Gewaltforscher über Terror: „Mit Anschlägen umgehen lernen“
Nach den Anschlägen ist die Gesellschaft verunsichert, sagt Gewaltforscher Andreas Zick. Wir müssen solche Situationen daher einüben.
taz: Herr Zick, derzeit haben wir fast täglich Meldungen von furchtbaren Gewaltverbrechen: Würzburg, München, Reutlingen, jetzt Ansbach. Auch wenn die Taten alle unterschiedlich gelagert sind: Was macht das mit einer Gesellschaft?
Andreas Zick: Die Konsequenz ist eine massive Verunsicherung. Das sieht man nicht nur vor Ort, sondern auch, wenn man sich die Medien und die sozialen Netzwerke anschaut. Diese Verunsicherung ist für viele schwer auszuhalten, man sucht nach Sicherheit. Unsere Daten zeigen: Nach Anschlägen wird der Ruf nach öffentlicher Kontrolle und Sicherheit lauter und der nach Prävention und Sozialarbeit für die Gruppen, die ein Problempotential auf sich ziehen, leiser. Dabei ist letzteres sehr wichtig. Die Daten zeigen auch, dass nach islamistischem Terror oder der Kölner Silvesternacht die Distanzierung von Muslimen und die Islamfeindlichkeit steigen.
Welche Rolle spielen Vorurteile beim Umgang mit dieser Unsicherheit?
Wer für Vorurteile anfällig ist – zum Beispiel gegen Flüchtlinge und Muslime – findet hier eine Erklärung für das Geschehen. Populismus hat da leichtes Spiel. In München hat man gesehen, dass die Menschen sehr viele Informationen aufsaugen – und da sind eben auch falsche dabei.
Bei der Tat von München scheint es sich um einen lokal begrenzten Amoklauf gehandelt zu haben. Waren die Reaktionen angemessen?
Der 54-Jährige ist Sozialpsychologe und leitet das Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) an der Universität Bielefeld.
Wir hatten die Anschläge von Nizza, Paris und Brüssel. Die Informationen werden vor diesem Hintergrund wahrgenommen. Die Leute wissen auch, dass es eine erhöhte Terrorgefahr im Land gibt. Sie haben schon während der Ereignisse sehr viel über die neuen Medien kommuniziert. Einerseits verschafft der Informationstausch Sicherheit, andererseits fiebern sie mit, und es hat Erlebnischarakter. Die Massenkommunikation ist ein Weg um mit dieser Verunsicherung umzugehen, die latent schon vorher vorhanden war.
In München wurde das deutlich, als die Information kursierte, es könnten drei Täter sein mit Langwaffen sein. Da dachten viele sofort: Das ist der Anschlag, den wir lange befürchtet haben. Durch die Modernisierung der Medien werden solche Informationen unfassbar schnell ausgetauscht, interpretiert und kommentiert. Das Fernsehen hat diesen Ausnahmezustand übernommen, weil es wie der erste große Terroranschlag aussah. Die Polizei hat besonnen reagiert, hat die Medien schneller, umfänglicher informiert. Das ist gut. Menschen, die maximal verunsichert sind und keine Informationen haben, neigen dazu, sich fehlzuverhalten. Aber insgesamt ging das alles zu schnell, weil Sicherheit Besonnenheit erzwingt.
Wie kann man Geschwindigkeit rausnehmen?
Es hört sich zynisch an, aber wir müssen einüben, wie man mit solchen Situationen umgeht. In Ländern, die Erfahrung mit Terroranschlägen haben, wie etwa Israel, hat man solche Abläufe gelernt. Wir kennen das zum Teil. In Schulen wird zum Beispiel trainiert, was bei Amokverdacht zu tun ist. Der Ablauf in München weist darauf hin, dass Menschen lernen sollten, wie man zum Beispiel mit dem Handy umgeht. Stellt man Filme ein? Leitet man sie an die Polizei weiter, oder legt man besser das Handy zur Seite und schreit den Täter an?
Da stehen wir noch ganz am Anfang, obgleich nun allen klar ist, wie einfach Regeln sein können: Keine Fehlinformationen oder Gerüchte ins Netz stellen. Insgesamt müsste man die Bevölkerung viel stärker darüber aufklären, wie man Terror, Radikalisierung und Amok erkennt, was man tun kann und wie man Verdächtigungen zurückhält. Auch wenn es paradox erscheint in einer Gefahrensituation: Man braucht Ruhe, um genau zu sehen, was passiert.
Die Täter aus Würzburg und Ansbach sind als Flüchtlinge ins Land gekommen. Was bedeutet das für die gesellschaftliche Debatte?
Wir sehen in den unseren Daten aus den vergangenen zwei Jahren deutlich, dass die Ablehnung von jungen Migranten massiv angestiegen ist. In unserer letzten Umfrage zwischen Dezember 2015 und Februar 2016 stimmten 49 Prozent der Befragten der Meinung zu: „Je mehr Flüchtlinge Deutschland aufnimmt, desto größer ist die Gefahr von Terrorismus“. Bei Vorurteilen bleibt es nicht. Auf europäischer Ebene haben wir gesehen: Wenn es eine subjektiv erlebte Terrorgefahr gibt, dann wollen die Leute Diskriminierung. Man will, dass etwas mit der Gruppe, die verdächtigt wird, geschieht.
So mancher Politiker der AfD wirft alles in einen Topf und versucht, daraus politischen Profit zu ziehen: Immer ist die Kanzlerin schuld, die mit den Flüchtlingen den Terror ins Land geholt haben soll. Und die Linke und ihre vermeintlich Multi-Kulti-Ideologie. Was bedeutet das?
Wir hatten in den vergangenen zweieinhalb Jahren viele Hatecrimes und Angriffe auf Asylunterkünfte. Populisten haben die öffentliche Debatte bestimmt. Viele haben erschreckt bemerkt, dass sich Gesellschaft polarisiert. Bei der Kommentierung der Münchener Amoktat hat sich die AfD, weil sie die Dinge so extrem vorurteilsbeladen kommentiert hat, keinen Gefallen getan. Sie hat eine Grenze überschritten. Da war die Reaktion weitgehend ablehnend. Das ist auch die Chance einer offenen, medialen Gesellschaft, die begreift, dass Vorurteile schädigen.
Was wäre eine gesellschaftlich wünschenswerte Reaktion? Was müssen wir tun?
Wir können nur appellieren, dass bei einem Anschlag Vorverurteilungen die Lage nicht klären. Sie erhöhen die Sicherheit nicht, sondern mindern sie. Wir brauchen Mäßigung. Jetzt muss man entscheiden, wie man eine Sicherheitsdebatte führt, ohne sie populistisch in den Wahlkampf zu ziehen. Ob die Politik das schafft, wird sich bald zeigen.
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