Gewalt in der DR Kongo: Zwei Männer, ein Krieg
Seit Jahren kennen sich die Militärchefs Evariste Somo und Sultani Makenga. Die Widersacher verbindet eine gemeinsame Geschichte.
An jenem Abend im Spätsommer 2012, es ist sein 39. Geburtstag, macht sich Evariste Somo am Ufer des malerischen Kivu-Sees bei einer Flasche Whisky Luft über seine Ängste und Sorgen. Er ist zu jener Zeit dafür zuständig, Nord-Kivus Provinzhauptstadt Goma vor den anrückenden Rebellen der M23 (Bewegung des 23. März) zu verteidigen.
Die Schützengräben am Fuße des mächtigen Nyiragongo-Vulkans sind Somos Zuhause. Sein Gegenspieler, M23-Militärchef Sultani Makenga, schläft nur wenige Kilometer nördlich auf einem der zahlreichen Vulkanhügel, ebenso nah bei seinen Kämpfern, ebenfalls im Schlafsack hinter Sandsäcken.
Kriegsgestählt und entschlossen gibt der scheue Rebellenchef Makenga kaum Interviews, zeigt sich wenig in der Öffentlichkeit. Unter seinen Kameraden gilt er als einer, der sich nur seinen engsten Gefährten öffne, dann aber einen guten Humor habe – selbst in schweren Zeiten. In einem seiner seltenen Interviews erklärt er damals der taz: „Mein Leben ist Krieg, meine Ausbildung ist Krieg und meine Sprache ist Krieg.“ Schon 2012 war die M23 im Ostkongo auf dem Vormarsch und besetzte sogar kurz die Millionenstadt Goma. Der Krieg endete 2013 mit einer Niederlage der M23, aber 2021 brach er wieder aus.
Diesmal ist die M23 stärker. Ende Januar 2025 haben die Rebellen Goma erneut eingenommen, wieder angeführt von Sultani Makenga. Was von der Regierungsarmee in Nord-Kivu übrig ist, steht nun 200 Kilometer weiter nördlich, in der Distrikthauptstadt Beni, erneut unter dem Kommando von Evariste Somo. Makenga und Somo kennen sich schon ein halbes Leben lang. Ihre Lebenswege haben sich mehrfach gekreuzt. Sie sind fast gleich alt, beide stammen aus Nord-Kivu, beide haben dieselben Kriege durchlebt – anfangs sogar auf derselben Seite.
In Beni, wo Somo heute residiert, wurde er 1975 geboren. Der junge Mann aus der Tembo-Ethnie, der sich gern als „Eva“ vorstellt, schloss sich nach seinem Jurastudium der Rebellenbewegung RCD (Kongolesische Sammlung für Demokratie) an. Die RCD wollte 1998 Kongos damaligen Präsidenten Laurent-Désiré Kabila stürzen und mit Unterstützung Ruandas und Ugandas ganz Ostkongo beherrschen.
Auch Makenga diente damals in der RCD. Geboren 1973 in den Masisi-Bergen nahe Goma wuchs er als Kind auf der Farm seiner Tutsi-Eltern auf, musste Kühe hüten und ging nur wenige Jahre zur Schule. 1990 schloss er sich Ruandas Tutsi-Guerilla an, die im Exil in Uganda unter dem heutigen ruandischen Präsidenten Paul Kagame entstanden war. Nachdem der Hass auf Tutsi in Ruanda 1994 im Völkermord an über 1 Million Menschen gipfelte, floh die dafür verantwortliche Hutu-Regierung nach Ostkongo. In Ruanda übernahm Tutsi-Rebellenführer Kagame die Macht und integrierte seine Kämpfer in Ruandas neue Armee, darunter auch den Kongolesen Makenga.
Sein großer Traum, so sagen es seine engsten Gefährten, ist es bis heute, wieder auf den Almen seiner Vorfahren in Masisi seine Kühe zu hüten und seine drei im ruandischen Exil geborenen Kinder auf seiner Farm aufwachsen zu sehen. Als Ruandas neue Armee 1996 im Ostkongo einrückte, um die flüchtigen Völkermordtäter zu jagen, war Makenga als Zugführer ganz vorn mit dabei. Er kannte jeden Hügel, jeden Schleichweg. Er kommandierte schließlich sogar die Kompanie, die im Mai 1997 die ferne Hauptstadt Kinshasa einnahm und Rebellenführer Laurent-Désiré Kabila an die Macht hievte.
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Der Frieden hielt nicht lange
Nur gut ein Jahr später warf Kabila Ruandas Truppen wieder aus dem Land und damit auch die kongolesischen Tutsi in ihren Reihen. Sie blieben aber im Ostkongo und gründeten die RCD. Als RCD-Bataillonskommandant bekämpfte Makenga nördlich von Goma die ruandischen Hutu-Völkermörder, die sich neu aufgestellt hatten und Ruanda angriffen. In jener Operation starb sein Vorgesetzter, dessen Funk-Signalcode er zum Andenken übernahm: „B5“ – unter diesem Kriegsnamen ist Makenga bis heute bekannt.
Doch in der Rebellenorganisation RCD gab es Verwerfungen, die Schutzmächte Ruanda und Uganda zerstritten sich, es kam zur Spaltung. Makenga wurde angeschossen und war außer Gefecht. Somo schloss sich der Fraktion RCD-K/ML in seiner Heimatstadt Beni an und wurde Assistent von dessen Anführer Mbusa Nyamwisi. Mit einem Friedensabkommen und dem Abzug aller ausländischer Armeen ging der Kongokrieg 2003 zu Ende. Alle Rebellen wurden in Kongos neue Armee integriert, auch die jungen Offiziere Somo und Makenga. Somo besuchte Militärakademien in Belgien und Frankreich und studierte an der Marineakademie in Kiel.
