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Gewalt in JerusalemWut auf allen Seiten

Zusammenstöße zwischen Rechtsextremen, arabischen Israelis und der Polizei fordern Dutzende Verletzte. Die Hamas feuert Raketen ab.

Mitglieder der ultrarechten jüdischen Lehava-Bewegung am Donnerstag in Jerusalem Foto: ap

Jerusalem taz | Gewaltvolle Zusammenstöße zwischen jüdischen und palästinensischen Israelis und Sicherheitskräften in Jerusalem schlagen Wellen. Nach Gewaltausbrüchen in Jerusalem in der vergangenen Woche kam es am Wochenende auch in anderen arabisch geprägten Städten und Dörfern Israels sowie im Westjordanland zu Auseinandersetzungen.

Aus dem Gazastreifen wurden am Freitag und Samstag mehr als 40 Raketen in angrenzende israelische Gebiete abgeschossen. Israels Luftwaffe beschoss daraufhin Einrichtungen der in dem Küstenstreifen herrschenden Hamas.

Am Samstagabend gab es in Jerusalem erneut Verletzte und Festnahmen. Hunderte Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen lieferten sich in der Nähe des Damaskus-Tors zur Altstadt Konfrontationen mit der Polizei. Die Demonstrierenden warfen nach Polizeiangaben Steine und Brandsätze. Sicherheitskräfte setzten laut Medienberichten Blendgranaten ein. Auch am Kalandia-Grenzübergang nach Ramallah kam es zu Unruhen.

Am Samstag hatte der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu nach einer Sicherheitssitzung die Sicherheitskräfte aufgefordert, auf jedes Szenario vorbereitet zu sein. Gleichzeitig rief er zu einer „Beruhigung der Gemüter auf allen Seiten“ auf.

Auch die deutsche Bundesregierung äußerte sich: „Besonnenheit und das Bemühen um Deeskalation müssen jetzt Priorität haben“, sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amts am Sonntag. Die Raketenangriffe aus dem Gazastreifen verurteilte er „auf das Schärfste“. Diese seien „durch nichts zu rechtfertigen und müssen sofort aufhören“.

Versammlungen vor dem Damaskus-Tor verboten

„Es ist schwer zu sagen, was genau die Auseinandersetzungen ausgelöst hat“, sagt Hagit Ofran von der Menschenrechtsorganisation Peace Now. „Eigentlicher Grund dürften die großen, untergründigen Spannungen sein, die in Jerusalem immer herrschen.“ Der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat, sei aber die Entscheidung der Polizei gewesen, das Damaskus-Tor für abendliche Versammlungen während des islamischen Fastenmonats Ramadan abzusperren.

Für die Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen sei dies eine Provokation gewesen, umso mehr, als darüber hinaus auch der Status quo auf dem Tempelberg mit der Al-Aksa-Moschee, eine der wichtigsten Moscheen des Islam, infrage gestellt worden sei. Normalerweise gilt, dass Juden den Tempelberg besuchen, nicht aber dort beten dürfen. Am letzten Pessachfeiertag Anfang April aber hatten jüdische Gruppierungen Videos veröffentlicht, in denen sie auf dem Tempelberg beten, singen und andere Juden aufrufen, es ihnen gleichzutun.

Nun brennen dort, wo eine festliche Ramadan-Atmosphäre herrschen sollte, jeden Abend Absperrgitter; die Polizei rückt mit Wasserwerfern an, Dutzende Menschen sind bei den Zusammenstößen zwischen Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen und der Polizei sowie rechtsextremen jüdischen Aktivisten verletzt worden. Es sind die seit Jahren heftigsten Auseinandersetzungen in Jerusalem.

Der Zorn einiger jüdischer Israelis war bereits vor zehn Tagen angefacht worden. Ein Video auf der Plattform Tiktok ging viral, in dem zwei palästinensisch-israelische Jugendliche einen ultraorthodoxen Jugendlichen in der Tram ohrfeigen. Die Polizei nahm die Verdächtigen, zwei 17-Jährige aus Ostjerusalem, vergangenen Dienstag fest.

Am Donnerstag dann kam es zu einer ersten Gewalteskalation. Hunderte rechtsextreme Aktivist*innen, von denen viele mit der ultrarechten jüdischen Lehava-Bewegung verbunden sind, marschierten zum Damaskus-Tor, einige riefen „Tod den Arabern“.

Rechtsruck in israelischer Gesellschaft

Verantwortlich für die Gewalt ist laut Ofran auch der Rechtsruck in der israelischen Gesellschaft und der Erfolg der offen antiarabischen Politiker Itamar Ben Gvir und Bezalel Smotrich mit ihrer Partei Religiöser Zionismus bei der Parlamentswahl im März. „Lehava, die Gruppe, die diese gewalttätigen Angriffe organisiert, ist mit Leuten verbunden, die Ben Gvir nahe stehen“, sagt Ofran. „Die fühlen sich nun legitimiert.“ Der Rechtsanwalt Ben Gvir vertrat in der Vergangenheit etwa den Lehava-Anführer Bentzi Gopstein vor Gericht.

Spricht man mit palästinensischen Israelis in Ostjerusalem, hört man auch Wut über die Siedler*innen. Im Westjordanland haben Angriffe auf Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen in den letzten Wochen zugenommen. In Ostjerusalem stehen laut Ofran derzeit zudem etwa 85 Familien im arabischen Stadtteil Silwan und 72 Familien in Scheich Jarrah mit Räumungsklagen gegen sie vor Gericht. Vor zwei Wochen sind außerdem Sied­le­r*in­nen in drei große Häuser in Silwan eingezogen.

Smotrich, Netanjahus rechtsex­tremer Verbündeter, deutete derweil am Samstag an, dass es für den Premier an der Zeit sein könnte zu gehen. Für ihn war Netanjahus Reaktion auf die Unruhen zu schwach. Netanjahu versucht derzeit, erneut eine Regierungskoalition zusammenzubekommen, um weiterregieren zu können.

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