Globale Inflation: Die Preistreiber lauern überall

Menschen in Schwellen- und Entwicklungsländern setzt der Teufelskreis aus Inflation und Abwertung besonders zu.

Ein Mann schleppt Brotsäcke über einen Platz

Straße in Istanbul: Vor allem Menschen mit niedrigen Einnahmen leiden unter explodierenden Preisen Foto: Francisco Seco/ap

TAZ Hamburg | In Deutschland stieg sie auf 5,3 Prozent, in der Eurozone betrug die Inflation im Dezember 5 Prozent – so hoch wie nie seit Beginn der Währungsunion. Wenig allerdings im Vergleich zur Geldentwertung in der Türkei: Das Statistikamt in Ankara meldete im Dezember die Rekord-Inflationsrate von 36,08 Prozent. Eine teure Folge ist der freie Fall der Lira. Gegenüber dem Euro verlor die Währung in wenigen Wochen die Hälfte ihres Werts.

Für Präsident Recep Tayyip Erdoğan ist die Preisexplosion eine Folge der Zinssätze. Nicht umgekehrt, wie Ökonomen üblicherweise annehmen. Der Politiker ist der Meinung, dass hohe Zinsen Inflation verursachen, statt sie zu bekämpfen. Der neue Notenbankchef Şahap Kavcıoğlu, ein studierter Ökonom, folgt im Gegensatz zu seinen geschassten Vorgängern der präsidialen Vorgabe. Er senkte mehrfach den Leitzins auf zuletzt 14 Prozent (Eurozone: 0 Prozent) und hielt auch bei der jüngsten Entscheidung am Donnerstag an diesem Wert fest. Mit seiner Politik will Erdoğan Exporte, Investitionen und den Arbeitsmarkt in Schwung bringen. Eine schwache Lira verbilligt türkische Exportprodukte im Ausland und macht Investitionen für Konzerne aus EU, China und Arabien attraktiver.

Davon profitiert auch die deutsche Industrie, die Milliarden Euro in Fahrzeugfabriken und chemische Anlagen am Bosporus investiert hat. In einer Onlineumfrage loben die in der Deutsch-Türkischen Industrie- und Handelskammer in Istanbul organisierten 7.000 deutschen Unternehmen „die gute wirtschaftliche Lage“: Sie produzieren meist für den Export. Ihnen kommt die Geldentwertung zugute, sinken doch die in Lira abgerechneten Kosten, wenn man sie in Euro bemisst.

Doch nicht alle Schwellen- und Entwicklungsländer verfügen über eine starke Exportindustrie, die von der Inflation zumindest zeitweilig profitiert. Rasant steigende Preise sind aber weit verbreitet. „Die statistischen Daten belegen, dass die Inflationsraten in den wichtigsten Schwellen- und Entwicklungsländern deutlich über der weltweiten Entwicklung liegen“, sagt Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel der taz. Für 2022 werden durchschnittlich 5 Prozent erwartet, mehr als doppelt so viel wie in den Industriestaaten. „Dabei sind die tatsächlichen Kaufkraftverluste in einigen dieser Schwellen- und Entwicklungsländern weit höher“, sagt Hickel. So verteuerten sich laut Weltbank in jedem dritten Land die Lebensmittel bereits um 10 Prozent oder mehr.

Inflation trifft vor allem die Armen

Unter explodierenden Preisen leiden vor allem Menschen mit niedrigen und kleinen Einkommen. Sie geben einen wesentlich größeren Teil ihres Einkommens für Nahrungsmittel und Waren des täglichen Bedarfs aus als Mittel- und Oberschicht. Und ausgerechnet deren Preise ziehen besonders an, weil hier Angebot und Nachfrage schnell wirken.

So sorgten plötzlich extrem steigende Preise für Flüssiggas LPG dafür, dass viele Menschen in Kasachstan (Inflationsrate 8,7 Prozent) auf die Straße gingen. „Die sozialen Konsequenzen der Inflation können je nach Abhängigkeiten verheerend sein“, hat Rainer Falk beobachtet, der Herausgeber des Informationsbriefs Weltwirtschaft & Entwicklung. „Bis zum endemischen Hunger vielerorts.“

Teufelskreis

Dabei sind die Preistreiber zunächst die gleichen wie im Globalen Norden: der wirtschaftliche Nach-Corona-Aufschwung, gerissene Lieferketten, hohe Transportkosten auf See oder die Verknappung von fossilen Energieträgern durch die Organisation Erdöl exportierender Länder (OPEC). Aber wirtschaftlich schwächere Volkswirtschaften spüren diese Faktoren außerordentlich.

Inflation, hohe Leitzinsen und Währungsverfall bilden einen Teufelskreis, dem schwer zu entrinnen ist. „Ausländische Investoren ziehen sich zurück und blockieren damit Investitionen und den Ausbau der Infrastruktur“, hat Hickel festgestellt. Schließlich reagierten viele Regierungen anders als Erdoğan und erhöhten die Leitzinsen ihrer Notenbank. „Dadurch werden in den Ländern Betriebe und Haushalte zusätzlich belastet.“ Doch die Hoffnung auf eine Aufwertung der Währung und niedrige Preise erfülle sich – anders als bei Euro oder Dollar – meist nicht. „Denn die länderspezifischen Risiken für ausländische Industrie- und Finanzinvestoren sind viel zu groß.“

Reiche fliehen in Dollar und Euro

Jahrzehntelang waren die Wachstumsraten in ärmeren Ländern höher als in reichen. Nun warnt Weltbank-Chef David Malpass davor, dass die Kluft wieder wächst. Ein negativer Trend, den auch Hickels „Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik“ beobachtet. Steigende Preise und hohe Leitzinsen, Corona und Schuldenberge belasten fragile Volkswirtschaften sondergleichen.

Als Preistreiber sieht Hickel auch instabile politische Verhältnisse, wie in der Türkei. „Die daraus resultierende Währungsabwertung verteuert die Preise der existenznotwendigen Importe, die an die Verbraucher überwälzt werden.“ In Argentinien (Inflationsrate: 52,1 Prozent) und Venezuela (1.575 Prozent) ist die Mega-Inflation dann eine Folge der staatlichen Geldschöpfung: Weil die Regierungen mehr Geld ausgeben, als sie einnehmen, lassen sie die Druckmaschinen heiß laufen. Das dürfte auch in Ländern mit einer vergleichsweise moderaten Inflationsrate um die 10 Prozent – wie Brasilien, Belarus und Ukraine, Ghana oder Malawi – der Fall sein.

Vor allem in afrikanischen und südamerikanischen Ländern spielt zudem die Flucht der Reichen in den Dollar oder Euro eine Rolle. Das schwächt deren Landeswährungen. Und treibt so mittelbar die heimischen Preise, etwa für Chlor-Hühnchen aus den USA oder für Weizen aus der Eurozone.

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