Gewalttat in Hameln: Polizei wusste von Bedrohung
Ein Mann hat versucht, die Mutter seines Kindes hinzurichten, bedrängt hat er sie seit Monaten. Die Polizei sagt, sie habe alles für den Schutz der Frau getan.
Dabei habe die Frau ausgesagt, dass der 38-Jährige bereits am 22. Oktober ultimativ verlangt habe, nicht mehr mit Unterhaltsforderungen konfrontiert zu werden, sagte Oberstaatsanwalt Klinge: „Sonst wird einer von uns nicht mehr leben“, habe der Mann gedroht – und dies „auch gegenüber der Anwältin der Frau wiederholt“.
Täter und Opfer hatten sich am Sonntagabend zur Übergabe ihres zweijährigen Sohns am Wohnhaus der Frau in der Hamelner Südstadt getroffen. Nach einem Streit soll der Mann zunächst auf seine Ex-Partnerin eingestochen haben – ein Stich verfehlte offenbar das Herz nur knapp. Auch die Milz soll verletzt worden sein. Danach soll der Mann ein Seil um den Hals der Frau gebunden haben und sie an der Anhängerkupplung seines Autos rund 250 Meter mit hoher Geschwindigkeit über die König- und die Kaiserstraße geschleift haben – teilweise über Kopfsteinpflaster.
Eine Zeugin trat dem Täter entgegen
Zuvor hatte die 28-Jährige so laut um ihr Leben geschrien, dass AnwohnerInnen ans Fenster eilten. Einer Zeugin, die den Mut hatte, sich dem Mann entgegenzustellen und drohte, die Polizei zu alarmieren, soll er nur ein kaltblütiges „Mach doch“ entgegnet haben. Überlebt hat die Frau offenbar nur, weil sich das Seil in einer Kurve vom Auto löste. Am Mittwoch schwebte sie weiter in Lebensgefahr. Ihr zweijähriges Kind, das während der Tat auf dem Rücksitz des Wagens saß, wird vom Jugendamt betreut.
Oberstaatsanwalt Klinge betont nun, die Polizei habe alles in ihrer Macht stehende unternommen, um die 28-Jährige zu schützen. Unmittelbar nach der Anzeige seien zwei Polizeibeamte zur Wohnung des Täters im rund 20 Kilometer entfernten Bad Münder gefahren. Dort sei eine „Gefährderansprache“ durchgeführt worden, bei der sich der 38-Jährige „sehr einsichtig“ gezeigt habe.
Außerdem soll die Frau bei ihrer Anzeige gesagt haben, sie fühle sich von ihrem Ex-Lebensgefährten nicht unmittelbar bedroht. „Womit hätte ein Haftbefehl begründet werden sollen?“, fragte Klinge – schließlich sei der Täter „strafrechtlich völlig unvorbelastet“ gewesen. Im Bundeszentralregister sei „kein einziges Verfahren“ gegen den Mann gespeichert, sagte Klinge.
Thomas Klinge, Oberstaatsanwalt
Der Vorsitzende der Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, sagte dagegen, der 38-Jährige sei immer wieder durch Straftaten aufgefallen, aber dennoch nicht in Haft gewesen. Wendt nutzte den Fall für massive Kritik an der seiner Meinung nach zu täterfreundlichen Justiz. „Es wird sich ein Richter finden, der ihm auch jetzt wieder eine positive Sozialprognose geben wird.“ Woher Wendts Informationen stammen, bleibt aber unklar – der Gewerkschaftschef war am Mittwoch nicht zu erreichen.
Für die Polizei in Hameln sagte deren Sprecher Jens Petersen, der Täter hätte auch nicht per Platzverweis von seinem Opfer ferngehalten werden können: „Es bestand ein gemeinsames Sorgerecht“, sagte Petersen zur taz. „Das Treffen zur Übergabe des Kindes wurde von der Frau gewünscht.“
Frauenberatungsstelle: Polizei handelte richtig
Unterstützung bekommt Petersen von der Frauenberatungsstelle Hameln, die das Frauenhaus vor Ort betreibt. „Mehr kann die Polizei sicher nicht machen“, sagte Beratungsstellen-Mitarbeiterin Heidi Schaper. Ein polizeilicher Platzverweis könne bei getrennt lebenden Paaren für maximal 24 Stunden ausgesprochen werden. Die Tat sei aber zwei Tage nach der Gefährderansprache verübt worden. Außerdem sei unklar, ob sich der Mann überhaupt daran gehalten hätte.
Denn der Mann habe seine Tat als eine Art öffentliche Hinrichtung inszeniert, sagte auch die frauenpolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion, Thela Wernstedt. Zwar sei unklar, ob dies mit dem „kulturellen Hintergrund“ des Täters in Zusammenhang stehe – wie sein Opfer gehört er den aus dem Libanon zugewanderten Mhallami an. Politik und Öffentlichkeit müssten Männern egal welcher Herkunft aber deutlich machen, dass das Gewaltmonopol des Staates für alle gelte.
Dazu diene auch das lange umstrittene neue Polizeigesetz Niedersachsens, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der grünen Landtagsfraktion, Helge Limburg: Polizeiliche Platzverweise können künftig für die Dauer von zehn Tagen ausgesprochen werden – und in dieser Zeit kann vor Gericht ein „Annäherungsverbot“ für Gewalttäter beantragt werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin