Gewalt im Westjordanland: Militär und wohl auch Siedler zerstören Olivenbäume
Tagelang wird das palästinensische Dorf Al-Mughayyr nach einem Angriff auf Siedler belagert. Das Militär reißt hunderte Olivenbäume – Lebensgrundlage lokaler Bauern – nieder.

Auf der anderen Seite der Hauptstraße 458 stehen noch mehr Bulldozer bereit. Einer, etwas weiter, ist der gepanzerte D9, den das israelische Militär bei Räumungen benutzt. Vor den Maschinen laufen Soldaten mit Maschinengewehren herum, andere sitzen gelassen in einem Fahrzeug unter der Sonne. Sie tragen die olivengrünen Uniformen der israelischen Streitkräfte (IDF). In mindestens einem der Bulldozer sitzt hingegen ein Mann mittleren Alters im kurzärmeligem, weißem T-Shirt und dunkler Hose. Zwei junge Männer fahren auf Motorrädern entlang des Feldes, einer in ärmellosem Top, der andere in hellblauem T-Shirt.
Das ist die Szenerie, die sich am Freitag im Westjordanland außerhalb von Al-Mughayyer abspielt. Die taz war exklusiv vor Ort.
Palästinenser sagen, die Zivilist*innen auf den Feldern und in den Baumaschinen seien Siedler. Das israelische Militär ließ eine entsprechende Anfrage unbeantwortet, veröffentlichte jedoch ein Statement, in dem es Verantwortung für die Aktion übernahm. Demnach soll die Armee mehr als 3.000 Bäume entwurzelt haben. Der angegebene Hintergrund: Die Suche nach einem Palästinenser, der am Tag davor einen israelischen Hirten verletzt hatte.
Eine Bestrafung der Einwohner*innen von Al-Mugahyyr
Der Angreifer soll sich nach der Tat im Dorf Al-Mughayyr verschanzt haben. Die israelische Armee riegelte es im Rahmen der Fahndung ab. Laut Times of Israel wurde die Blockade am Sonntagmorgen aufgehoben. Bewohner*innen beklagen Sachschäden und übermäßige Gewalt. Krankenwagen würden an der Ein- und Ausfahrt gehindert. Videos, die von der NGO B'teselem veröffentlicht wurden, zeigen einen Soldaten, der einen Steinbrocken gegen die Windschutzscheibe eines geparkten Wagens wirft.
In der Nacht von Freitag auf Samstag gaben die IDF bekannt, den 30-jährigen Mann gefasst zu haben. Laut der palästinensischen Nachrichtenagentur Wafa ging die Entwurzelung der Bäume jedoch am Samstag weiter. Aus palästinensischer Sicht ist dies eine Art Bestrafung der Einwohner*innen, die Oliven dann nicht mehr ernten können, und ein Versuch, sie aus den Dörfern zu vertreiben. Das Militär ließ eine entsprechende Anfrage unbeantwortet.
Olivenbäume zu beschädigen ist eine Taktik, die radikale Siedler teilweise benutzen, um palästinensische Gemeinschaften zu schikanieren. In der Vergangenheit, auch in Al-Mughayyr. Yair Dvir von der israelischen Menschenrechtsorganisation B’teselem sagt, man wisse noch nicht mit Sicherheit, ob Siedler in die Entwurzelung der Bäume involviert seien, wenn es auch einige Hinweise dazu gebe. Sicher ist, dass Siedler dabei waren, als die Operation erfolgte.
„Sicherlich ist Sicherheit nicht die Hauptfrage hier“, sagt der NGO-Sprecher. Es sei eine Attacke gegen Zivilist*innen. „Sie wollten das gesamte Dorf bestrafen. Und sie wollen die anderen warnen.“
Israelisher General: „Sie werden eine Belagerung erleben“
Kurz nach der Attacke gab der General des Zentralkommandos im Westjordanland, Avi Bluth, an: Hedes Dorf und jeder Feind müsse wissen, dass, wenn sie einen Angriff gegen Bewohner*innen durchführen, einen hohen Preis zahlen werden. „Sie werden Ausgangssperren erleben, sie werden eine Belagerung erleben und sie werden Gestaltungsoperationen erleben.“ Laut der israelischen Zeitung Haaretz sind mit „Gestaltungsoperationen“ Aktionen gemeint, die palästinensisches Land in Gebiete für militärische Nutzung verwandeln. Dabei ist Kollektivbestrafung unter humanitärem Völkerrecht verboten.
Said Abu Aliya, 65-jähriger Bewohner von Al-Mughayyr, steht am Donnerstag müde aussehend vor einem Haus. Dessen Wände sind noch rauchgeschwärzt, nach einem mutmaßlichen Siedlerangriff von vor vier Tagen. Es befindet sich etwa zwei Kilometer westlich des Dorfs. Auf einem benachbarten Hügel thronen zwei vereinzelte Häuser, daneben ein Zelt – ein illegaler Außenposten.
Als die israelischen Streitkräfte Al-Mughayyr abriegelten, war Abu Aliya in Ramallah. Dort arbeitet er als Bauarbeiter. Als er nach Hause zurückwollte, durfte er das nicht. Die Streitkräfte ließen ihn umkehren. Er musste nach Jericho und bei Freunden übernachten. Seine Ehefrau und Kinder sind im Dorf und dürfen hingegen nicht raus. „Die Situation ist miserabel“, fasst er zusammen.
Wovon sollen die Farmer leben – ohne Olivenbäume?
Selbst Muayyad Shaaban, Direktor der Kommission für Siedlungswiderstand, haben die Soldat*innen abgewiesen. Das erzählt er auf Nachfrage der taz. „Es ist mein Job, da hinzugehen und mir die Lage anzuschauen“, beschwert er sich. In Al-Mughayyr leben etwa 3.000 Menschen, das Dorf liegt teils in Gebiet B, teils in Gebiet C. Nach den Oslo-Abkommen ist das Westjordanland in drei Zonen unterteilt: A, B und C. Im Gebiet B hat die Palästinensische Autonomiebehörde Aufsicht in zivilen Angelegenheiten, die Sicherheit ist in israelischer Hand, Gebiet C steht komplett unter israelischer Kontrolle.
Abu Aliya und die anderen ausgesperrten Bewohner*innen warten auf den Hügeln sehnlich darauf, wieder in ihr Dorf zu dürfen. Und fragen sich, wovon die Farmer*innen in Al-Mughayyr leben sollen, wenn die Olivenbäume verschwinden und sie das Land nicht mehr nutzen können.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Einwanderung und Extremismus
Offenheit, aber nicht für Intolerante
Rechtsruck in der Schule
„Zecke? Nehm ich als Kompliment“
Straße wird umbenannt
Berlin streicht endlich das M-Wort
Grünen-Chef Felix Banaszak
„Ich nenne es radikale Ehrlichkeit“
Mikrofeminismus
Was tun gegen halbnackte Biker?
Anschlag auf Pipelines 2022
Tatverdächtiger für Angriff auf Nordstream verhaftet