Gewalt in der Lieferkette: Erschossene beim Soja-Anbau

Vorwürfe gegen Agravis: Der Agrarhändler importiert angeblich von einer brasilianischen Genossenschaft, die in Landkonflikte verwickelt ist.

Weiße Silos an einem Fluss

Agravis-Futtermittelwerk in Oldenburg: Kommt hier Blut-Soja an? Foto: Fabian Steffens/imago

BERLIN taz | Hiesige Unternehmen müssen sich ab Januar verbindlicher um die Menschenrechte bei ihren ausländischen Lieferanten kümmern. Welche Herausforderungen das neue Lieferkettengesetz für die Firmen mit sich bringen kann, zeigt der Fall des Agrarhändlers Agravis aus Münster. Ihm wird vorgeworfen, unter anderem Soja von Farmen aus Brasilien zu beziehen, auf denen es zu gewalttätigen Konflikten um Land kommt.

Die Christliche Initiative Romero (CIR), eine entwicklungspolitische Organisation aus Münster, stellt den Fall so dar: Ende Mai habe ein Farmer einen Anwohner der indigenen Gruppe der Guarani-Kaio­wá erschossen, als dieser an der Grenze des indigenen Siedlungsgebietes Holz hackte.

Der seit der Eroberung durch europäische Kolonisatoren latente Konflikt zwischen Farmern und Indigenen um die Nutzung desselben Landes in Amambai im brasilianischen Bundesstaat Mato Grosso do Sul nahe Paraguay sei wieder aufgebrochen. Die indigenen Gemeinschaften hätten dann einige Gebiete besetzt – „friedlich“, wie CIR erklärt. Darauf hätten Polizei und Farmer mindestens zwei Protestierer erschossen und neun verletzt.

Der Zusammenhang zu Deutschland: Agrarhändler Agravis importiert Soja von der Genossenschaft Coamo, deren Mitglieder bei Amambai große Felder bearbeiten. Nach Angaben von CIR tragen sich die Konflikte auf Land zu, wo Soja und Mais für Coamo und damit potenziell auch für Agravis angebaut werden. Unter anderem Interviews mit An­woh­ne­r:in­nen würden das belegen.

Aussage gegen Aussage

Die Ak­ti­vis­t:in­nen fordern nun, dass der Futtermittelhändler Verantwortung übernimmt und künftig dafür sorgt, dass es nicht zu weiteren Menschenrechtsverletzungen in seiner Lieferkette kommt – wie es das Lieferkettengesetz verlange. Mit 7,3 Milliarden Euro Umsatz (2021) und 6.400 Beschäftigten ist der börsennotierte Konzern Agravis Raiffeisen AG ­Deutschlands zweitgrößter Agrarhändler.

Auf Anfrage der taz leitete Agravis eine Erklärung von Coamo weiter. Darin heißt es: „Der Besitzer des umstrittenen Landes ist kein Mitglied der Genossenschaft.“ Außerdem würden die Produkte, die die Firma verkaufe, nicht auf „irregulärem“ Land hergestellt, also nicht auf indigenen Flächen, die sich die Farmer widerrechtlich angeeignet haben. Darüber hinaus wollte sich das Unternehmen aus Münster nicht zum Konflikt äußern. Aussage steht gegen Aussage.

Reicht diese Reaktion noch, wenn das Lieferkettengesetz in wenigen Monaten wirksam wird? „Grundsätzlich gilt, dass Unternehmen identifizierte Risiken und Vorfälle sowie ergriffene Maßnahmen veröffentlichen müssen“, sagte Markus Löning. Der ehemalige Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung betreibt eine Beratungsfirma für Unternehmensverantwortung. Gegenüber der taz äußerte er sich nicht konkret zum vorliegenden Konflikt, sondern allgemein zu den Wirkungen des Lieferkettengesetzes. „Das Liefer­ketten-Sorgfaltspflichten-Gesetz nennt Landrechte als eines der menschenrechtlichen Risiken, die Unternehmen zu beachten haben“, erklärte Löning. Das betreffe direkte Zulieferer, unter bestimmten Umständen auch deren Vorlieferanten.

Vor diesem Hintergrund sagte Dominik Gross von CIR: „Wir gehen davon aus, dass Coamo keine ausreichenden Präventionsmaßnahmen vorgenommen hat und damit Coa­mo und Agravis gegen das Lieferkettengesetz verstoßen.“ Der deutsche Agrarhändler müsse „angemessene Abhilfemaßnahmen“ treffen, um die Menschenrechtsverletzungen „zu minimieren oder zu beenden“. Wenn das nicht helfe, könnten auch die Geschäftsbeziehungen zu Coamo infrage stehen.

Bald greift das neue Lieferkettengesetz

Ab Januar 2023 müssen sich alle hiesigen Firmen mit mehr als 3.000 Beschäftigten an das Lieferkettengesetz halten. Unter anderem die Rechte auf Arbeitssicherheit, Gewerkschaftsfreiheit, fairen Lohn, Land und sauberes Trinkwasser der Arbeiter und Anwohner von Zulieferern in aller Welt sind dann besser geschützt. Die deutschen Auftraggeber müssen die Risiken in ihren Lieferketten analysieren, dokumentieren, wenn nötig verringern und öffentlich darüber berichten. Tun sie es nicht, drohen Bußgelder und Prozesse vor Gericht.

Das Bundesamt für Wirtschaft, das für die Kontrollen der Unternehmen zuständig ist, kann demnächst die ersten 7 Stellen besetzen. Diese Zahl reiche jedoch nicht aus, beklagt die Initiative Lieferkettengesetz, ein Zusammenschluss von Entwicklungs- und Bürgerrechtsorganisationen sowie Gewerkschaften. Rund 100 Stellen seien nötig.

Auf EU-Ebene ist eine ähnliche Regelung in Planung, die schärfer ausfallen könnte als das deutsche Gesetz. Das Europaparlament hat sich zudem am Dienstag für ein Importverbot für zahlreiche Waren ausgesprochen, wenn entlang der Lieferkette Wälder abgeholzt wurden.

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