schüsseln, die in den 80er Jahren die Grundausstattung von zeitbegeisterten Wohngemeinschaften sicherten, warten friedlich neben einem Gartenzwerg auf ihre Käufer.

Auf den langen Tischen, die das Ladeninnere strukturieren, findet sich nur, was gerade nicht mehr en vogue ist. Meterweise Geschmacklosigkeiten zwingen den Kunden in vorgeschriebene Bahnen, vorbei an farbenfroher Knabenunterwäsche mit Wimpelmuster und einem Set Gläser, die mit dem geschwungenen Werbeschriftzug eines allzu bekannten Erfrischungsgetränkes verziert sind. Das unschuldige Nebeneinander besiegt die Differenz der Dinge und verbannt die Frage nach Gebrauchs- und Tauschwert aus dem Resteladen.

Der Kunde wählt nicht aus; er greift zu, faßt allerdings immer daneben: Sollten das Geschirr der kühlen 80er oder die Vorgartenkultur der Adenauer-Ära ein Revival erleben, werden Teller und Zwerg in modischere Shops überwechseln. Conny's Container dagegen bedient sich neu im Fundus der Ladenhüter. Kolja Mensing

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