: Glitzer gegen Gewalt
Mit den neuen Anti-LGBTQ-Gesetzen wird Drag in Georgien zur widerständigen Kunstform. Mutige Menschen wie Dragqueen Levau oder Clubbesitzerin Nia trotzen einem Klima aus Angst und Aufbruch

Aus Tbilisi Henrik Schütz
Drag ist heute so wichtig wie noch nie in Georgien. Dabei geholfen hat Dragqueen Levau. In einer der vielen kurvigen und steilen Straßen Tbilisis liegt das Studio Levaus. Es ist voll mit Kostümen, Klamotten und Perücken vieler vergangener Dragshows. Viele davon waren Teil der Perfomances, die Drag in Georgien bekannt gemacht haben. Schon früh entwarf Levau Kleidung, die Gendergrenzen sprengt. „Dieser Weg hat mich zu Drag geführt und dazu, dass ich dieser Kunst komplett verfallen bin.“
Der alte Holzboden knarrt und eine kleine schwarze Katze tigert durch das kreative Chaos. Auf dem Schrank liegen große, schwarze Latex-Tentakeln. Dazwischen versteckt sich ein kleines Bett und ein noch kleinerer Schreibtisch, voll mit Notizen und Skizzen für neue, noch ausgefallenere Dragoutfits und Performances. „Das ist wirklich sehr ich hier dieses Studio. Bei Drag geht es um Verwandlung, Transformation – das ist, was ich so liebe.“
Levau ist aufgeregt und zurückhaltend, anders als auf der Bühne. Die Figuren, die Levau bei den Shows zum Leben bringt, sind Frauen, die besonders schlagkräftig und unabhängig sind. Lara Croft zum Beispiel.
„Bei meinem letzten Auftritt war ich eine Nachfahrin der Medusa. Sie war ein Opfer des Patriarchats und ich bin gekommen, um sie zu rächen.“
Levau zeigt auf dem Handy Videos des letzten Dragballs Anfang Juni, die wichtigste Veranstaltung für die Dragcommunity in Georgien. Thema des Abends ist: Bösewichte.
Im Insta-Reel trägt Levau eine blonde Perücke und einen hautengen pinken Anzug. Darüber schwarz-rote tentakelige Auswüchse. Zum Ende des Auftritts holt Levau ein Banner mit „Protect the Dolls“ auf die Bühne. Eine Solidaritätsbekundung für die trans* Community Georgiens. Der Dragball Anfang Juni wirkt wie eine düstere zeitgenössische Avantgardeshow mit dystopischen Endzeitperformances.
Mit der wachsenden Bedrohung rückt die queere Community enger zusammen – alle sind im „Flight- or Fight-Modus“. Seit Dezember 2024 gilt hier ein neues Gesetz mit dem offiziellen Namen: „Gesetz über Familienwerte und den Schutz von Minderjährigen“. Inoffiziell nennen es alle nur das „Anti-LGBTQ*-Gesetz“.
Prides, Demonstrationen oder sonstige Versammlungen, sowie Geschlechtsangleichungen oder Hormontherapien sind verboten. Dazu kommt, dass im Fernsehen oder in den Schulen nicht mehr über queere Lebensrealitäten gesprochen werden darf.
Es ist ein Gesetz, dass es so auch in Russland gibt. Dort hat es gleich zwei Funktionen für die Regierung: Man gewinnt die Zustimmung der Konservativen und kann gleichzeitig politische Gegner:innen diffamieren. Die Folgen: Queere Clubs und Bars werden regelmäßig von der Polizei gestürmt. In russischen Fernsehshows spricht man über den degenerierten Westen und die EU, die die ganze Welt queer machen will.
Zumindest Letzteres passiert auch heute schon in Georgien. Die Frage, wann eine der queeren Bars und die Dragshows gestürmt werden, scheint in Tbilisi nur noch eine Frage der Zeit zu sein. Viele aus der Szene haben aus Angst das Land verlassen.
Geht es nach den rechten Politikern Georgiens, dann gehörten queere Identitäten noch nie zum Land. Uta Bekaia weiß, dass das nicht stimmt. Er veranstaltet eine der wichtigsten queeren Events überhaupt in Tbilisi, die Eau de Cologne im weltberühmten Techno-Club Bassiani. Er gehört zu denen, die Drag hier groß gemacht haben. In der Community kennen ihn alle.
„Viele Dragkünstler:innen bringen traditionelle kulturelle Elemente in ihre Performances ein.“ Das reicht von Kleidung, Stoffen bis zu traditionellen Tänzen, die in der georgischen Kultur tief verankert sind. Einer der berühmtesten georgischen Tänze Kintouri stammt von den Kinto. So wurden im alten Georgien Außenseiter:innen genannt, die als Händler:innen und Straßenkünstler:innen durch das Land zogen. Unter ihnen soll es üblich gewesen sein, homosexuelle Beziehungen zu führen. Es gibt sogar Berichte über Crossdressing.
In überlieferten Liedern der Kinto heißt es: „Wofür ist mein süßer Arsch da, wenn nicht für meinen Bruder?“ oder „Und meine Frau, Annette, ist eine Frau bei Nacht – aber früh morgens dann nicht mehr.“
Für Bekaia und die Dragszene sind diese queeren Figuren in der georgischen Geschichte unglaublich wichtig: „Für uns ist das etwas ganz Neues, Authentizität durch die eigene Kultur zu finden.
Wir sind nicht vom Mars gekommen, queeres Leben gab es immer schon in Georgien.“ Dieses Leben will man verteidigen.
Die Clubs und Bars von Tbilisi waren immer die Safe Spaces, die die queere Community brauchte, um sich in Georgien sicher zu fühlen. „Im Moment sind die Clubs wie eine Festung“, sagt Bekaia, „Die Georgier:innen lieben Techno. Viele, viele Leute sind mit viel Passion dabei. Deshalb sind wir da sehr sicher, da traut sich die Regierung noch nicht dran.“
Aber es ändert sich etwas. Bei den Einlasskontrollen nutzen die Clubs sogar Gesichtserkennungssoftware. Dass sich etwas ändert, merkt auch die Dragcommunity. Laut Bekaia sah es eine Zeitlang so aus, als ob Drag Mainstream werden könnte in Georgien. 2023 war Drag sogar Teil der großen Tbilisi Fashion Week. „Heute müssen die Veranstalter:innen der Shows wieder aufpassen, wo sie Werbung machen und wie sichtbar sie noch auftreten können. Die Dragshows sind sicher, solange sie Underground sind, wenn sie in die Öffentlichkeit gehen, dann wird es unsicher“, sagt Bekaia.
Der wichtigste Ort in Tbilisi für die Dragcommunity ist die Success Bar. Besitzerin ist Nia. Es ist die älteste LGBTQ*-Bar Georgiens.
Hier fand 2016 auch die erste öffentliche Dragshow überhaupt in Georgien statt. Damals gab es vielleicht eine Handvoll Dragqueens, viele performten vorher nur in Garagen oder auf Privatpartys. Heute sind es etwa einhundert Dragkünstler:innen.
Von außen sieht die Bar unscheinbar und wenig einladend aus. Der Innenraum der Success Bar wird von einer dicken eisernen und vergitterten Tür gesichert. Wer rein will, muss sich erst durch einen aufschiebbaren Sichtschlitz begutachten lassen. Innen soll es dann bald eine ganz andere Welt werden.
Nia baut die Bar gerade um. Sie braucht mehr Platz für die Dragshows, die immer beliebter werden. Noch ist überall Staub – auf dem Boden, den Spiegeln.
„Viele dachten, dass ich nicht wieder aufmachen würde, wegen dem Gesetz“, sagt Nia, „Alle queeren Events und Locations haben sich gefragt, ob man weitermachen kann.“
Neben Bar, Bühne und Darkroom gibt es auch einen Notausgang, „falls die Homophoben uns attackieren“. Völlig ausgeschlossen ist das nicht.
In der Vergangenheit kam es vereinzelt zu queerfeindlichen Angriffen. 2021 wollte man in Tbilisi eine Pride veranstalten. Es kam zu Ausschreitungen, bei denen ein Journalist tödlich verletzt wurde. Hinter den Attacken stecken oft ultrakonservative, christliche und vor allem prorussische Gruppen.
Georgien hatte seit dem Zerfall der Sowjetunion und seiner Unabhängigkeit 1991 viele Fortschritte im Bereich von LGBTQ*-Rechten gemacht. Homosexualität wurde entkriminalisiert, Geschlechtsangleichende Operationen legalisiert und sogar Diskriminierung aufgrund der Sexualität verboten. Mit der erneuten Annäherung an Russland ändert sich das wieder.
Niko lebt erst seit zwei Jahren in Tbilisi. Er ist zwanzig Jahre alt und die Success Bar ist sein Lieblingsort. Er gehört zu der Generation von Dragkünstler:innen, die ein Tbilisi ohne Drag gar nicht kennen. Als Aphrodite hatte er hier sein Debüt. „Ich habe mein altes Ich sterben lassen“ zum Song DEATH von Melanie Martinez, erklärt er, „ich trug ein Cape, auf dem Homophobia stand, das ich dann abgerissen habe.“
Niko wuchs in Kutaissi auf, einer sehr konservativen Stadt im Nordwesten des Landes. „Ich musste sehr viel Scheiße erleben, weil ich aussehe und spreche, wie ich eben bin.“ Niko lacht sehr viel und gibt dabei eine Zahnlücke preis – ein Andenken eines Polizisten von einer der vielen Demos der letzten Jahre.
Als Niko neu in der Szene war, empfand er vieles als oberflächlich und sogar toxisch. Doch das hat sich verändert. „Seit dem Gesetz ist etwas passiert. Wir denken nicht mehr darüber nach, wer schöner oder besser ist. Wir denken darüber nach, wie lange wir das hier noch haben.“ Die Repression hat die Community enger zusammengeschweißt.
„Als dieses Gesetz verabschiedet wurde, dachte ich nur: Fuck, jetzt ist alles vorbei! Ich habe mich schon in Handschellen gesehen, wie sie mich in Heels und komplett in Drag auf die Straße zerren.“ Trotz allem fühlt er sich heute sicher in Tbilisi. Er weiß, wie viel Energie die Club- und Barbesitzer:innen in seine und die Sicherheit der ganzen Community stecken. Die Menschen um ihn herum würden alles für ihn riskieren. Drag hat ihm schon so oft das Leben gerettet. Die Success Bar, die Clubs, die ganze Szene – alles ist Widerstand.
„Es geht nicht nur um Spaß. Es geht darum, den ganzen Scheiß, den wir erleben, auf schöne Weise auszudrücken.“ Wie es weitergeht? Niko weiß es nicht. Für den Moment will er einfach nur weiter Drag machen.
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