Grégory Salles „Superyachten“: Auswüchse des Kapitalozäns
Superyachten symbolisieren Überfluss und Maßlosigkeit. In seinem Buch untersucht Grégory Salle, wie sie Ungleichheit auf groteskeste Art manifestieren.
Zufällig ist es das Buch der Stunde: Denn während Ruben Östlunds bittersüße Eat-The-Rich-Kommödie „Triangle of Sadness“ über hyperbourgeoise Gäste und prekärgedrillte Crewmitglieder einer auf halber Filmstrecke untergehenden Superyacht seit Wochen die Kinosäle füllt, erscheinen dieser Tage die wissenschaftlichen Fußnoten zum Thema.
Mit dem Band „Superyachten. Luxus und Stille im Kapitalozän“ unternimmt der französische Soziologe und Politikwissenschaftler Grégory Salle den von ihm so benannten Versuch, Superyachten ernst zu nehmen.
Aber nicht wegen des Cringe der kitschig-dekadenten Designaspekte (Relings und Swimmingpool-Böden aus Glas; Duschköpfe, aus denen je nach Bedarf Wasser oder Champagner spritzt) oder einer sich in Angaben von Längen (bis 180 Meter), Kapazitäten (dutzende Besatzungsmitglieder), Namen („A“) oder Baukosten (die erste Milliarde ist bald angekratzt) erschöpfenden anekdotischen Empörung über Superlative.
Vielmehr definiert Salle in seinem so spöttischen wie zuletzt über den Umweg eines Witzes schlechterdings leise nach der Guillotine rufenden Buch, wie sich in Superyachten Ungleichheiten „auf die denkbar vielsagendste und auch groteskeste Art“ manifestieren.
Symptom allen Übels
Als Auswuchs des Kapitalozäns, des Zeitalters eines auch die Klimakrise produzierenden Kapitals, seien Superyachten nämlich vielmehr ein Symptom allen Übels als dessen schwimmende Heimstatt, worauf Salle in durchgehend bissig-unterhaltsamer Weise mit manchmal schrägen Sinnbildern verweist: „Man zieht am dünnen Faden der Superyachten, und das ganze Knäuel des fossilen Kapitalismus wickelt sich ab.“
Grégory Salle: „Superyachten: Luxus und Stille im Kapitalozän“. Suhrkamp, Berlin 2022, 170 Seiten, 16 Euro
Nicht das Aussehen der Mega- und Gigayachten ist es demnach, woran sich die Kritik an diesen eigentlich „belanglosen“ Objekten festmachen lasse sollte, sondern der Aspekt einer gewünschten Sichtbarkeit bei gleichzeitiger Unsichtbarkeit: Man zeigt sich auf dem „Milk Run“, dem Saisonkalender der Klepto- und Plutokraten, zumeist irgendwo vor Saint-Tropez oder Monaco (wahlweise: Kroatien, Karibik, Indischer Ozean), gleichzeitig bleibt man möglichst exklusiv und unsichtbar, ist exponiert und abgeschieden, den Gesetzen vom Hypermobilität und Offshore-Ökonomie folgend.
Wer möchte schon aufgrund von „Midnight Dumping“, illegalen Ablassens schädlicher Stoffe, seine Yacht beschlagnahmt wissen, zumal Lobbyverbände sogar mit einem „Superyacht Sustainability Report“ aufwarten?
Das Problem dabei, so Salle, seien nicht so sehr Befunde wie jener, dass die 300 größten Superyachten im Jahr mehr CO2 emittieren als alle Einwohner Burundis, sondern der Umstand, dass im Vergleich klein erscheinende Umweltvergehen auch aus ökonomischem Interesse der (bei Salle vor allem französischen) Behörden kaum nachgewiesen würden, die Vergehen so straffrei blieben.
Hoffnung auf Neptungras
Diese Gegenüberstellung erscheint schief, enthält aber den Schlüssel zu Salles dezidiert ökosozialistischer Lesart des Superyachten-Phänomens: Er findet einen Verbündeten im Kampf gegen die den Ökozid befeuernden Schiffe im Neptungras, einem Seegras, das pro Quadratmeter mehr Sauerstoff produziere als ein Quadratmeter des Amazonas.
Auch aufgrund illegalen Ankerns von Superyachten werde es um das Jahr 2050 ausgestorben sein, mit allen Folgen für das globale Ökosystem. Würde hier nicht mehr Straflosigkeit walten, könne der Blick aufs Mittelmeer bald wieder frei sein. Die Küsten, an denen das Neptungras nicht wächst, warten dann allerdings schon.
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