Gewalt gegen Frauen: Viel zu viele sehen weg
Ein marokkanischer TV-Sender gibt Frauen Tipps, wie sie Blutergüsse wegschminken. In Europa finden derweil 27 Prozent Vergewaltigung akzeptabel.
Allmählich verschwinden die blauen Flecken im Gesicht der Frau unter immer neuen Schichten von Make-up. Der sichtbare Beweis für häusliche Gewalt verblasst. „Wir hoffen, diese Schönheitstipps werden Ihnen helfen, Ihr Alltagsleben weiterzuleben“, sagt die lächelnde Fernsehmoderatorin, um dann die verwendeten Kosmetika zu bewerben.
Diese Szene wurde so im marokkanischen staatlichen Fernsehsender M2 ausgestrahlt. Was als „Hilfe“ daherkommt, heißt konkret: Frauen, die Opfer häuslicher Gewalt wurden, sollen weitermachen wie immer und ihre Umgebung bitte nicht behelligen. Gezeigt wurde die Sendung ausgerechnet zwei Tage vor dem Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen am 25. November. Nach empörten Reaktionen hat der Sender sich nun entschuldigt.
Doch jetzt mit dem Finger auf Marokko zu zeigen, wäre zu einfach. Laut einer aktuellen Studie der Europäischen Kommission weiß der Großteil der Europäer_innen, dass häusliche Gewalt weit verbreitetet ist. 23 Prozent kennen gar ein Opfer im eigenen Familien- oder Freundeskreis. Doch nur 12 Prozent der „Mitwisser“ gingen zur Polizei. „Es geht mich nichts an“, begründeten 26 Prozent, „Ich wollte keine Probleme verursachen“, sagten 16 Prozent.
Empfohlener externer Inhalt
Noch schockierender ist eine andere Zahl der Studie. Demnach meinen 27 Prozent der Europäer_innen, dass Vergewaltigung in „bestimmten Situationen“ gerechtfertigt sein könne. Wenn die Frau getrunken hat. Oder aufreizend gekleidet ist. Wenn sie zuvor wechselnde Sexualpartner_innen hatte. „Victim blaming“ heißt diese Argumentation.
Viel zu oft werden die Opfer sexualisierter Gewalt alleingelassen – auch im ach so sensibilisierten Europa. Große Teile der Gesellschaft wollen nichts von diesem Thema wissen, und im Zweifel ist die Frau doch selbst schuld.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen