Gewerkschaftsgründung bei Google: Die Macht des Kollektivs
Eine Seltenheit im Silicon Valley: US-Beschäftigte von Google haben eine Gewerkschaft gegründet. Ihr Potenzial sollte nicht unterschätzt werden.
Don't be evil – sei nicht böse. Das langjährige Motto der Suchmaschine Google ist ein wenig verblasst, aber nicht vergessen. Am Montag erinnerten 225 Angestellte und Honorarkräfte des Mutterkonzerns Alphabet an das Versprechen dieser Maxime. Mit einem PR-Coup, inklusive Gastkommentar in der New York Times, gaben sie ihre gewerkschaftliche Organisation bekannt.
Angesichts rund 200.000 Beschäftigter wirkt die Zahl der Gründungsmitglieder vielleicht klein. Und tatsächlich kann eine Gewerkschaft in den USA erst dann Tarifpartei sein, wenn sie von einer Mehrheit der Angestellten unterstützt wird. Jedoch gibt das US-amerikanische Arbeitsrecht auch einer Minderheitenvertretung diverse Möglichkeiten der Einflussnahme, nicht zuletzt über öffentlichkeitswirksame Aktion und Stellungnahme. Zumindest diesen ersten Test im Kampf um Aufmerksamkeit hat die Alphabet Workers Union bestanden.
Gewerkschaftliche Organisation ist extrem selten bei den großen Digitalplattformen. Einerseits ist die ideologische Erzählung einer techno-utopischen Meritokratie, in der die Besten es am weitesten bringen und Leistungen mit grandiosen Boni belohnt werden, tief im Selbstverständnis vieler Angestellter verankert. Anderseits werden wiederholte Kritik oder gar koordinierter Protest mit ziemlicher Härte beantwortet. Entlassungen oder forcierte „freiwillige“ Abgänge von Aktivist*innen kommen bei Google, wie bei anderen Konzernen, immer wieder vor.
Selbst die Organisator*innen von Aktionen mit großer Beteiligung ihrer Kolleg*innen bezahlen ihr Engagement bisweilen teuer. Vier der sieben Angestellten, die 2018 zehntausende Google-Mitarbeiter*innen aus Protest gegen den Umgang des Konzerns mit sexueller Belästigung auf die Straße brachten, arbeiteten ein Jahr später nicht mehr dort.
Mehr Appell als Kampf?
Umso bemerkenswerter und letztlich unausweichlicher ist der Versuch gewerkschaftlicher Organisation. Auch wenn das Mission Statement der Alphabet Workers Union streckenweise weniger nach Arbeitskampf, dafür mehr nach einem Appell an das Unternehmen klingt, sich auf seine Gründungswerte zu besinnen – also wieder gut zu sein –, sollten das Potenzial und die Signalwirkung dieser Gründung nicht unterschätzt werden.
Es wird deutlich, dass Beschäftigte auf ganz unterschiedlichen Stufen der Hierarchie, vor allem aber inklusive der zwar immer noch gut bezahlten, aber dennoch prekär gehaltenen Honorarkräfte, kein Vertrauen mehr in ein gutwillig zu klärendes gemeinsames Interesse mit ihren Vorständen haben. Die Manifestation dieses Misstrauens in der Gewerkschaftsgründung ist der entscheidende Schritt, weg von der kalifornischen Ideologie, weg vom unbedingten Glauben an die alles in Frieden und Freude verbindende Technologie. Hin zu der an sich gar nicht so neuen Erkenntnis, dass langfristig organisiertes kollektives Handeln die einzig nachhaltige Strategie zur Verbesserung von Arbeitsbedingungen ist.
225 Menschen erklären also öffentlich, dass sie von ihrem Arbeitgeber verlangen, dass er sie fair behandelt, dass er für ein diskriminierungsfreies Arbeitsumfeld sorgt und dass er seiner aus Marktmacht gewachsenen Verantwortung gegenüber der Gesellschaft gerecht wird. Die Zeit für dieses Begehren ist günstig gewählt. Der US-Kongress sucht noch immer nach Wegen, die Monopole der digitalen Plattformen zu beschränken. Die einen oder anderen Abgeordneten werden sicherlich Zeit für Gespräche, selbst mit einer kleinen Minderheitenvertretung, finden.
Die Gegenmaßnahmen des Konzerns, das union busting, sind zweifellos bereits eingeleitet. Die Frage ist, wie gut sich die frisch gebackenen Kämpfer*innen für Arbeitnehmer*innenrechte schützen können. Gute Pressearbeit ist dabei das eine, geduldige Organisationsarbeit das andere. Und wenn schon Regierungen und Parlamente in aller Welt an der Regulierung der Plattformkapitalisten scheitern, heißt es ja vielleicht eines Tages von innen drin, tief aus dem Herz der Bestie: Algorithmen stehen still, wenn dein starker Arm es will!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen