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Goethe-Institutsleitung zu Kulturpolitik„Ohne Dialog ist alles nichts“

Das Goethe-Institut eröffnet in Texas einen Standort, schließt aber den in Washington. Das ist Teil einer Neuausrichtung ihres Hauses, sagen die Präsidentin und der Generalsekretär des Instituts, Gesche Joost und Johannes Ebert.

Generalsekretär Johannes Ebert und Präsidentin Gesche Joost in der Zentrale des Goethe-Instituts in München Foto: Loredana la Rocca/Goethe Institut
Andreas Fanizadeh
Interview von Andreas Fanizadeh

taz: Frau Joost, Herr Ebert. Sie werden demnächst in Houston, Texas, einen neuen Standort eröffnen. Was versprechen Sie sich davon?

Gesche Joost: Bislang lagen die Standorte unseres Instituts vor allem in den großen Metropolen an der Ost- und Westküste. Im Landesinneren der USA waren wir wenig präsent. Wir wollen die Breite der amerikanischen Gesellschaft besser erfassen. Houston ist ein interessanter Standort. Auch um zu begreifen, was gesellschaftlich gerade passiert. Schließlich sind die USA nach wie vor einer unserer wichtigsten Partner außerhalb der EU.

Im Interview: Im Interview

Gesche Joost, geb. 1974 in Kiel, Professorin für Designtheorie an der UdK Berlin. Präsidentin des Goethe-Instituts seit 2024.

Johannes Ebert, geb. 1963 in Ulm. Orientalist, Generalsekretär des Goethe-Instituts seit 2012.

Johannes Ebert: Das Goethe-Institut befindet sich in einer Phase der Neuausrichtung. Dabei sind auch Institutsschließungen an traditionellen Standorten wie Washington unumgänglich. Das ist nicht schön, aber nur so können wir auf veränderte Lagen reagieren und wie etwa jetzt in Houston stärker tätig werden. Oder an ganz anderen Orten der Welt, wie etwa in Armenien.

taz: Lassen Sie uns noch kurz bei den USA bleiben. Ist es wirklich sinnvoll, das Goethe-Institut in Washington, Hauptstadt der Vereinigten Staaten, abzuwickeln?

Ebert: Wir haben die Situation genau analysiert. New York als Kulturmetropole, Boston als Wissenschaftsstadt, Los Angeles als Filmstadt, San Francisco als Kulturknotenpunkt bleiben erhalten. Die Strukturkosten müssen aber runter. Sonst haben wir finanziell zu wenig Spielraum für die programmatische Arbeit. Die Balance im Netzwerk muss stimmen. In Washington sind viele Institutionen präsent, mit denen wir dort weiter zusammenarbeiten. Ins Innere des Landes, in eine Stadt wie Houston zu gehen, an bisher eher unterrepräsentierte deutsch-amerikanische Knotenpunkte, das ist die Herausforderung.

Das Goethe-Institut

Wo? Ist derzeit an 150 Standorten in 99 Ländern weltweit vertreten.

Wer? Als Kulturinstitut der Bundesrepublik Deutschland wird es zu großen Teilen aus dem Bundeshaushalt finanziert. Dazu kommen Einnahmen aus den Sprachkursen und Drittmittel.

Was? Es soll die Kenntnis der deutschen Sprache im Ausland fördern, die internationale kulturelle Zusammenarbeit pflegen und ein umfassendes, aktuelles Deutschlandbild vermitteln.

taz: Frau Joost, Sie sind jetzt seit November 2024 Präsidentin des Goethe-Instituts. Hatten Sie schon die Möglichkeit, Institute im Ausland kennenzulernen?

Joost: Meine ersten Auslands-Stationen führten mich zu unseren Instituten nach Warschau, Mexiko-Stadt, Washington und New York. Das war im Frühjahr. Die Mexikaner schienen mir da noch relativ entspannt. Sie haben zwar betont, dass es aktuell ein angespanntes Verhältnis zu den USA gebe, wirkten aber dennoch selbstbewusst. Die mexikanische Gesellschaft ist jung und dynamisch. Sie fordert sichtbar ihre Rechte und Chancen.

taz: Was kann da der Beitrag deutscher Kulturarbeit im Ausland sein?

Joost: Ökonomie und Arbeitsmarkt sind globalisiert. Das Goethe-Institut spielt zum Beispiel eine zentrale Rolle bei der Zuwanderung von Fachkräften nach Deutschland und deren Sprachausbildung. Aber auch kulturell, wenn es um Vermittlung und Austausch von Werten geht.

taz: Sie sprechen von Werten, wie stellt sich das in den USA aktuell dar?

Joost: Man ist es ja eher von anderen Weltregionen gewohnt, dass Regierungen die deutsche Kulturarbeit misstrauisch im Blick haben. Ein Beispiel aus dem sich verändernden Institutsalltag in den USA: Wir engagieren uns seit Jahrzehnten für den Schüleraustausch zwischen Deutschland und Amerika. Mit dem German-American-Partnership-Programm bringen wir jedes Jahr 7000 amerikanische und deutsche Schülerinnen und Schüler zusammen. Es wird vom US Department of State mitfinanziert. Die Kollegen bekamen ein Schreiben des Departments mit der Aufforderung, nachzuweisen, dass wir keine illegalen Aktivitäten bei Diversität und Inklusion betreiben.

taz: Jetzt nicht ernsthaft?

Joost: Illegal bezieht sich hier auf die abrupt eingeführten neuen Förderrichtlinien. So sieht das jetzt in den USA aus. Solche Schreiben haben viele Unternehmen und ausländische Institutionen erhalten. Für uns ist das eine absolut neue Entwicklung. Natürlich fördert Goethe Vielfalt, was sonst? Auch andere ausländische NGOs sind wegen der Entwicklung unter Präsident Trump in Sorge was die Meinungsfreiheit und ihre Arbeit betrifft.

taz: Eine Situation, die man bislang eher aus autokratisch regierten Ländern kannte.

Joost: Offenbar erleben wir Einschränkungen der Liberalität nun auch in westlichen Staaten, die als demokratisch gefestigt galten. Das Goethe-Institut steht für die Freiheit des Kulturaustausches und für Vielfalt. Wir müssen schauen, wie es nun weitergeht. Houston kann eine Chance sein. Wir stärken aber auch bereits erfolgreich erprobte Instrumente. Bürgernahe Angebote wie Städte- und Schulpartnerschaften sind niedrigschwellig und fördern Verständigung.

taz: Sie sagen Houston sei eine neue Möglichkeit. Warum gerade dort?

Ebert: In Houston waren wir zeitweise engagiert, es gibt bereits Vorarbeit und Struktur. Als Goethe-Institut arbeiten wir traditionell in den großen Städten mit liberalen Kulturszenen zusammen. An einem Standort wie Houston stellt sich dieser Austausch anders dar als etwa in New York oder Los Angeles. Wir wollen unsere Netzwerke in der Fläche verbreitern.

taz: Geht es bei der Transformation des Goethe-Instituts stärker um die Kostenfrage oder die veränderte Lage?

Ebert: Beides. Mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine hat sich die Weltlage deutlich verändert. Wir müssen inhaltlich damit umgehen. Gleichzeitig hat das Auswirkungen auf den Bundeshaushalt und damit unsere finanziellen Rahmenbedingungen.

taz: Das Goethe-Institut hat aber doch keine großen Einbußen beim Budget hinnehmen müssen?

Ebert: Wir erleben seit 2021 eine Kürzung von knapp zehn Prozent im ­institutionellen Budget. Wir erwirtschaften zwar über unsere Sprachkurse im Ausland etwa ein Drittel unserer Mittel selbst, aber die institutionelle Förderung ist für uns existentiell.

taz: Wie hoch sind Ihre Einnahmen aus den Sprachkursen?

Ebert: Für 2024 waren es 106 Millionen Euro Umsatz im Ausland. Zusätzlich erwirtschaften wir Drittmittel, aber die institutionelle Förderung ist die Voraussetzung für die Stabilität des Goethe-Instituts. Derzeit können wir an politisch sensiblen Orten, wie in Armenien oder Moldau, nur tätig werden, wenn wir woanders etwas wegnehmen. So bedauerlich es ist, um an Schnittstellen zwischen Europa und den Gebieten unter Russlands Einfluss stärker präsent zu sein, müssen wir in Ländern mit mehreren Instituten ­reduzieren.

Joost: Ich war mit Bundespräsident Steinmeier dieses Jahr in Armenien. Es war beeindruckend. Viele der zugespitzten Auseinandersetzungen um Demokratie und Orientierung Richtung Europa werden in Staaten wie Armenien, der Republik Moldau oder Georgien ausgetragen. Die historische Last der zusammengebrochenen Sowjetunion ist oft noch spürbar. Für Kulturschaffende und Zivilgesellschaft kann der Kulturaustausch über das Goethe-Institut in Städten wie Jerewan, Tbilissi oder Chişinău von sehr großer Bedeutung sein, um europäische Perspektiven zu stärken.

Ebert: Es ist für die demokratische Öffentlichkeit in Staaten wie Moldau sehr schwer, der russischen Propaganda adäquat zu begegnen. Die alten Strukturen aus der Sowjetzeit wirken nach. Niemand weiß, in welche Richtung es bei den nächsten Wahlen geht. Die digitale Einflussnahme durch Russland ist in vielen Bereichen extrem. Der kulturelle Sektor ist umkämpft.

taz: Ist das Goethe-Institut in Russland derzeit noch präsent?

Ebert: Wir sind in Moskau und Sankt Petersburg, eine Mitarbeiterin arbeitet weiterhin in Nowosibirsk. Ich habe gesagt, wir gehen erst, wenn man uns rauswirft. Wir können im Moment in Moskau und Sankt Petersburg die Bibliotheken offenhalten und haben Publikumsverkehr. Es gibt Sprachunterricht durch Partnerorganisationen und Workshops mit Kulturschaffenden.

taz: Und die sind auch frequentiert?

