piwik no script img

Grautöne, wie es sie nicht mehr gibt

Im Depot des Deutschen Technikmuseums Berlin befindet sich seit einem Vierteljahrhundert eine Sammlung von Fotokopierern, die der Künstler Klaus Urbons zusammengetragen hat. Gezeigt wurde sie noch nie. Über die Entdeckung und das Verschwinden eines Mediums

Klaus Urbons im Jahr 2016 im Museum für Fotokopie, porträtiert von Tom Carpenter mit einem Haloid Xerox

Von Tilman Baumgärtel

Die erste Begegnung von Klaus Urbons mit einem Fotokopierer war unspektakulär: „Das war während meines Studiums in den 70er Jahren. Da gab man seine Vorlage ab und konnte sie irgendwann später abholen. Selbst machen konnte man nichts.“

Nichts deutete damals darauf hin, dass der Kopierer bald seinen Lebensweg prägen würde. Das änderte sich erst, als er 1976 nach Abschluss in einer Werbeagentur in Düsseldorf zu arbeiten begann. Dort gab es einen Kopierer – der stand allerdings in der Buchhaltung. Doch eines Tages zeigte ein Kollege Urbons ein gerahmtes Bild von seinem Ohr, das er mit dem Kopierer gemacht hatte.

„Ich dachte: Mensch, ist ja irre – das ist viel plastischer als ein Foto. Die Grautöne waren unglaublich gut, weil dieser Kopierer mit flüssigem Toner arbeitete“, erinnert sich Urbons. Der heute 72-jährige Künstler war angefixt: Er ließ sich zu einer Wochenendschicht einteilen, um den Kopierer für sich alleine zu haben, und begann, seine Hände zu kopieren. Im Februar 1978 machte er seine erste Ausstellung mit den „Handzeichen“, die er am Kopierer geschaffen hatte: „Das war ein völliger Bruch mit dem, was ich vorher gemacht hatte. Aber mich reizte das für mich Unbekannte und dass die Kunst ohne großes Zutun entstehen konnte.“

Knapp fünfzig Jahre später ist Urbons durch seine Arbeit mit dem Kopierer ein international bekannter Künstler und gilt als einer der Begründer der Copy Art. Er hat einen detaillierten Wikipedia-Eintrag, mehrere Bücher zum Thema veröffentlicht, wurde 2017 mit dem Ruhrpreis für Kunst und Wissenschaft ausgezeichnet und betreibt bis heute das Museum für Fotokopie in seiner Heimatstadt Mülheim an der Ruhr. Dort hat er nicht nur eine der weltweit größten Sammlungen von Copy Art zusammengetragen, sondern auch eine international einzigartige Sammlung der Kopierer, mit denen diese Kunst geschaffen wurde. Einen Teil davon übernahm 2000 das Berliner Technikmuseum.

Dort stehen die gut 100 Geräte bis heute gut verpackt in einem Außenlager des Museums in Reinickendorf. Verteilt auf mehrere Hochregale nehmen die Kisten einen ganzen Raum in den Hallen eines ehemaligen Motorenherstellers aus den 1930er Jahren ein. Ausgestellt wurden die Maschinen in dem Vierteljahrhundert, seit sie an das Technikmuseum gingen, noch nie. „Die Drucktechnik nimmt im Museum nur einen kleinen Raum ein“, sagt Peter Schwirkmann, der Leiter der Sammlung. „Aufgrund des Platzmangels beschränken wir uns auf Ausstellung und Vorführung von einigen Verfahren wie Hochdruck und Steindruck. Wenn wir könnten, wie wir wollten, würden wir auch Copy Art zeigen.“

In der Tat sind Fotokopierer bis heute so sehr Alltagsgegenstand, dass man sie zunächst nicht für museumswürdig halten würde. Besondere Mühen bei der Gestaltung der Geräte, die sperrige Namen wie Printomat, Licophot oder Telecopymat tragen, haben sich die technisch orientierten Hersteller auch nicht gegeben – kein Kopierer ist eine Augenweide, die von bekannten Designern gestaltet wurde. Hier waren Ingenieure am Werk – auch wenn der Canon NP-1100 schon ein wenig wie eine Skulptur von Donald Judd aussieht.

Doch was ihre kulturhistorische Bedeutung betrifft, können sie locker mit vielen der interessanter anzusehenden Exponate im Technikmuseum mithalten. Die amerikanische Medienwissenschaftlerin Kate Eichhorn hat in ihrem Buch „Adjusted Margin: Xerography, Art, and Activism in the late 20th Century“ aufgezeigt, wie Fotokopierer marginalisierten Gruppen eine Stimme gegeben haben. Dank der leicht zugänglichen und billigen Drucktechnik konnten Menschen publizieren, an denen traditionelle Medien und Verlagshäuser kein Interesse hatten.

In den USA nutzten die Schwulenbewegung und vor allem der Aids-Aktivismus der 1980er Jahre den Kopierer, um Flugblätter, Sticker und Zines mit ihren politischen Botschaften zu produzieren. Und auch die Punks in Europa, aber auch andere Subkulturen kommunizierten über Fanzines aus dem Copyshop miteinander. „Die Xerographie macht jeden zum Autor, Verleger und Leser zugleich“, hatte Marshall McLuhan schon 1967 dekretiert. Die Netzwerke, die durch diesen Austausch von Druckerzeugnissen entstanden, trugen zur Entstehung einer Gegenöffentlichkeit bei. Aus heutiger Perspektive sind sie auch ein Vorläufer der sozialen Medien der Gegenwart.

