Gewalt in Israel: Raketen statt Feiern
Am Feiertagswochenende erlebt Israel eine Welle von Angriffen – von verschiedenen Seiten. Die Reaktion folgte prompt. Geht die Eskalation bald weiter?
Einer der zentralen Akteure der jüngsten Gewalt war einmal mehr die militante Organisation Hamas, die den Gazastreifen kontrolliert. Sie schossen wohl am Donnerstagnachmittag auch die 36 Raketen aus dem Libanon auf das nördliche Israel ab – mit schweigender Zustimmung der Hisbollah, dem militanten libanesischen Arm des Iran. Es war der schwerste Angriff aus dem Norden seit dem zweiten Libanonkrieg 2006.
In der Nacht auf Sonntag folgten dann sechs Raketen von Syrien aus auf die Golanhöhen. Für Michael Milshtein, Leiter des Forums Palästinensische Studien an der Tel-Aviv-Universität, ist klar, dass die Raketen von einer schiitischen, dem Iran verbundenen Gruppe abgefeuert wurden. Dazu kamen zwei Anschläge am vergangenen Freitag, einer im Westjordanland, einer in Tel Aviv.
Die vergangenen Tage haben vielen das Gefühl gegeben, dass Israel nicht nur in Sachen Demokratie gefährdet ist. Die innenpolitische Krise, spüren sie, hat Einfluss auf die Sicherheitssituation des Staates. Vor diesem Szenario warnen Sicherheitskreise seit Monaten. Nicht zuletzt der kurzzeitig von Netanjahu geschasste Verteidigungsminister Yoav Gallant: Die massive innenpolitische Krise würde die Sicherheit Israels beeinträchtigen, warnte dieser. Mit einem Mal scheint daraus Realität geworden zu sein.
In den Augen von Experte Milshtein befindet sich Israel in einer extrem komplexen Welle des Eskalation. Sie findet an unterschiedlichen Orten statt, wird von unterschiedlichen Akteuren angeführt, die unterschiedliche Methoden anwenden. Als Auslöser des Raketenbeschusses gilt das gewalttätige Stürmen der Al-Aksa-Moschee durch die israelische Polizei vor knapp einer Woche. Die Bilder gingen um die Welt und riefen den Zorn der Palästinenser hervor.
Und: Am Freitag schossen in der Nähe von Hamra palästinensische Attentäter auf ein vorbeifahrendes Auto und töteten dabei zwei Schwestern und verletzten die Mutter schwer. In Tel Aviv fuhr am selben Tag ein palästinensischer Israeli auf die Strandpromenade, tötete einen 35-jährigen italienischen Touristen und verletzte sieben weitere Tourist*innen. Die Familie des palästinensisch-israelischen Fahrers ist der festen Überzeugung, dass der Vorfall ein Unfall war.
Israels rechte Regierung ist denkbar schlecht aufgestellt
Die israelische Polizei hält den Vorfall weiterhin für einen Anschlag und leitete die Untersuchung an den israelischen Innengeheimdienst weiter. Mittlerweile räumte auch der Polizeichef Kobi Shabtai ein, dass das Vorgehen möglicherweise zu harsch gewesen sein mag. In seinen Augen sei das Eindringen in die Moschee allerdings notwendig gewesen, um gegen die Palästinenser*innen, die sich in der Moschee mit Waffen verbarrikadiert hätten, vorzugehen.
Israels rechts-religiöse Regierung ist denkbar schlecht aufgestellt, um dem wachsenden Druck von mehreren Fronten zu begegnen. Das Sicherheitskabinett besteht zu großen Teilen aus religiösen Zionisten und Ultraorthodoxen, die weniger eine sicherheitspolitische Agenda fahren als vielmehr eine politische: Sie wollen ihre Wähler*innen mit einer harten Reaktion auf die Angriffe zufriedenstellen. Die Entscheidung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu fiel anders aus: Er rehabilitierte Verteidigungsminister Yoav Gallant vorerst und setzte auf den Rat des Militärs. Israel flog Vergeltungsschläge, doch vermied größeren Schaden, der eine weitere Eskalation hervorgerufen hätte.
Und doch: Das Vertrauen in die Netanjahu-Regierung befindet sich im freien Fall. Laut Umfragen würde die amtierende Regierungskoalition bei Neuwahlen von aktuell 64 Sitzen auf 46 fallen. Allein Netanjahus Likud-Partei würde 12 Sitze verlieren. Zum Leidwesen vieler Israelis jedoch sieht es derzeit nicht nach Neuwahlen aus. Auch die Regierung kennt die Umfrageergebnisse und hat an solchen kein Interesse. Stattdessen könnte die Regierung, so fürchten viele Israelis, einen anderen Weg aus ihrer Krise suchen: Ein Krieg könnte von der innenpolitischen Krise und der Justizreform ablenken und außerdem die rechte Wählerschaft zufriedenstellen. Ob die Rechnung aufgeht? Zweifelhaft.
Am Mittwoch endet das Pessachfest – und damit möglicherweise auch die relative Vorsicht, die die Polizei zuletzt in der Al-Aksa-Moschee an den Tag gelegt hat, um weitere Eskalationen zu vermeiden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“