„Green Book“ von Peter Farrely im Kino: Das Klo benutzen darf er nicht
Ein Roadtrip durch die US-Südstaaten der 60er-Jahre. Der Film erzählt die Geschichte von zwei Männern, die an- und miteinander wachsen.
Zwei unterschiedliche Charaktere begeben sich gemeinsam auf eine Reise, die sie beide zum Besseren verändert. Ein klassisches Format, im Kino gern als Roadmovie erzählt, das durch die inhärente Bewegung automatisch Dynamik erzeugt und durch das Stop-and-go einer längeren Fahrt, meist mit dem Auto, eine organische Szenenfolge erzeugt. Konventioneller, auch harmloser kann Kino, gerade Hollywood-Kino, kaum sein, insofern mag man Peter Farrellys „Green Book“ auf den ersten Blick für harmlose Unterhaltung halten, doch den Qualitäten und Problemen dieses klassischen Roadmovies wird man damit nicht gerecht.
„Green Book“ erzählt eine wahre Geschichte, zumindest so wahr, wie ein Unterhaltungsfilm wahr sein kann, der eine historische Episode in 130 Minuten packt. Es geht um zwei Männer, die 1962 in New York aufbrechen, um für acht Wochen durch den US-amerikanischen Süden zu fahren. Der eine, der Fahrer, heißt Tony „Lip“ Vallelonga und ist weiß, der andere, sein Fahrgast, Dr. Don Shirley, ist klassischer Konzertpianist und schwarz.
Tony ist italienischer Abstammung, lebt mit seiner Familie im Arbeiterbezirk Bronx, ist ungebildet, arbeitet meist als Rausschmeißer in Nachtclubs und ist vom beiläufigen Rassismus der Zeit geprägt. Don lebt allein mit seinem Butler in einem Apartment über der Carnegie Hall, mitten in Manhattan, ist gebildet und umgibt sich gern mit schönen Objekten.
"Green Book - Eine besondere Freundschaft": Kinostart in Deutschland am 31. Januar 2019. Regie: Peter Farrelly. Mit Viggo Mortensen, Mahershala Ali u. a. USA 2018, 131 Min.
Um finanziell über die Runden zu kommen, nimmt Tony das Angebot an, Don durch den Süden zu kutschieren, geleitet vom titelgebenden „The Negro Motorist Green Book“, einem Reiseführer, der Motels und Restaurants auflistete, in die Schwarze im amerikanischen Süden einkehren konnten, sofern sie denn überhaupt im Süden unterwegs sein wollten oder mussten. Denn das sollte man nie vergessen, gerade auch weil der Film selber es gelegentlich zu vergessen scheint: Anfang der 60er Jahre herrschte im Süden Jim Crow, sah sich die schwarze Bevölkerung mit blankem, unverhohlenem Rassismus konfrontiert, gab es regelmäßig Lynchmorde.
Eine intime Geschichte
Von all dem ist in „Green Book“ wenig zu spüren, hier beschränkt sich der Rassismus, der Don Shirley entgegenschlägt, vor allem auf der Notwendigkeit, in heruntergekommen Motels zu übernachten und nicht in dem Luxus, den er als erfolgreicher Pianist gewohnt ist. Dass der Blick nicht auf die Brutalität des Rassismus gerichtet wird, hat einen Grund: Farrelly will eine persönliche, eine intime Geschichte erzählen, die nicht vom großen Ganzen erzählt, sondern von zwei Männern, die an- und miteinander wachsen.
Gespielt wird das Duo von Viggo Mortensen, der zwar Däne ist, aber dank ausgeprägter Wampe und dickem Akzent ein geradezu idealtypisches Klischee eines etwas lauten, etwas oberflächlichen, aber doch herzensguten Italoamerikaners abliefert. An seiner Seite spielt Mahershala Ali, der für seine Rolle in „Moonlight“ mit dem Oscar ausgezeichnet wurde und ebenso wie Mortensen auch in diesem Jahr wieder nominiert ist.
Was kaum verwundert, denn diesem exzeptionellen Darsteller-Duo gelingt es oft, die konventionelle Struktur der Erzählung, die Klischeehaftigkeit der Figuren vergessen zu machen. Anfangs beäugen sie sich noch skeptisch, sind nicht mehr als Zweckgemeinschaft, doch nach und nach kommen sie sich näher.
Rassismus als beiläufiges Phänomen erzählt
Das führt zu Szenen, in denen der gebildete Don im Geiste Cyranos Briefe an Tonys Frau diktiert, die zu Hause in New York für erstaunte Begeisterung sorgen. Das führt aber auch zu Szenen, in denen Tony entsetzt darüber ist, dass Don populäre schwarze Musiker wie Aretha Franklin oder Chubby Checker nicht kennt, ihn in einem Moment erstaunlicher Instinktlosigkeit auf den Geschmack von gebratenem Hühnchen bringt, einem Produkt, das wie kaum ein anderes mit dem oberflächlichen Rassismus Amerikas verbunden ist.
In solchen Momenten scheint die Tendenz klar zu sein: So sehr Tony auch beiläufiger Rassist ist, als viel größeres Problem erscheint es, dass Don nicht schwarz genug ist. Nicht nur, dass er gebildet ist und lieber Klassik als Jazz spielt: Erst als er beginnt, sich wie ein „normaler“ Schwarzer zu verhalten, wird der anfangs reichlich abgehoben wirkende Shirley erst wirklich zum Mensch.
Über all diese Fragen wird in Amerika seit der Premiere von „Green Book“ im letzten September gestritten, vor allem deshalb, weil sich Peter Farrellys Film in einem unübersichtlichen Filmjahr inzwischen zum Geheimfavoriten auf den Oscar gemausert hat. Diverse wichtige Preise hat „Green Book“ schon gewonnen, den Golden Globe, die Auszeichnung der Produzenten-Gilde, erhielt zwar nur fünf Oscar-Nominierungen, doch das muss nichts heißen.
Weißer Regisseur, weiße Perspektive
Ein zwar konventioneller, aber doch souveräner Unterhaltungsfilm ist „Green Book“ zwar ohne Frage, doch die Oscar-Verleihung ist in den letzten Jahren – wie allzu viele kulturelle Debatten – immer mehr zu einem Politikum geworden, bei dem es weniger auf künstlerische Qualitäten ankommt, sondern auf die politische Haltung, auf das „woke“-sein. Als Film über das Verhältnis von Schwarz und Weiß passt „Green Book“ auf den ersten Blick zwar in den Zeitgeist, doch nicht nur der Regisseur ist ein weißer Mann, auch die Drehbuchautoren sind Weiße, die hier zu allem Unglück auch noch eine Geschichte aus weißer Perspektive erzählen.
Und gerade in Zeiten, in denen verstärkt über Fragen der Repräsentation diskutiert wird, erscheint dies besonders heikel: Darf ein weißer Regisseur auf die hier zu sehende Weise über Rassismus im amerikanischen Süden erzählen? Darf er vor allem eine schwarze Figur dazu benutzen, um zu erzählen, wie ein weißer Mann seinen beiläufigen Rassismus überwindet und toleranter wird?
Und vor allem: Ist die Welt, die „Green Book“ zeigt, nicht viel zu liebreizend? Ist es nicht fahrlässig, Rassismus nur anzudeuten, ihn in einem eher humoristischen Buddy-Film zu verhandeln, den man durchaus als Feelgood-Film über Rassismus beschreiben könnte?
Komplexer, als auf den ersten Blick
Einerseits richtige Fragen, andererseits wird dies den Qualitäten von „Green Book“ nicht ganz gerecht. Denn immer wieder wird die Scheinheiligkeit angedeutet, mit der Shirley konfrontiert wird: Zwar wird sein künstlerisches Talent auch von manchen Weißen, die sich vermutlich für besonders liberal und weltoffen halten, geschätzt, doch die Toilette im Haus darf er als Schwarzer selbstverständlich nicht benutzen.
Ohne große Gedankensprünge machen zu müssen, darf man hier durchaus auch an heutige selbsternannte Liberale in Amerika, aber natürlich auch in Deutschland denken, die sich für aufgeklärt halten, fremde Kulturen schätzen und bereisen, deren Weltoffenheit dann aber oft schnell vorbei ist, wenn die Tochter einen schwarzen Freund mit nach Hause bringt oder nebenan ein Araber einzieht.
Gerade Mahershala Alis Darstellung des innerlich zerrissenen Don Shirley ragt über die Konventionen des Films hinaus: Isoliert, allein, möglicherweise auch mit unterdrückter Homosexualität kämpfend, trinkt Shirley jeden Abend eine Flasche Whiskey, verbietet es sich, angemessen auf all den beiläufigen Rassismus zu reagieren, den er Tag für Tag erlebt, um die Tour nicht zu gefährden, die zwar nur ein Symbol ist, aber vielleicht doch mehr. Gleiches ließe sich auch über „Green Book“ sagen, der leicht als oberflächlich abzutun ist, es in manchen Aspekten auch ist, der aber in vielem auch deutlich komplexer ist, als es auf den ersten Blick erscheint.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen