Glyphosat-Angriffe auf Biobauern: Gift für Öko-Aktivisten
In Südtirol häufen sich Attacken gegen Anhänger der pestizidfreien Gemeinde Mals im Obstanbaugebiet Vinschgau. Nun geht die Angst um.

Der Ökopionier demonstrierte schon vor dreißig Jahren als Erster im pestizidintensiven Obstanbaugebiet Vinschgau, dass Apfelanbau sogar ohne Kupferspritzen möglich ist. Als Bioaktivist unterstützt er die benachbarte Gemeinde Mals. Diese macht seit 2014 internationale Schlagzeilen, seit sie sich in einer Volksabstimmung mit einer Mehrheit von 72 Prozent gegen Pestizide aussprach. Das rief Lobbyisten der mächtigen Agroindustrie auf den Plan, die immer wieder mit Drohungen und Klagen gegen die Anhänger einer giftfreien Region vorgingen.
Nun traf es auch den Biobauern. Bereits Anfang September mussten Unbekannte seine Apfelbäume in Glyphosat ertränkt haben. Wellenzohn wunderte sich zuerst nur über verfärbtes Gras, aber eine routinemäßige Kontrolle der Biozertifizierungsstelle stellte das Gift fest. Die Bio-Zertifizierung ist für mindestens drei Jahre perdu, der Schaden enorm.
Das kurze Video, auf dem der Apfelbauer traurig durch seine verwelkten Bäume geht, stammt vom österreichischen Filmemacher Alexander Schiebel – der in den letzten Tagen gleich zweifach attackiert wurde. Schiebel hatte sich so in das „gallische Dorf“ Mals verliebt, dass er sich dort niederließ und mehrere Filme sowie das Buch „Das Wunder von Mals“ produzierte. Mit dem Schriftzug „Pestizidtirol“ machte er ironisch auf die Gefahren aufmerksam, die Gästen in der beliebten Touristenregion drohen. Die von der konservativen SVP geführte Südtiroler Regierung reagierte empört auf das Plakat, das zeitweise vom Münchner Umweltinstitut vertrieben wurde.
Attacke Nummer drei fast zeitgleich
Sechs Tage bevor eine Dokumentation von Schiebel am 21. September auf Arte lief, in der auch Pestizidbefürworter zu Wort kommen, schickte Landeshauptmann Arno Kompatscher einen dringlichen Brief per Kurier an die Arte-Redaktion nach Straßburg.
Der Regierungschef interpretierte darin Stellen in Schiebels Buch so, dass Protestaktionen und „effektvolle Inszenierungen“ in Mals nur für den Film stattgefunden hätten. Wollte er per Ordnungsruf die Ausstrahlung verhindern? Als das peinliche Schreiben jetzt öffentlich wurde, verteidigte sich der SVP-Politiker, er habe das nie beabsichtigt und den Sender nur warnen wollen.
Zufall oder nicht: Fast zeitgleich erfolgte Attacke Nummer drei. SVP-Landesrat Arnold Schuler, der Agrarminister Südtirols, erstattete Ende vergangener Woche Strafanzeige gegen Filmemacher Alexander Schiebel, das Münchner Umweltinstitut und gegen den Münchner oekom-Verlag, bei dem „Das Wunder von Mals“ erschienen war. Das Plakat „Pestizidtirol“ sei genauso rufschädigend wie der Vorwurf der „vorsätzlichen Tötung“ in dem Buch.
Schiebel bezieht sich in der inkriminierten Buchpassage auf unzählige Studien, die belegen, dass Pestizide schwere Krankheiten verursachen können. Einen konkreten Täter benennt er nicht, aber er nennt das Giftspritzen „Tötung durch vorsätzliches Ignorieren der Gefahren“. Eine Äußerung, die durch die Meinungsfreiheit gedeckt sein dürfte, wenn die Südtiroler Justiz noch funktioniert.
In einem Telefonat mit der taz fand Alexander Schiebel die unerwartete Werbung für Film und Buch gar nicht so schlecht: „Der Sache wird das dienlich sein. Die Pestizidgefahr vor Gericht zu diskutieren, darauf freue ich mich schon.“ Dennoch bleibt der Schaden, bleibt die Angst, wen es als Nächstes trifft. Die Grünen im Südtiroler Landtag haben Regierungschef Kompatscher deshalb aufgefordert, sich deutlich von der Giftattacke auf den Biobauern zu distanzieren. Reaktion: bisher keine.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Comeback der Linkspartei
„Bist du Jan van Aken?“
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Nach Taten in München und Aschaffenburg
Sicherheit, aber menschlich
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen
Nach Absage für Albanese
Die Falsche im Visier