Giro-d'Italia-Sieger Simon Yates: Aus dem Schatten
Der Brite Yates verarbeitet mit dem Gesamtsieg beim Giro d'Italia zugleich ein Trauma. Der Mexikaner Isaac Del Toro bezaubert mit Unbekümmertheit.

Wer auch strahlte, war Papst Leo XIV. Er wurde am 8. Mai zum Papst geweiht, einen Tag bevor in Albanien auf der anderen Seite der Adria der Giro d’Italia begann. Als Vermächtnis seines Vorgängers hatte er den Parcours der letzten Giro-Etappe durch den Vatikanstaat geerbt und auch dessen Versprechen, die Radler zu empfangen. In seinem weißen Gewand, das heller strahlte als das weiße Trikot des besten Jungprofis neben ihm, gab er den verbliebenen 159 Fahrern die besten Wünsche für die letzte Etappe auf den Weg. Er ermahnte sie, „Vorbilder für junge Menschen auf der ganzen Welt“ zu sein und als solche nicht nur auf den Körper zu achten, sondern „auch den Geist zu pflegen und immer auf den ganzen Menschen zu achten: Körper, Geist, Herz und Seele“.
Das war eine moralische Ansprache, in einem Sport, der einst durch die Unmoral des Dopings verwüstet wurde und in dem auch jetzt noch immer mal wieder der eine oder andere mit verbotenen Präparaten erwischt wird.
Aber auch rein sportlich war dieser 108. Giro d’Italia bemerkenswert. Isaac Del Toro, der Jüngling in Weiß, hatte anderthalb Wochen lang diesen Giro durch seine Unbekümmertheit bezaubert und durch sein rennfahrerisches Geschick auch dominiert. Er überzeugte anfangs als Schotterstraßenspezialist, eroberte dort als Etappenzweiter hinter dem Klassikerspezialisten Wout Van Aert das rosa Trikot. Seine Rolle war da noch die des Platzhalters für den eigentlichen UAE-Kapitän Juan Ayuso. Aber Del Toro entwickelte sich immer mehr zum Patron des Rennens. Als solcher wurde er das Ziel vieler Attacken. „Unser Plan ist es, ihn zu ermüden und zu erschöpfen“, sagten die sportlichen Leiter all der Teams, die sich selbst noch Hoffnungen auf den Gesamtsieg machten.
Triumphfahrt am Colle delle Finestre
Auf der 16. Etappe, unmittelbar nach dem letzten Ruhetag, wankte Del Toro auch. Tags darauf stellte er mit einem Etappensieg aber die alte Ordnung wieder her und schien der Kronprinz, der noch vor der Zeit die Nachfolge des letztjährigen Giro-Gewinners Tadej Pogačar aus dem eigenen Team antritt.
Am allerletzten Anstieg des Giros trat dann aber Yates aus dem Schatten, in dem er sich drei Wochen lang versteckt gehalten hatte. Der Brite, elf Jahre älter und die Erfahrung von 15 Grand Tours mehr in den Beinen legte am Colle delle Finestre eine Triumphfahrt hin, die ihm Rosa brachte.
Yates war in dem Moment von seinen Gefühlen überwältigt. Nicht nur, weil er gewonnen hatte, sondern wegen des Ortes, an dem ihm das gelang. „Dieser Anstieg hat meine Karriere geprägt“, sagte er über den Colle delle Finestre. Sieben Jahre zuvor hatte er diesen Anstieg noch im rosa Trikot erklommen. Aber dieser 13. Tag im rosa Trikot des Giro 2018 sollte auch sein letzter in der Führungsposition sein. Mehr als 38 Minuten verlor er damals auf den neuen Gesamtführenden Chris Froome.
Jetzt, im Mai 2025, drehte er den Spieß um und holte sich gewissermaßen zurück, was er vor sieben Jahren verloren hatte. „Ich hatte so viele Rückschläge, habe Jahr für Jahr immer wieder an diesem Ziel gearbeitet und jetzt endlich hat sich all das auch ausgezahlt“, sagte er, und die Tränen flossen über das Gesicht des sonst so beherrscht wirkenden Briten. Für ihn hatte sich ein Kreis geschlossen. Sieben Jahre nach der schmerzhaftesten Niederlage folgte nun der größte Triumph. Und nebenbei etablierte sich sein Team Visma – Lease a Bike nach einer verkorksten Saison 2024 wieder als mächtiges Grand-Tour-Team und als größter Herausforderer für Branchenprimus UAE.
Für Giro-Sieger Yates steht im Juli wieder die Adjutantenrolle für Jonas Vingegaard an, bei dessen Versuch, sich den Tour-Titel von Pogačar zurückzuholen. Ob sich auch hier ein Kreis schließt?
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