Gleichstellung: Frauen sind seltener oben
Im Nordwesten der Republik sind Chefinnen noch rarer als sonst schon, besagt eine neue Studie. Ein Grund: Hier ballt sich die männerdominierte Finanzbranche. KritikerInnen fordern verbindliche Quoten
Es klingt nach einer Binsenweisheit: Auf Führungsetagen finden sich Frauen seltener als Männer. Wie jetzt eine Studie des Lübecker Technologie-Unternehmens Databyte zeigt, ist der Mangel an Chefinnen nicht zuletzt abhängig von der Region.
Demnach sitzen die "frauenfreundlichsten Unternehmen Deutschlands" in Berlin - Frauenquote: 19 Prozent. Auch in Sachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und dem Saarland liege sie über 18 Prozent, teilte Databyte mit. In Niedersachsen und Schleswig-Holstein beträgt der Anteil von Frauen in Chefsesseln demnach knapp 17 Prozent, in Bremen - in der Tabelle auf dem vorletzten Platz - 16 Prozent. Im niedersächsischen Bad Bentheim zählten die Statistiker gerade mal 14 Prozent Frauen in der Unternehmensführung.
Databyte hat Informationen von rund 1,2 Millionen Führungskräften in etwa 938.000 Unternehmen ausgewertet. Schwerpunkt der Untersuchung lag dabei auf der regionalen Geschlechterverteilung bis hinunter zur Kreisebene.
Der Führungskräfte-Monitor des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung zeigt, wo Frauen im Chefsessel sitzen und wie sie dahin gekommen sind:
Im Topmanagement und im Mittelmanagement sind Frauen demnach stark unterrepräsentiert. Häufiger trifft man da schon auf Filialleiterinnen, also in der unteren Managementebene.
Die soziale Herkunft beeinflusst die spätere Karriere. Ein Fünftel der Frauen in Führungspositionen haben Mütter mit Abitur. Bei Männern sind es rund 14 Prozent.
Lange Arbeitszeiten sind im Topmanagement üblich und richten sich nach männlich geprägten Lebensentwürfen. Frauen bleibt die Wahl: Familie oder Arbeit.
Ursache für die Verteilung könnte unter anderem sein, dass Frauen in kleineren und mittleren Unternehmen stärker vertreten seien als in größeren Firmen, sagte eine Sprecherin. Das bestätigen wiederum die Ergebnisse des aktuellen Führungskräftemonitors vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung: Vor allem die Top-Führungspositionen in großen Unternehmen seien fest in Männerhand.
Es ist aber nicht allein die Größe eines Unternehmens, die Hinweise auf den dortigen Frauenanteil gibt. "Man muss auch nach der Branche fragen", sagt Ute Brutzki vom Bereich Frauen- und Gleichstellungspolitik bei der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di. Denn anders als in Unternehmen des Gesundheits- oder Sozialwesens seien Frauen in der Finanzdienstleistung traditionell schlecht vertreten. "Und der Finanzsektor sitzt eher im Norden", sagt Brutzki. Auch Databyte macht das "männerdominierte Kredit- und Industriegewerbe" für die niedrigeren Frauenanteile im Norden verantwortlich.
Tanja Kühne aus Hannover ist selbst Unternehmerin. Die niedersächsische Landesvorsitzende des Verbands deutscher Unternehmerinnen (VDU) übernahm vor vier Jahren den Chefsessel einer Design- und Werbeagentur - von einem Mann. "Auch in meiner Branche sind Frauen in Führungspositionen selten", sagt die 38-Jährige. Kühne glaubt, dass Niedersachsen deshalb so wenig weibliche Chefs hat, weil es ein Agrarland ist. "Die ländlichen Strukturen hier sind überwiegend männlich dominiert." Sie fordert deshalb eine verbindliche Frauenquote in der Privatwirtschaft. "Dadurch müssen Firmen dann überlegen, wie man die Arbeit für Frauen attraktiver macht", sagt die VDU-Sprecherin.
Auch Ver.di-Referentin Ute Brutzki fordert ein Gleichstellungsgesetz. "Für Unternehmen müsste es verpflichtend sein, Frauen in die Führungsetage zu holen", sagt sie. Ein Anreiz könnte sein, diejenigen Firmen beispielsweise mit Zulagen zu belohnen, die sich besonders bei der Gleichstellung des Führungspersonals hervortun. Bislang aber sehe es so aus, als wenn Deutschland beim Gender Mainstreaming noch lange Zeit seinen europäischen Nachbarn hinterherhinke. "Das Land tut sich sehr schwer", sagt Brutzki. Eine freiwillige Vereinbarung zwischen Bundesregierung und Privatwirtschaft, zukünftig mehr leitende Positionen mit Frauen zu besetzen, habe bisher kaum sichtbare Erfolge gezeigt.
Erste Signale eines politischen Entgegensteuerns kommen derzeit aus Hamburg. Zusammen mit Bayern hat sich der Stadtstaat auf der jüngsten Justizministerkonferenz im Juni dieses Jahres für eine gesetzliche Frauenquote für Führungspositionen in der Wirtschaft stark gemacht. "Es reicht nicht mehr aus, nur Appelle an die Unternehmen zu richten", hatte Hamburgs Justizsenator Till Steffen (GAL) im Vorfeld gesagt.
Die Quote sollte demnach im Bereich von 20 Prozent anfangen und sich dann bis zu 40 Prozent steigern, schlug Steffen vor. Weil die Justizminister der Länder sich jedoch nicht einigen konnten, verschoben sie das Thema auf das kommende Treffen im Frühjahr 2011.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Ex-Mitglied über Strukturen des BSW
„Man hat zu gehorchen“
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins