Gewalt im Westjordanland: Olivenernte unter Lebensgefahr
Die diesjährige Olivenernte im Westjordanland verläuft besonders gewalttätig. Am vergangenen Wochenende wurden auch Journalist*innen angegriffen.
Vier vermummte junge Männer in dunklen Sturmhauben und weißen T-Shirts schwingen Stöcke und Keulen. Ein Mann mit Schutzhelm und der Aufschrift „Press“ auf seiner blauen Weste hebt den Arm vors Gesicht. Eine Frau in Presseausrüstung liegt zwischen Felsen am Boden. Weibliche Schreie im Hintergrund. Diese Szenen haben Journalist*innen, darunter von Reuters, am Samstag nahe dem palästinensische Dorfs Beita im Westjordanland südlich von Nablus dokumentiert.
Rund 30 Dorfbewohner*innen und zehn Journalist*innen sowie Aktivist*innen hatten sich in einem Olivenhain nahe einem Außenposten versammelt, um Oliven zu ernten und die Arbeit zu dokumentieren. Plötzlich stürmten mehrere Dutzend Siedler vom Hügel herab. Sie schlugen mit Stöcken auf Menschen ein, darunter die Reuters-Journalistin Raneen Sawafta, die selbst am Boden liegend weiter attackiert wurde. Auf Bildern ist eine Delle in ihrem Helm zu sehen. Ein Kollege, der sich mit den Armen zu schützen versuchte, wurde ebenfalls getroffen. Reuters forderte die israelischen Behörden auf, „den Vorfall zu untersuchen und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen – sowie sicherzustellen, dass Journalist*innen frei und unversehrt arbeiten können“.
Ob es Festnahmen gab, bleibt unklar. Die israelische Polizei äußerte sich nicht. Das Militär erklärte auf Anfrage, es verurteile jede Form von Gewalt, die von der Hauptaufgabe der Streitkräfte – Verteidigung und Antiterrorismus – ablenke, und bemühe sich, Schaden an Zivilist*innen, einschließlich Journalist*innen, zu minimieren. Es betonte jedoch, dass Arbeit in einem aktiven Kampfgebiet Risiken berge.
Die Einstufung von Olivenhainen im Westjordanland als „aktives Kampfgebiet“ wirft Fragen auf. Die diesjährige Olivenernte verläuft besonders gewalttätig. Laut dem Büro für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten der Vereinten Nationen (OCHA) gab es allein im Oktober 264 Angriffe mit Personen- oder Sachschäden – die höchste Zahl seit Beginn der Aufzeichnungen 2006. Erst am Dienstag setzten Siedler Berichten zufolge ein Gebiet nahe Tulkarem, einschließlich einer Molkerei, in Brand.
Am Donnerstag haben radikale haben israelische Siedler im Westjordanland palästinensischen Berichten zufolge eine Moschee in Brand gesetzt. Sie hätten am frühen Morgen außerdem rassistische Parolen an die Wände des Gotteshauses im Ort Deir Istiya gesprüht, meldete die palästinensische Nachrichtenagentur Wafa. Mehrere Medien berichteten, die hinterlassenen Schmierereien in hebräischer Sprache hätten unter anderem den Propheten Mohammed beleidigt. Berichte über Verletzte gab es zunächst nicht.
Die israelische Zeitung Haaretz berichtete kürzlich, Offiziere der israelischen Armee (IDF) machten die Unterstützung der Siedler*innen durch einige Minister*innen, Politiker*innen und religiöse Führer für die Gewaltzunahme verantwortlich. Polizei und Geheimdienst Shin Bet sähen unter diesem Druck weg. Anfragen der taz an die zuständigen Stellen blieben unbeantwortet.
Immer häufiger geraten Journalist*innen im Westjordanland zwischen die Fronten und werden selbst Ziel der Angriffe, über die sie berichten. Bereits im Juli attackierten offenbar Siedler ein Team des US-Senders CNN nahe Sinjil. Eine Woche zuvor traf es Journalist*innen der Deutschen Welle. Besonders gefährdet sind palästinensische Reporter*innen.
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