Ebert: Gerade jetzt. Aber wir machen uns keine Illusionen, wir sind natürlich unter genauer Beobachtung. Aktuell können wir dazu beitragen, dass der neue Eiserne Vorhang vielleicht zehn Zentimeter über dem Boden bleibt. Nicht viel, aber ich glaube, es ist sehr wichtig.

taz: Zehn Zentimeter, da passen gerade mal die Mäuse durch.

Joost: Es ist ein Zeichen. Und für einige weit mehr. Wir sind auch in Kyjiw in der Ukraine geblieben, halten dort das Institut geöffnet. Trotz der furchtbaren Lage durch die dauernden russischen Angriffe. Die Menschen brauchen Kultur, brauchen Hoffnung, sie wollen Sprachen lernen. Das gibt Kraft und hilft, widerstandsfähig zu bleiben, und wird auch zum Wiederaufbau ­beitragen, wenn der Krieg beendet sein wird.

taz: Welche Rolle spielt bei der strategischen Ausrichtung der Standorte die Zuwanderung von Fachkräften für die deutsche Wirtschaft?

Joost: Eine große. Mexiko ist zum Beispiel eines der Länder, das von der Bundesrepublik in der Fachkräftestrategie priorisiert wird. Ebenso wie ­Indien oder verschiedene Staaten ­Lateinamerikas.

taz: Lässt sich das präzisieren?

Joost: Es geht etwa um Pflegekräfte, medizinisches Personal, um Sektoren wie die Mobilitäts- und Digitalwirtschaft. Bestandene Sprachprüfungen sind eine Voraussetzung, um Visa zu erhalten. Daneben vermitteln wir vor Ort, was einen kulturell in Deutschland erwartet.

taz: Wie viele Menschen betrifft dies insgesamt?

Ebert: Wir hatten in den letzten drei Jahren etwa 100.000 Menschen in 60 Ländern in solchen Programmen. Vom Informationsabend, interkulturellem Training, Fortbildungskursen bis zur Unterstützung bei Bewerbungsschreiben fällt vieles darunter. Unsere Sprachkurse besuchten zuletzt 270.000 Teilnehmer weltweit. Zwei Drittel dieser Leute interessieren sich dafür, einmal in Deutschland zu arbeiten.

Joost: Auch interessant: Die Teilnahme an den Kursen in Präsenz ist in vielen Regionen der Welt nicht nur stabil, sondern wächst. Wie etwa in Indien.

taz: Bei all den Ansprüchen aus der Politik in puncto Spracherwerb und Kulturvermittlung für ausländische Fachkräfte: Wie viel Kapazität bleibt beim Goethe-Institut da noch, um freie Projekte, den Austausch von Kultur und Kunst zu fördern?

Ebert: Die aktuelle Außenpolitik stellt Sicherheit, Freiheit und Wohlstand in den Mittelpunkt. Da setzen wir beispielsweise mit unserer Arbeit bei der Fachkräfte-Zuwanderung an. Genauso aber gehört es zu unserem Auftrag als weltweit tätige Kulturinstitution, für freie Kunst und Kultur einzustehen und diese zu fördern. Daran wird sich nichts ändern. Das Goethe-Institut trägt die Freiheit der Kunst und Kultur in seiner DNA.

taz: Autokratische Staaten tragen über das Digitale, den Kunst- und Wissenschaftsbereich Kulturkämpfe aggressiv in die westlichen Gesellschaften hinein. Wie reagiert das Goethe-Institut darauf?

Joost: Zuallererst, indem wir die Freiheit von Kunst, Kultur und einer offenen Gesellschaft verteidigen. Wir setzen auf unsere Ausstrahlungskraft. Als Goethe-Institut wollen wir diese verkörpern und natürlich auch verstärkt auf digitale Strategien setzen – in den sozialen Medien haben wir eine Reichweite von über sechs Millionen Followern.

Ebert: Derzeit wird wieder viel über den Begriff der Soft Power gesprochen. Er besagt in etwa, je höher die Anziehungskraft, desto größer der politische Einfluss eines Landes. Dafür spielen Kultur, Bildung und Wissenschaft eine wichtige Rolle. Wenn man fragt, was die Attraktivität Deutschlands in diesen Bereichen ausmacht, dann ist es gerade die Freiheit von Meinung, die Freiheit von Kultur und Wissenschaft. Und dafür steht das Goethe-Institut. In der Auseinandersetzung mit autoritären Staaten habe ich die Erfahrung gemacht, dass die Gesellschaften oft weniger monolithisch sind, als man annimmt. Es gibt immer Bereiche, die offen für Kooperation und Austausch sind. Da setzen wir an, auch wenn freiheitliche Werte hinterfragt werden. Ohne Dialog ist alles nichts. Sich darauf einzulassen, bedeutet dabei nicht, sich zu verbiegen oder Haltung aufzugeben. Das bleibt für uns die permanente Herausforderung, ob nun in Houston, Jakarta, ­Tbilissi oder Jerewan.

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