Gitarrist Caspar Brötzmann: In Lautstärke baden
Die Alben des legendären Caspar Brötzmann Massakers werden derzeit wieder veröffentlicht. Ein Treffen mit einem Pionier des Noiserock in Deutschland.
Wenn Caspar Brötzmann darüber nachdenkt, wie das damals eigentlich war mit ihm und mit seiner Band, dann spricht er die meiste Zeit über abwägend, überlegt, reflektiert. Einmal aber platzt eine Antwort direkt aus ihm heraus: als er gefragt wird, ob er es vermisst habe, auf der Bühne zu stehen.
„Ja“, sagt er, kurze Pause, „und nicht nur das Bühnengefühl hat gefehlt. Dort zu stehen und in der Lautstärke zu baden, das ist unschlagbar. Dann weißt du, dass du am richtigen Ort bist. Es gibt kaum etwas anderes, das so eine Wirkung hat.“
In Sound baden. Sich vor die Verstärkerwände stellen und mit der Gitarre den Klang lenken. Feedbacks und Sirenen aufjaulen lassen. Für all das steht Caspar Brötzmann mit seiner Band, die den programmatischen Namen Caspar Brötzmann Massaker trägt (er nennt sie kurz „Massaker“). Eigentlich spricht man längst in Vergangenheitsform von dem Berliner Trio, denn die letzte produktive Phase liegt lange zurück.
Zwischen der Gründung im Jahr 1986 und 1995 haben sie fünf Alben veröffentlicht und damit den düsteren Noiserock und die Experimentalmusik in Deutschland auf ein höheres Level gehoben – ohne dass es hierzulande groß jemand bemerkt hätte. Der internationale Underground von Sonic Youth bis Helmet aber kannte den Namen Caspar Brötzmann sehr gut.
Bilder in den Proberaum stellen
Nun sind zum einen genau diese Alben neu aufgelegt worden (außer eins, das steht noch aus). Sie sind bei dem von Stephen O’Malley und Greg Anderson – beide von der Band Sunn o))) – betriebenen US-Label Southern Lord erschienen. Zum anderen wird Caspar Brötzmann Massaker auch wieder auftreten. Von der Stammbesetzung ist dann neben dem Namensgeber auch Bassist Eduardo Delgado-Lopez dabei. Der damalige Drummer Danny Arnold Lommen spielt nicht mehr. Wer seinen Part übernimmt, ist noch nicht klar.
Caspar Brötzmann Massaker: „The Tribe“, „Black Axis“, „Der Abend der schwarzen Folklore“, „Koksofen“ (Southern Lord/Cargo)
Live: Caspar Brötzmann Bass Totem / mit Sunn o))) 30 und 31. Juli: Berlin, Festsaal Kreuzberg 7. Oktober: München, Backstage 8. Oktober: Karlsruhe ZKM 10. Oktober: Leipzig, Felsenkeller
Caspar Brötzmann Massaker: 5. November: Hamburg, Hafenklang 6. November: Köln, MTC
Das Besondere bei Caspar Brötzmann Massaker war, dass die verstärkte Gitarre als ein in alle möglichen und unmöglichen Richtungen strebender Klangkörper eingesetzt wurde. Als Instrument, das wummern, wabern und brummen kann, das zerschreddern, das dazwischengrätschen, das davondriften kann.
„Die Beschäftigung mit dem Instrument hat mir alles bedeutet“, sagt Brötzmann. Er habe zu seinem Sound gefunden, indem er stundenlang allein geprobt habe. „Bei anderen habe ich damals gar nicht so viel nach Inspiration gesucht. Ich war im Proberaum und habe für mich selber gesucht. Und die Sachen, die mir gefallen haben – ich hab das immer gern Bilder genannt –, die habe ich dann den anderen gezeigt und in den Raum gestellt.“ So entstand ein radikaler Noise-Ansatz, der sich Zeit nahm: Die Songs dauerten gerne mal 10 bis 15 Minuten.
Wenn man Alben wie „Der Abend der schwarzen Folklore“ (1992) oder „Koksofen“ (1993) heute hört, so sticht neben der variablen Gitarre die Wucht der Songs hervor. Erzeugt wird sie auch durch die Erzählerstimme Brötzmanns, eine monströs klingende Bauchstimme, gegen die Klaus Kinski wie ein Schulbub klingt.
Oft knallt einem diese Stimme expressionistische Satzsprengsel hin. Berlin, soll ich mir die Kante geben / und dich ins Unglück stürzen / mit einem Herzen voller Falten tragend / das Leben auf der Seele brennt / zwischen Liebe und Gestank / Ein hölzerner Himmel sein“, lauten die ersten gesprochenen Verse auf „Koksofen“; und im Titelstück des Albums „Der Abend der schwarzen Folklore“ singt Brötzmann im Refrain: „Auf dass es Zeit wird / schwarze Wände bauen sich auf“.
Laube in Bernau
Mehr als 25 Jahre sind vergangen, seit Brötzmann diese Stücke geschrieben hat. Mittlerweile ist er 56 Jahre alt, er steht mit dem Rennrad und schnittigem Fahrradhelm auf dem Bahnhofsvorplatz von Bernau, wo wir zum Interview in einem Café verabredet sind. In dem Ort nahe Berlin haben er und seine Familie einen Garten mit Häuschen.
Dort verbringen sie oft ihre Wochenenden, sie wohnen in Berlin. Äußerlich sieht Brötzmann gar nicht so viel anders aus als früher, er hat längeres dunkelbraunes Haar, zurückgekämmt, Fünftagebart, und er redet leise und zurückgenommen – so ziemlich das Gegenteil seiner Massaker-Singstimme.
Eigentlich, sagt er, sei er längst mit ganz anderen Sachen beschäftigt gewesen als mit Massaker. Vier Jahre habe er an einer (noch unvollendeten) Romantrilogie gearbeitet, kaum Musik gemacht. Aktuell schreibe er nicht mehr. Aber Musik mache er wieder, unter neuem Namen: Bass Totem. Benannt nach einem Song seiner alten Band Massaker – und auch nach seinem neuen „Hauptinstrument“, einem (Sandberg-)Bass.
„Ich spiele aber nicht ganz normal Bass, das ist mir zu langweilig. Der Bass ist für mich eher wie eine Gitarre mit tiefer tönenden Saiten. Damit kann ich tolle Sachen machen.“ Er sagt das nicht wie einer, der prahlen will, eher wie ein Kind, das etwas Neues entdeckt hat und es fasziniert von allen Seiten betrachtet. Bass Totem sei als Soloprojekt angelegt, aber er lade immer auch mal wieder Gäste dazu.
Trötender Vater
Ursprünglich kommt Caspar Brötzmann aus Wuppertal, wo er am 13. Oktober 1962 geboren wird. Sein Vater ist der Saxofonist und Free Jazzer Peter Brötzmann. Als Kind besucht er gelegentlich Konzerte seines Vaters. „Wir fuhren zum Beispiel zum Moers Festival oder zur Balver Höhle. Ich kam meistens mit, wenn die Kinder der anderen Musiker auch dabei waren. Für uns war das ein Spektakel, wenn die da losgetrötet haben, obwohl wir das freiwillig wahrscheinlich nie gehört hätten.“
Er selbst spielt zunächst Klavier, ihm imponiert die Musik von Hanns Eisler und Ernst Busch. Als er 12, 13 ist, entdeckt er zu Hause eine akustische Gitarre – die mit seinen Eltern befreundete US-Jazzerin Carla Bley hatte sie bei ihnen liegen gelassen. „Kurze Zeit später kamen Led Zeppelin mit ‚Communication Breakdown‘ in mein Leben, und dann kam die elektrische Gitarre.“
Bis ins letzte Detail lässt er sich das Instrument vom Musiker und Instrumentenbauer Hans Reichel erklären. Wäre seine Mutter nicht gewesen, hätte er es aber wohl bald schon wieder in die Ecke geschmissen. Denn so gut wie Jimmy Page, Jimi Hendrix und Ritchie Blackmore wird er nicht, denkt er. „Dann entwickle das doch weiter“, sagt seine Mutter zu ihm.
Oi!-Punk
Bei dem Weg aus der Perfektionsfalle hilft ihm auch Punk. Anfang der Achtziger suchen die Oi!-Punks Die Alliierten einen Gitarristen. „Eigentlich war das eine gute Band“, sagt er – wären da nicht ein paar fragwürdige, rechtsoffene Texte. Als Brötzmann bei ihnen einsteigt, sorgt er selbst dafür, dass die Band ihre Lyrics ändert. „Die wollten meinen Sound und ich dafür linke Texte. Kleine Erpressung am Rande.“ Mit ihm entsteht der Song „Blinder Hass“, der sich klar gegen Rassismus und Antisemitismus ausspricht.
Mit Robbie Mahler hat die Band nun auch einen Sänger, der selbst jüdischer Herkunft ist. Brötzmann entdeckt zu dieser Zeit auch das Solo-Spielen im Proberaum. „Wenn ich alleine spielte, gab es für mich keine Regeln mehr. Dann habe ich einfach nur die Lautstärke hochgedreht und gemacht, was ich wollte. Da waren die Käfige nicht mehr da.“ Nachdem Alliierten-Sänger Mahler 1982 stirbt, kommt die Band nicht wieder auf die Beine. Brötzmann geht nach Berlin.
Dort gründet er mit Caspar Brötzmann & The Bonkers eine neue Gruppe. Und kurz darauf beginnt das Abenteuer Massaker, 1986 nimmt die Band erste Demos auf, 1987 erscheint das Debütalbum „The Tribe“. Von der ersten Westberliner Subkultur-Generation jener Epoche – den befreundeten Neubauten, Nick Cave, den Genialen Dilletanten – setzten sie sich mit ihren Gitarren-Noise-Eskapaden durch das Rockige, Metallische ab.
Um kommerziellen Erfolg geht es aber auch ihnen nicht. „Es steckte kein Plan dahinter. Ich könnte auch gar keine Strategie entwickeln, was jetzt als Nächstes kommt, damit meine Karriere erfolgreicher wird.“ Geld ist mit dieser Musik kaum zu machen, während der frühen Phase jobbt Brötzmann. Umzugsunternehmen, Krankentransporte, Schwertransporte.
Die Zeit, in der Massaker wohl die meisten Leute erreichen und auch bis in den Alternative Rock (damals sagte man das noch so) hineinreichen, sind die frühen Neunziger. Sie touren in den USA, Belgien, Niederlande und in Österreich. Es gibt auch einige Nebenprojekte: 1990 nimmt Caspar Brötzmann gemeinsam mit seinem Vater das Album „Last Home“ auf, es gibt weitere Kollaborationsalben mit FM Einheit (Einstürzende Neubauten) und Page Hamilton (Helmet).
Ende der Neunziger ist mit Massaker vorerst Schluss, nachdem ihre kriselnde Plattenfirma Rough Trade zweimal verkauft wurde. In den nuller Jahren macht Brötzmann unter anderem Arbeiten fürs Theater, arbeitet mit Thomas D. zusammen. Zwischen 2010 und 2012 spielen Massaker noch einmal Konzerte zusammen, danach ist wieder Funkstille.
Die Wiederveröffentlichung ihres Werks wäre ein allzu guter Anlass, die Verdienste dieser Band für die Gitarrenmusik stärker zu würdigen. Denn faszinierend an diesem Sound bleibt bis heute: Es ist Musik, die sich mit nichts und niemandem gemeinmacht, die kein Identitätsangebot schafft. Die im Raum steht wie eindrucksvolle „Landschaften“ und „Bilder“, wie Caspar Brötzmann sagen würde. Verstörende Klangbilder, wie es sie hierzulande in der Rockmusik zuvor nicht gab.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
Kanzlerkandidat-Debatte
In der SPD ist die Hölle los
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
Abschluss G20-Gipfel in Brasilien
Der Westen hat nicht mehr so viel zu melden
CDU-Politiker Marco Wanderwitz
Schmerzhafter Abgang eines Standhaften