Göttinger Zukunftswerkstatt gekündigt: Agentur des Bundes killt Haus der Kulturen
Immobiliengesellschaft kündigt Trägerverein fristlos und verweist auf Bau- und Bandschutzmängel. Heute Demo bei der Schlüsselübergabe.
Das Göttinger Haus der Kulturen steht vor dem Aus. Der Besitzer des Gebäudes, die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (Bima), hat dem Trägerverein Zukunftswerkstatt fristlos gekündigt. Das Haus sollte bis zum heutigen Montag geräumt, alle Mitnutzer sollten ausgezogen sein, heißt es in dem Kündigungsschreiben vom 30. September.
Das Haus der Kulturen (HdK) ist in der migrantischen und alternativen Szene Göttingens die Top-Adresse. 1996 mieteten einige Engagierte aus Flüchtlingsinitiativen eine leerstehende Halle in der Weststadt von der BRD.
Seit nunmehr fast 30 Jahren laufen im HdK Sprach- und Integrationskurse, teils werden sie vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gefördert. Rechtsberatungen und Workshops werden angeboten, Ferienprogramme für Jugendliche und Konzerte. Es gibt eine Fahrradwerkstatt, Internet, Tischtennisplatten, einen Kicker und kostengünstige Getränke.
Mehrere Initiativen haben hier Büros und der große Saal im Erdgeschoss ist eine beliebte Location für Partys und andere Veranstaltungen. „Wir schaffen Freiräume für Menschen, die Ideen haben und einen Ort dafür brauchen“, sagt der HdK-Trägerverein. Im Haus der Kulturen träfen sich viele Gruppen, die keine eigenen Räume haben.
Angeblich unerlaubte Umbauten
Die dem Bundesfinanzministerium unterstellte Bima soll bundeseigene Liegenschaften möglichst wirtschaftlich verwalten, verwerten und auch veräußern. Sie begründet die Kündigung mit angeblich nicht eingehaltenen Vorgaben für ein Brandschutzkonzept und vermeintlich eigenmächtig vorgenommenen Änderungen an der Inneneinrichtung. Zudem sollen Fluchtwege teils zu schmal und zu unsicher sein.
Die Mieter hätten „durch von Ihnen durchgeführten Maßnahmen einen Zustand des Gebäudes geschaffen, der bauordnungsrechtlich rechtswidrig ist“, moniert die Bima, und durch das Unterlassen, etwaige Mängel zu beseitigen, gegen Ihre Verpflichtung zur Instandhaltung der Immobilie verstoßen.
Die Zukunftswerkstatt widerspricht: Der Verein habe alle Auflagen eingehalten, regelmäßig in das Gebäude investiert und es instandgehalten. Auch die im Kündigungsschreiben angemahnten Maßnahmen würden bereits umgesetzt. Ein unabhängiges Brandgutachten sei in Auftrag gegeben, und der Verein habe Angebote für zusätzliche Feuermelder eingeholt.
„Jetzt eine sofortige Räumung innerhalb weniger Tage zu verlangen, ist sachlich nicht begründbar und steht in keinem Verhältnis zu den bestehenden Gegebenheiten“, sagt Vereinsvorstand Khosrow Djahangiri. Die Kündigung sei „schwer nachvollziehbar und nicht gerechtfertigt“.
Zahlreiche Initiativen, Künstler:innen und Politiker:innen stellten sich hinter das Projekt. „Die fristlose Kündigung ist für alle ein Schock, die sich seit Jahrzehnten ehrenamtlich im Haus der Kulturen engagieren“, erklärte Göttingens Oberbürgermeisterin Petra Broistedt. „Für die Migrations- und Integrationsarbeit in der ganzen Region wäre das eine echte Katastrophe.“ Die Kündigung bedrohe den Verein Zukunftswerkstatt in seiner Existenz.
Khosrow Djahangiri, Vorstand der Zukunftswerkstatt
Broistedt fügte an, sie habe die Bima „dringlichst gebeten, von der ausgesprochenen Kündigung abzusehen und eine Lösung im Sinne des Vereins zu suchen oder ihm und allen in dem Haus tätigen Initiativen alternative Räumlichkeiten zur Verfügung zu stellen“.
Die Linke im Kreis Göttingen bezweifelt, dass es der Bima nur um Brandschutz geht. „Wir fragen uns, was mit dem Gelände wirklich geplant ist und stellen uns mit den Betroffenen zusammen gegen die Räumung“, erklärte Kreis-Sprecherin Lisa Zumbrock.
Die Göttinger Grünen thematisieren das drohende Aus für das Haus der Kulturen auf ihren Kanälen in den sozialen Netzwerken: Die fristlose Kündigung bedrohe die Existenz eines der wichtigsten Orte kultureller Vielfalt in Göttingen – eines Ortes, „an dem Begegnung, Austausch und Zusammenhalt gelebt und vermittelt werden“. Viele Initiativen und Einzelpersonen haben angekündigt, sich an diesem Montagvormittag vor dem Haus der Kulturen zu versammeln und für dessen Erhaltung zu demonstrieren.
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