Die Rolle, welche die Kopie in der bildenden Kunst gespielt hat, mag weniger offensichtlich sein. Aber technisch betrachtet ist der Kopierer – im Grunde eine Kamera, die drucken kann – genauso eine Drucktechnik wie Aquatinta, Siebdruck, Li­nolschnitt oder Offset. All diese Techniken wurde von Künstlern ausgiebig erprobt und oft an ihre Grenzen getrieben. Und Klaus Urbons war nicht der einzige Künstler, der die Fotokopie als Medium entdeckte.

Schon 1963 schuf der Italiener Bruno Munari mit dem gerade auf den Markt gekommenen Xerox 914 eine Serie von Grafiken, die er in einem Buch veröffentlichte. Joseph Beuys benutzte bleiche Schwarz-Weiß-Kopien, um einen Zyklus mit betörenden Porträts von Greta Garbo zu schaffen. David Hockney schaffte sich gleich einen eigenen Farbkopierer an, mit dem er zu Hause Drucke produzieren konnte. Und Sigmar Polke bearbeitete kurz vor seinem Tod mit dem Kopierer Motive aus seinem Werk.

Andy Warhol machte 1969 mit einem Münzkopierer Selbstporträts. Die ihn begleitende Birgit Berlin kopierte zum Entsetzen des Ladeninhabers ihre Brüste. Das Kopieren eigener Körperteile ist sowieso ein eigenes Subgenre in der Geschichte der Kunst mit dem Kopierer: Schon 1964 reproduzierte der amerikanische Maler Edward ­Meneeley als Teil seiner ersten Mappe mit Fotokopie-Arbeiten sein Hinterteil, zehn Jahre später schuf die amerikanische Künstlerin Sonia Sheridan eine Arbeit, die ihre mit den Mitteln eines Farbkopierers verfremdete Vulva zeigte.

Künstlerinnen und der Kopierer sind sowieso ein ganz eigenes Kapitel in der Kunstgeschichte, wenn auch ein bisher weitgehend ungeschriebenes. Die bereits erwähnte Sonia Sheridan verhalf dem Fotokopierer als Kunstmedium früh zu akademischer Anerkennung, als sie an der School of the Art Institute of Chicago 1970 das „Generative Systems Department“ gründete, an dem Studierende am Kopierer und anderen technischen Geräten ausgebildet wurden.

Aus heutiger Perspektive sind sie auch ein Vorläufer der sozialen Medien der Gegenwart

Barbara T. Smith lieh sich 1965 einen Xerox 914 in ihr Vororthäuschen in Pasadena aus und machte aus dem Familienwohnzimmer eine Druckerwerkstatt. Für Smith war das nicht nur ein künstlerischer Befreiungsschlag, sondern auch das Ende ihrer Ehe: Nachdem sie eine Werkserie mit dem Titel „Xerox Body Prints“ beendet hatte, trennte sie sich von ihrem Mann und wurde neben Chris Burden und Nancy Buchanan eine der wichtigsten Performancekünstlerinnen in Südkalifornien.

Feministische Impulse prägen auch die Arbeit von Pati Hill, die in elegischen S/W-Arbeiten die Requisiten des weiblichen Alltags in Szene setzte. Die tiefen Schwarztöne, die zu ihrem Markenzeichen wurden, erreichte sie, indem sie ihren IBM Copier II mit zu viel Toner fütterte. Überhaupt ist das Ausreizen oder die Überschreitung der technischen Möglichkeiten und Einschränkungen des Kopierers ein wichtiges Kennzeichen so gut wie aller Künstler, die mit diesem Gerät gearbeitet haben. Der deutsche Künstler Jürgen O. Olbrich vertauschte die Farbpatronen im Kopierer, um grelle Farbeffekte zu erreichen, oder baute sogar ein Aquarium in die Maschine ein, um die Fische im Becken zu kopieren.

Die Grautöne, die Klaus Urbons einst an der Kopie begeistert hatten, kriegt keiner der heutigen digitalen Kopierer mehr hin. Der Infotec 1304, der am Beginn seines Lebenswerks stand, wurde mit flüssigem Toner betrieben. „Aber irgendwann hat man eingesehen, dass es schlecht für die Büroluft ist, wenn da lauter Lösungsmittel verdampfen“, erzählt Urbons. Weil jeder Kopierer eigene Eigenschaften hat, die von Künstlern ge- und missbraucht wurden, hat er seine Sammlung darum einst angelegt. Dafür fuhr er jahrelang quer durch Deutschland, kaufte mit eigenem Geld rare Geräte oder nahm Unternehmen ausrangiertes Equipment ab.

Heute regt sich neues Interesse an dem Maschinenpark, der ihm nach dem Auszug der Hälfte seiner Sammlung geblieben ist. Manche Künstler – wie Tom Carpenter aus den USA – kommen heute von weit her, um mit seltenen Kopierern zu arbeiten. Auch sonst ist im Sinne der in die Copy Art quasi eingebauten DIY-Philosophie jeder willkommen: Bis heute ist das Museum für Fotokopie jeden Donnerstag für alle geöffnet, die sich an den gesammelten Kopierern kreativ austoben möchten.

Gemeinsam für freie Presse

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Alle Artikel stellen wir frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade in diesen Zeiten müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass kritischer, unabhängiger Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen