Buch über Modeschmuck: Glamour für alle
Der Bildband „Costume Jewelry“ zeichnet die Geschichte des Modeschmucks nach. Warum das ein Genuss ist.
Die größte Freiheit ist nicht immer dort, wo die größten Mittel sind. Manchmal fördern gerade bescheidene Mittel eine ganz und gar unbescheidene Kreativität. Man muss nur darauf kommen. So wie Coco Chanel, die sich fragte: Müssen es wirklich echte Perlen sein für den letzten Schick? Tun es nicht falsche genauso? Wo man dann doch zehn Schnüre aufs Mal tragen kann!
Ihr demonstrativ unechter Schmuck war wohl die nachhaltigste ihrer revolutionären Ideen. Sie kam nicht nur dem Wunsch nach elegantem, dabei erschwinglichem Geschmeide nach, sondern auch dem nach brillanten Verrücktheiten.
Um diese und fast 600 weitere Kapriolen geht es im Prachtband „Costume Jewelry“, der kürzlich im Taschen Verlag erschienen ist und Modeschmuck in all seinen Facetten zeigt, zusammengetragen über viele Jahrzehnte von der Kunstsammlerin Patrizia Sandretto Re Rebaudengo.
Den Innenumschlag ziert unter anderem ein dickbäuchiger goldener Fisch, aus dessen Maul vier weiße Perlen blubbern. Er wurde 1954 von der New Yorker Firma Trifari lanciert, eine der berühmtesten Marken unter den Modeschmuckherstellern, und womöglich hat er Nina Hagen später inspiriert, als sie 1978 dadaistisch dichtete: „Sie will ein Fisch im Wasser sein / Im flaschengrünen, tiefen See / Sie will mit Wasser sich besaufen / Und paar Blasen blubbern lassen.“
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Wer der Kopf hinter dem damals durchaus unkonventionellen Design war, ist nicht verbrieft; wie so oft bei Modeschmuck, da es sich eben um Industrieware handelt. Aber vermutlich wurde die Fischbrosche von Alfred Philippe entworfen, der zuvor als Designer für Cartier und Van Cleef & Arpels gearbeitet hatte – lauter große Namen, jedenfalls für Eingeweihte.
Haute Joaillerie
Die „Haute Joaillerie“ bildet also den Hintergrund, vor dem sich die Entwicklung des Modeschmucks in den USA vollzieht, auf die sich die Sammlung konzentriert. Und am spannendsten sind neben Coco Chanels falschen Perlen die vielfältigen Broschen.
Da wäre etwa die in Form eines Rennradfahrers, um 1950 auf den Markt gebracht, Designer unbekannt. Sie belegt, dass nicht mehr die perfekte Imitation der Juwelen zählt, sondern der ästhetisch raffinierte Einfall und nicht zuletzt die Serientauglichkeit. Anders als Echtschmuck, der gepflegt und vererbt wird, werden die dank hoher Auflagen bezahlbaren Klunker als gestalterischer Bestand der aktuellen Mode mit dieser auch ad acta gelegt und vergessen. Eher wenige Stücke bleiben erhalten, was Modeschmuck zum Sammlerobjekt prädestiniert.
Die bekanntesten Hersteller hatten ihren Sitz in New York. Anthony Aquilino war in den 1920er Jahren aus Neapel gekommen. Seine Brosche mit einer Katze, die auf einem roten Kristallkissen sitzt und versucht, einen Goldfisch aus seinem Glasbassin aus Lucite zu fischen, erlangte Kultstatus. Lucite, ein transparentes bruchsicheres Acrylharz, das wie ein echter Edelstein aussieht, war in den Jahren des Zweiten Weltkriegs als großartiger Ersatz für Strass- und Swarowskisteine aus Europa entdeckt worden.
26 unterhaltsam-funkelnde Kapitel
Welche Motive haben die Künstler und Designerinnen mit diesen Materialien bearbeitet? Und wer waren sie überhaupt? Diese Fragen beantwortet Carol Woolton, die Herausgeberin von „Costume Jewelry“, in 26 unterhaltsam-funkelnden Kapiteln. Zu den bedeutendsten Gestaltern zählen Miriam Haskell, die bis heute Schmuck von außergewöhnlicher Qualität herstellt, der Belgier William de Lillo, der für Tiffany und Cartier gearbeitet hatte, bevor er 1967 mit Robert F. Clark seine Firma gründete, sowie Joseff of Hollywood, der zunächst seine Schmuckstücke an Filmproduktionen verlieh und später davon Kopien anfertigte, die er über die großen Kaufhäuser vertrieb.
Carol Woolton (Hrsg.): „Costume Jewelry“. Taschen Verlag, Köln, 2025. 528 Seiten, 100 Euro
Der Bildband strotzt vor Früchten und Blumen, Masken, Köpfen und Tieren, und natürlich ist auch der Weihnachtsbaum vertreten. Apropos: Obgleich Modeschmuck meist von Frauen und Fashion-Aficionados selbst gekauft wird, während manche Männer noch immer an „Diamonds Are a Girl’s Best Friend“ glauben und gerne echten Schmuck verschenken – ein falsches funkelndes Juwel ist immer eine gute Geschenkidee.
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