Gewalt gegen Männer: „Ein Tabuthema“
Männer werden häufiger Opfer von Gewaltdelikten als Frauen. Drei Bremerhavener Studentinnen wollen dafür Bewusstsein schaffen.
Julia Scheunemann, Ellen Technau und Veronika Wisniewski sind Studentinnnen an der Hochschule Bremerhaven. Als sie in ihrem Studiengang Digitale Medien eine soziale Kampagne planen sollten, fiel ihnen Gewalt gegen Männer als ein „Tabuthema“ auf, wie sie es selbst bezeichnen.
„Wir haben anfangs in verschiedene Richtungen recherchiert und waren wirklich erstaunt darüber, wie wenige Angebote es für männliche Gewaltbetroffene gibt. Sowohl die Informationslage als auch die Hilfsinfrastruktur sind in diesem Bereich sehr schlecht“, sagt Wisnieswski. „Gerade weil Gewalt gegen Männer so ein blinder Fleck ist, trauen sich viele Männer nicht, sich Hilfe zu holen“, fügt ihre Kommilitonin Scheunemann hinzu.
Diese Einschätzung bestätigt auch Hans-Jürgen Zacharias. Er ist Landesvorsitzender des Weißen Rings, des größten unabhängigen Opferschutzvereins in Bremen und Bremerhaven. „Männer haben oft ein verzerrtes Gewaltempfinden und spielen die Gewalt, die sie selbst erleben, herunter“, sagt er. „Eine Schlägerei wird dann verharmlosend als etwas abgetan, was man unter Männern eben so macht, und auch bei anderen Körperverletzungen denken Männer eher, dass sie das eben aushalten müssten.“
Hans-Jürgen Zacharias, Weißer Ring
Um dagegen anzugehen, entschieden sich Scheunemann, Technau und Wisniewski dazu, ihre Kampagne zu diesem Thema zu entwickeln. „Wir haben schon im Herbst 2022 mit der Planung angefangen und wollten die Kampagne eigentlich schon im letzten Sommer veröffentlichen“, erzählt Wisniewski. Der Start hat sich ein wenig verzögert – allerdings nur, weil das Projekt viel größer wurde, als eigentlich geplant.
Das liegt vor allem daran, dass es den drei Studentinnen gelang, große Kooperationspartner für ihr Vorhaben zu gewinnen: Der Weiße Ring hat die Entwicklung der Kampagne begleitet und finanziell unterstützt, außerdem beteiligte sich die Polizei Bremerhaven.
Auch mit Betroffenen sprachen die Studentinnen. „Als wir erzählt haben, dass wir eine Kampagne zu diesem Thema planen, waren wir sehr überrascht davon, dass auch männliche Bekannte aus unserem Umfeld auf uns zugekommen sind und uns von ihren Gewalterfahrungen berichtet haben“, erzählt Wisniewski.
„Ich glaube, es wurde auch sehr positiv aufgefasst, dass wir als Frauen uns dieses Themas annehmen“, ergänzt Scheunemann. Auch der Weiße Ring konnte Kontakte zu Betroffenen vermitteln. Auf der Website der Kampagne sind so auch Erfahrungsberichte von Männern zu finden, die selbst Opfer von verschiedenen Arten von Gewalt wurden.
Neben der Website produzierten die Studentinnen Flyer, Plakate, Videos und bespielen einen eigenen Instagram-Kanal unter dem Hashtag #gewaltanmaennern. In den letzten Wochen konnte man die Plakate in ganz Bremerhaven entdecken.
„Ich finde das Ergebnis der Kampagne sehr gelungen“, sagt Zacharias vom Weißen Ring, der die Entwicklung begleitete. Er sieht darin auch eine präventive Wirkung: Denn Betroffene von Gewalt werden potenziell selbst zu Gewalttätern. „Unsere Hoffnung ist, dass wir mit der Kampagne Männer aus dieser Spirale rausholen können, indem sie erlebte Gewalt aufarbeiten, anstatt sie weiterzugeben.“
Auch die drei Studentinnen Scheunemann, Technau und Wisniewski sind mit ihrer Arbeit sehr zufrieden. „Gerade durch die Plakate hatten wir jetzt eine große Sichtbarkeit in der Stadtgesellschaft“, stellt Wisniewski fest. „In Reaktion darauf haben uns auch einige Männer angeschrieben, die selbst Gewalt erlebt haben und darüber für unsere Website mit uns sprechen wollen, um auf das Thema aufmerksam zu machen.“
Auch wenn das Seminar in der Hochschule jetzt abgeschlossen ist, wollen die drei die Website weiter pflegen. „Das Thema ist uns in den letzten anderthalb Jahren echt ans Herz gewachsen“, sagt Wisniewski dazu. „Und uns ist ganz wichtig: Es geht uns alle an!“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Waffen für die Ukraine
Bidens Taktik, Scholz’ Chance
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist