Goethe-Institut im Libanon: Staub, ein Flüchtlingslager, eine Feier
Zur Wiedereröffnung des Goethe-Instituts Beirut machte der Berliner Pop-Art-Künstler Jim Avignon einen Graffiti-Workshop im Camp Yehya in der Bekaa-Ebene.
Nach dem Bergsattel ein Checkpoint der libanesischen Sicherheitskräfte. Kurz darauf der Blick auf die Bekaa-Ebene: Grüne Tupfer auf 900 Meter Höhe, ein 120 Kilometer langes schmales Band zwischen Libanon- und Antilibanongebirge. Die Bekaa-Ebene ist der Gemüsegarten des Libanon. Und ein Auffangbecken für Hunderttausende von syrischen Bürgerkriegsflüchtlingen.
Im Camp Yehya bei Barelias erwarten diesen Mittwoch etwa 30 Flüchtlingskinder den Bibliotheksbus des Goethe-Instituts aus Beirut. Die Grenze zu Syrien verläuft nur wenige Kilometer entfernt entlang des Antilibanongebirges. Der Bücherbus kommt alle zwei Wochen in Camp Yehya vorbei.
Heute ist jedoch der Berliner Pop-Art-Künstler Jim Avignon wegen eines Graffiti-Workshops an Bord. Avignon verteilt zunächst Malbücher, stellt den Kindern Fragen: „Welche Tiere und Pflanzen mögt ihr besonders?“ „Was wollt ihr einmal werden?“ Tiger und Löwen, Lehrer und Ärzte. Pieter, ein Libanese aus Beirut, übersetzt vom Englischen ins Arabische und zurück. Das Eis zwischen Avignon, dem Mann mit Hütchen und Halstuch, und den Kindern im Grundschulalter ist rasch gebrochen.
Provisorische Zeltstädte
Millionen von Syrern befinden sich seit Ausbruch des Bürgerkriegs 2011 auf der Flucht. Überall um Barelias sind schmale provisorische Zeltstädte errichtet. In Camp Yehya leben 250 Menschen, rund 50 Familien mit 80 Kindern. Die meisten aus Homs und Daraa, seit fünf Jahren sind sie hier. Am Eingang des Camps verströmen offene Müllcontainer einen säuerlichen Geruch. Und es ist sehr staubig. Avignon säubert die hellen Plastikzeltplanen, die er mit den Kindern gleich bemalen will. Fließend Wasser gibt es in Camp Yehya derzeit nicht.
Mit wenigen Strichen wirft er figürliche Umrisse auf die Zeltwände. Dann verteilt er Pinsel und Farben, die Kinder können nun gemeinsam mit dem Maler loslegen. Erst sind sie etwas unsicher, dann immer selbstbewusster. Avignon geht sehr ernsthaft mit ihnen um. Nach und nach entstehen großflächige bunte Szenen. Vermenschlichte Tiere und Objekte treten auf den Zeltwänden in Aktion. Die Bildsprache erinnert an die heitere und absurde Welt des Kinderbuchautors Richard Scarry. Und sie ist universell lesbar.
Zurück in Beirut erklärt Mani Pournaghi die Prämissen der deutschen Kulturarbeit im Libanon. Er leitet seit zwei Jahren das Goethe-Institut in Beirut, stammt aus Bayern. Dafür, dass das Institut nach aufwendiger Renovierung am Donnerstagabend im Beiruter Stadtteil Gemmayzeh in wenigen Stunden seine Wiedereröffnung feiern wird, wirkt er sehr gelassen. Kulturelle Bildungsarbeit mit Flüchtlingskindern sei wichtiger Bestandteil der Goethe-Arbeit im Libanon, sagt er. Aber nicht der einzige.
Antike Ruinen von Balbeek und die moderne Kunst
In der frisch renovierten Lounge des Instituts richten Alexander Graeser und Johann Clausen gerade eine Fotoausstellung ein. In ihren Bildmotiven beziehen sie etwa die antiken Ruinen von Balbeek auf heutige globale Kunst-, Körper- und Modesprachen. Im gleichen Raum sind die Musiker Gurumiran und Ary Jan Sarhan mit dem Soundcheck für ihre Performance bei der Eröffnungsfeier zugange.
Auf dieser wird Martin Huth, Deutschlands Botschafter im Libanon, am Abend die Arbeit des Goethe-Instituts in Beirut würdigen. Und auch sagen, dass der Libanon viel mehr sei, als die gängigen Klischees von Flüchtlingen und Terror behaupten. Tatsächlich repräsentiert das Land – abgesehen von Problemen wie denen im Süden, wo die mit Iran verbündete Hisbollah regiert oder jenem, dass man sich offiziell immer noch im Kriegszustand mit Israel befindet – eine kulturell eher weltoffene Gesellschaft.
Es gibt scharfe Gegensätze, auch die zwischen Arm und Reich, betont Goethe-Institut-Leiter Pournaghi im Gespräch. Doch der weit verbreitete Kosmopolitismus bringe eine „einzigartige Kulturszene“ hervor. Beiruts kreative Szene wolle sein multimedial orientiertes Institut in Beirut – neben den Basisangeboten wie deutsche Sprachkurse und klassischer Bildungsarbeit – Raum bieten und fördern.
Große Party mit bewaffneten Posten
Nach der offiziellen Eröffnung im Institut strömen Hunderte zumeist jüngerer Menschen zur „Großen Party“ des Goethe-Instituts in den Innenhof der benachbarten Schule Sacré-Cœur. „Ohne Party geht hier gar nichts“, sagt Pournaghi, und geht die Sache offensiv an. Bewaffnete Posten stehen am Eingang zu Sacré-Cœur, die Stimmung ist ausgelassen und unbeschwert. Den Auftakt zur „Großen Party“ macht der syrische Elektro-Bozouk-Solist Ary Jan Sarhan zusammen mit der kurdischen Sängerin Sara Darwish.
Es folgen Auftritte des libanesisch-armenischen Musikers Gurumiran und von Wassim Bou Malham, Sänger und Gitarrist der libanesischen Rockband Who Killed Bruce Lee, der derzeit in Deutschland lebt. Nach Mitternacht übernimmt der libanesische Sounddesigner und DJ Jad Taleb die Bühne, die „Große Party“ erreicht ihren lautstarken, elektro-arabischen und tanzdynamischen Höhepunkt. Nach 1 Uhr wird ebenso spektakulär wie kompromisslos der Stecker gezogen. Die vergnügte Menge akzeptiert es und zerstreut sich. Die noch nicht genug haben, ziehen los, zu irgendeinem anderen Ort in dieser Beiruter Nacht, und feiern dort weiter.
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