Grabenkämpfe bei der Linkspartei: Linke, reißt euch zusammen
Unsere Autorin findet die Streitereien in der Linkspartei etwa rund um den Ukrainekrieg peinlich. Wann endlich hört das auf?
Mit 17 bin ich aus Spanien nach Deutschland gezogen. Eines der ersten Dinge, die mir aufgefallen sind, als ich durch Kölns Straßen gelaufen bin, waren die ganzen Sticker überall: auf den Ampeln, bei den Bar-Toiletten und an den Wänden der Uni. „Gegen Homophobie“, „gegen Nazis“, „kein Mensch ist illegal“ stand da. Auf den Demos hieß es: „es gibt kein Recht auf Nazipropaganda“ und in politischen Diskussionen war dann von „Antideutschen“ und „Anti-Imperialisten“ die Rede. So legitim mir viele dieser Forderungen erschienen, so sehr stolperte ich über die Formulierungen. So viele Negationen!
Zugegebenermaßen war ich in Spanien noch nicht so politisiert. Aber wenn ich an spanische linke Bewegungen denke, dann kommt mir als erstes die Partei „Podemos“ in den Sinn, eine einstige Bürger:innenbewegung, die im Zuge der Finanzkrise von der Straße ins Parlament zog. Podemos heißt auf deutsch „wir schaffen das“ oder „wir können das“. Positive Botschaft statt Negation. Außerdem ist auch die Auswahl an linken Parteien größer, vor allem in Katalonien. Hier kann man sich zwischen den gemäßigt linken Unabhängigkeitsbefürwortern „esquerra republicana“, den radikal linken Unabhängigkeitsbefürwortern „cup“ und den linken „En Comú Podem“ entscheiden.
Wähler:innen haben hier links der Sozialdemokratie eine echte Wahl. Will ich in Deutschland links wählen, fällt es schwerer. Die Linke wäre, gemessen an ihren Inhalten, naheliegend. Schaue ich mir das Wahlprogramm der Linken für die Bundestagswahl 2021 an, finde ich dort viele solide Ideen für Umgestaltungsprojekte. Und es scheint junge Menschen mit einem riesigen Sinn für Ungerechtigkeit und guten Ideen zu geben. Wäre die Partei nicht eine Option?
Doch gucke ich dann auf den praktischen Politikbetrieb, kann ich es beim besten Willen nicht vertreten, bei dieser Partei ein Kreuz zu machen. Dabei geht es mir nicht mal um die Positionen rund um die Nato. Es geht um die Grabenkämpfe, im Großen wie im Kleinen. Aktuell macht die Linke während des Kriegs in der Ukraine Schlagzeilen: „Berliner Linkspartei distanziert sich von Parteijugend“, heißt es im Tagesspiegel. Die Linksjugend hatte getwittert: „Der Hauptfeind steht immer noch im eigenen Land!“ und dazu ein Foto von Annalena Baerbock angefügt. Die Vorsitzende der Berliner Linken reagierte: „Die Äußerungen des Berliner Jugendverbandes sind nicht akzeptabel und sie sprechen damit nicht für Die Linke“.
Nichts als Grabenkämpfe
Kritik ist wichtig. Aber die Linke hat die spezielle Neigung, erstens ihre krassen Grabenkämpfe öffentlich auszutragen und dabei zweitens allzu oft auf Konflikte im Ausland zu schauen.
Dabei drängen die Probleme, die die deutsche Bevölkerung direkt im Land betreffen. Die Coronakrise hat die Reichen noch viel reicher gemacht: Die Zahl der Millionär:innen ist im Jahr 2020 von 69.000 auf 1,5 Millionen gestiegen. Durch Cum-Ex-Betrüger:innen entgehen dem deutschen Staat Milliarden Euro an Steuereinnahmen. Gleichzeitig gelten in Deutschland aktuell 16 Prozent der Bevölkerung als arm, das heißt, sie verfügen über weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens.
Seit 2006 ist diese Zahl im Aufwärtstrend. Die Gaspreise steigen immer weiter an. Die Schere zwischen Arm und Reich zeigt sich auch darin, wie unterschiedlich Menschen von der Coronakrise betroffen sind. Es wäre so leicht, konsequente linke Forderungen zu formulieren. Doch stattdessen diskutieren linke Kommunalverbände über den Israel-Palästina-Konflikt und grenzen sich nach diesem Maßstab voneinander ab.
Natürlich gibt es Grabenkämpfe überall, auch in Spanien. Wo Macht im Spiel ist, wird es hässlich. Doch warum müssen diese Grabenkämpfe hierzulande immer so im Fokus stehen? Warum müssen linke Bewegungen sich auch an der Basis immer weiter spalten, bis gefühlt jede:r nur noch allein auf seiner kleinen Insel steht, auf der dann wirklich jede Detailfrage stimmt? Nicht nur die politischen Forderungen funktionieren oft über Negationen, auch die Menschen spalten sich immer weiter voneinander ab.
Emotionales „Dafür“ oder „Dagegen“
An Streitthemen mangelt es nicht. Sexarbeit ja oder nein? Klimabewegung oder Proletariat? Jüngst gibt es in den höheren Etagen der Linkspartei so manchen Ausreißer beim Thema der Coronapolitik. Und die für den öffentlichen Diskurs anstrengendste Spaltung der deutschen Linken verläuft entlang des Nahostkonflikts. Andauernd distanziert sich irgendwer von irgendwem.
Linke Debattenkultur ist wichtig und ich bewundere Deutschland dafür, wie intensiv hier so mancher politische Streit ausgetragen wird. Doch bei vielen Grundsatzfragen wird zu krass ins emotionale „Dafür“ oder „Dagegen“ ausgewichen. Damit vergeudet man Zeit und Energie. Erst am Mittwoch wurde an dieser Stelle der taz beschrieben, wie ausgelaugt viele Politiker:innen durch ihren Beruf sind. Noch blöder ist es, wenn die Angriffe aus den eigenen Reihen kommen. So beschrieb etwa die Bundessprecherin der Linksjugend Sarah Dubiel unter dem Hashtag #AusgebranntePolitik, wie heftig sie in ihren eigenen Kreisen angegriffen und unter Druck gesetzt wird.
Mein Vorschlag: Liebe Linke, reißt euch doch bitte zusammen, verliert euch nicht in internen Anfeindungen und setzt die Punkte um, bei denen ihr euch einigen könnt. Die guten Ideen sind schon da. Das kommt bei den ganzen Streitereien nur nicht bei den potenziellen Wähler:innen an. Und die braucht ihr unbedingt.
Konkrete Lösungen können vor allem auf lokaler Ebene vieles bewirken. Spanisches Positivbeispiel hierfür ist die Bürgermeisterin von Barcelona, Ada Colau, die schon viele linke Forderungen einfach umgesetzt hat. Oder die Berliner Bürgerinitiative Deutsche Wohnen & Co. enteignen, der es im Herbst gelang, auch nicht explizit links gesinnte Menschen zu überzeugen.
Es braucht klare Ziele
In jeder politischen Gruppierung gibt es inhaltliche Differenzen. Für ein erfolgreiches Vorgehen muss man sich aber auf die Gemeinsamkeiten konzentrieren und klare Ziele formulieren. Sich darauf zu fokussieren, kann für die Lebensrealität vieler Bürger:innen wirklich etwas bringen. Gerade bei wirtschaftlichen und sozialpolitischen Fragen sollte doch ein großer gemeinsamer Nenner liegen. Es gibt hierzulande großes linkes Wähler:innenpotenzial.
Etliche junge Menschen haben etwa beim Wahl-O-Maten die größte Übereinstimmung mit dem Wahlprogramm der Linken, wählen dann aber trotzdem anders. Eine aktuelle Spiegel-Umfrage ergab, dass 40 Prozent der 16- bis 29-Jährigen den Kapitalismus nicht für das bestmögliche Wirtschaftssystem halten. Mit einer sympathisch auftretenden Linken, die eine gemeinsame Positiv-Vision in kleinen, pragmatischen Schritten umsetzt, könnten diese Wähler:innen gewonnen werden. Es könnte eine echte linke Alternative entstehen. Für Streit bliebe danach noch genug Zeit.
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