Makenga hingegen desertierte gleich mehrfach. In Kongos neuer Armee galt er, der in Ruandas Armee gedient hatte, als potenzieller Verräter, wie auch viele andere Tutsi. Tutsi-General Laurent Nkunda startete 2004 erneut einen Aufstand und nahm Makenga mit. In Nkundas Rebellion stieg Makenga zum stellvertretenden Stabschef auf. Sie eroberten erneut weite Teile des Ostkongo – doch proklamierten Anfang 2009 den überraschenden Friedensschluss. Ein neues Friedensabkommen am 23. März 2009 integrierte die Tutsi-Rebellen in Kongos Armee. Makenga wurde in Süd-Kivus Provinzhauptstadt Bukavu stationiert.
Der Frieden hielt nicht lange. 2012 desertierten die Tutsi-Soldaten erneut. In Erinnerung an das ihres Erachtens nach nicht umgesetzte Abkommen von 2009 gründete Makenga in den Bergen an Kongos Grenze zu Ruanda die „Bewegung des 23. März“ (M23) und zog erneut in den Krieg. Wenig später standen sie kurz vor Goma, das von Somo verteidigt wurde.
Fernsehen in Uganda
Jemanden wie Somo hätte Makenga damals in seinen Reihen gut gebrauchen können. Somo galt in Kongos korrupter Armee als bescheidener Saubermann. Als studierter Jurist verachtete er seine Kameraden, die Kriegsverbrechen begangen, und machte sich damit auch bei seinen Vorgesetzten unbeliebt. An jenem Sommerabend am Kivu-See 2012 erreichten Somo Textnachrichten vom Feind: Makenga bemühte sich, den Armeekommandeur zum Überlaufen zu bewegen. Doch Somo lachte nur: „Ich will mein Land verteidigen und nicht für Ruanda arbeiten“, sagte er.
Somo haderte oft mit sich. Als im November 2012 Makengas Kämpfer mit Hilfe Ruandas Somos Frontstellung überrannten, traf dieser wohl die schwierigste Entscheidung seines Lebens: Er befahl seinen Truppen den Rückzug und überließ Makenga kampflos Goma. Um jeden Preis wollte er vermeiden, dass Zivilisten bei Gefechten sterben, erklärte er damals der taz. Dafür wurde Somo von seinen eigenen Truppen fast gelyncht und nach Marokko ins Krankenhaus ausgeflogen.
Diesmal, im Januar 2025, ist Goma nicht kampflos gefallen. Kongos Regierungsarmee schoss gegen die M23 und Ruanda zurück, Milizen kämpften weiter, tagelang herrschte Krieg in der Millionenstadt. Die UN zählten über 3.000 Tote. Aber Makengas Kämpfer setzten sich durch.
Makenga hatte viel durchgemacht in den Jahren zwischen den beiden Kriegen. Als die M23 2013 geschlagen wurde, ging er ins Exil. Jahrelang saß er gelangweilt in einer Villa in Ugandas Hauptstadt Kampala und guckte Fernsehen. 2017 schlich er sich heimlich davon, um eine erneute Rebellion anzuzetteln. Auf Fotos sah man ihn in einer Bambushütte in den Vulkanbergen an der Grenze zur Demokratischen Republik Kongo, glücklich lachend.
„Das ist total verrückt“
Mittlerweile ist Somo General, Makenga auch. Nach dem Rückschlag von 2012 machte Somo wieder Karriere. Zuletzt kommandierte er eine Fallschirmjägertruppe, die 31. Brigade, von der EU mit rund 11 Millionen Euro finanziert: Vom Erste-Hilfe-Kasten über Gummistiefel bis zum Funkgerät ist Somos Truppe mit europäischem Geld ausgestattet, mit weiteren 5 Millionen Euro wurde die Trainingseinrichtung seiner Einheit in Kindu renoviert. Somo gilt als einer der wenigen „sauberen“ Generäle in Kongos Armee. Bis Ende Januar war er mit seiner Spezialeinheit an der nördlichen Front gegen die M23 in Nord-Kivu stationiert.
Inzwischen erreichen ihnen keine Textnachrichten mehr von Makenga. Mehrfach musste er sich zurückziehen. Dann nahm die M23 Ende Januar erneut Goma ein. Nord-Kivus Gouverneur wurde erschossen. Neuer Militärgouverneur wurde General Somo. Er soll nun Goma von Makenga zurückerobern.
„Das ist total verrückt“, schrieb Somo an jenem Morgen an die taz, als er über seinen neuen Posten informiert wurde. Frisch rasiert, in schusssicherer Weste und Flecktarnuniform betrat er kurz darauf das Rathaus seiner Geburtsstadt Beni, das ihm nun als Gouverneurssitz dient. „Mein Büro ist nicht in Beni“, erklärte er in seiner Antrittsrede. „Mein Büro ist in Goma.“ Eine klare Kampfansage an seinen alten Widersacher.
Makenga bleibt davon unbeeindruckt. Der Rebellenkommandeur ist derzeit damit beschäftigt, in Goma gefangengenommene Regierungssoldaten in die M23 zu integrieren. Auch Bukavu, wo er einst als Armeeoberst stationiert war, steht nun unter M23-Kontrolle. An der nördlichen Front, in Richtung Beni, wo Somo nun seinen Hauptsitz hat, wird seit einigen Tagen ebenfalls wieder gekämpft.
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