Gewalt gegen Frauen in der Pandemie: „Bis er ausgerastet ist“
In vielen Fällen eskaliert häusliche Gewalt während der Coronapandemie, berichten drei Leiterinnen von Frauenhäusern.
„Die Frauen würden nicht sagen, sie fliehen wegen Corona“, sagt Andrea Hopperdietzel, die Leiterin des Frauenhauses im fränkischen Schwabach. „Die würden sagen, sie fliehen wegen der Gewalt.“ Die gibt es in den allermeisten Fällen schon sehr lange: in Paarbeziehungen im Schnitt sieben Jahre, bevor die Frauen sich wirklich lösen. „So eine Beziehung eskaliert an irgendeinem Punkt“, sagt Hopperdietzel. „Und für viele ist der eben jetzt.“
Sowohl Hopperdietzel aus Bayern als auch andere Mitarbeiterinnen von Frauenhäusern in Baden-Württemberg und Niedersachsen, mit denen die taz schon während des ersten Lockdowns gesprochen hat, berichten nun bei einem zweiten Gespräch von vielen Fällen, in denen die Gewalt der Partner in den vergangenen Monaten eskalierte.
Nachdem Alkohol im Spiel war, um der Anspannung und Nervosität zu begegnen. Oder nachdem die Kinder, die nicht in die Kita oder Schule konnten, zu Hause wild waren. „Bis er dann ausgerastet ist“, sagt Alexandra Gutmann von der Heilbronner Mitternachtsmission.
Zwar sei die Anzahl der Frauen, die 2020 aufgenommen wurden, im Vergleich zu Vorjahren etwa gleich, sagt Gutmann: 50 Frauen werden es dieses Jahr voraussichtlich sein.
Der Tag: Am 25. November findet der Internationale Tag gegen Gewalt an Frauen statt. Es ist ein weltweiter Aktionstag zur Bekämpfung von Diskriminierung und Gewalt jeder Form gegenüber von Frauen und Mädchen.
Die Entstehungsgeschichte: 1981 riefen lateinamerikanische Frauenrechtlerinnen ein Treffen für die Opfer von Gewalt an Frauen aus. Sie gedachten damals den drei Mirabal-Schwestern auch bekannt als Las Mariposas (die Schmetterlinge). Sie waren Regimegegnerinnen in der Dominikanischen Republik und wurden am 25. November 1960 ermordet. 1999 wurde der 25. November offizieller Aktions- und Gedenktag der Vereinten Nationen.
Viele fallen jetzt durchs Raster
Wichtig sei aber ein zweiter Blick auf die Zahlen: Denn während der Anteil akut bedrohter Frauen gestiegen sei, sei der Anteil derjenigen, die sich erst einmal nur beraten lassen wollen, zurückgegangen. „Wir finden das sehr bedenklich“, sagt Gutmann. „Unser Fazit ist, dass sich dieses Jahr fast nur die melden, die gar nicht mehr können. Der Rest wird irgendwann danach kommen.“
Viele Einrichtungen, die als Brücke in die Familien dienten, seien momentan kaum präsent: Beratungsstellen, Ämter, Psycholog:innen. „Auch wir selbst gehen nicht mehr an Schulen und machen dort auf uns aufmerksam“, sagt Cordula Glanemann vom Sozialdienst katholischer Frauen, die das Frauen- und Kinderschutzhaus Meppen leitet.
Normalerweise gebe es einen beträchtlichen Anteil von Frauen, die über die externe Ansprache den Kontakt ins Frauenhaus fänden. „Aber jetzt“, sagt Gutmann, „fallen die einfach durchs Raster.“
Ein Problem sei zudem, dass die Weitervermittlung in andere Häuser seit März schwierig ist: Viele Einrichtungen mussten die Plätze reduzieren, weil es immer wieder Verdachtsfälle gibt, die isoliert werden müssen. „Es gab eine Phase, da hatte ich den Eindruck, ganz Deutschland ist dicht“, sagt Hopperdietzel. Wegen negativer Tests, die viele Häuser verlangen, oder Quarantäne, in die die Frauen zum Teil routinemäßig müssen.
Von der Gewalt in die Isolation
Für die sei das eine besonders angespannte Situation. „Ein Frauenhaus lebt von Gemeinschaft, in der die Frauen besprechen können, was sie zu Hause erlebt haben“, sagt Hopperdietzel. „Wenn die von der Gewalt in die Isolation müssen, sind sie völlig verängstigt. Welche emotionalen Folgen die Pandemie hat, wird wenig thematisiert.“
Studie in der Pandemie:
Die erste und bisher einzige repräsentative deutsche Studie zu häuslicher Gewalt während der Pandemie hat die Technische Universität München im Juni vorgelegt. 3.800 Frauen zwischen 18 und 65 Jahren wurden online nach ihren Erfahrungen befragt.
Was sagen die Zahlen?
3,1 Prozent der Frauen in Deutschland wurden in der Zeit der strengen Kontaktbeschränkungen zu Hause Opfer körperlicher Gewalt, etwa durch Schläge. 3,6 Prozent wurden von ihrem Partner vergewaltigt.
Und vor Corona?
Ein Vergleich mit Daten aus der Zeit vor der Pandemie ist nicht aussagekräftig, da bisherige Studien nach Gewalterfahrungen innerhalb längerer Zeiträume gefragt haben, nicht aber nach einem Zeitraum von wenigen Wochen.
Während die Leiterinnen der Frauenhäuser aus dem taz-Gespräch zu Beginn der Pandemie inmitten des Schocks Vorkehrungen trafen, um ihre Arbeit überhaupt weiterführen zu können, haben sie mittlerweile gewisse Routinen entwickelt. „Klar: Ausflüge, Geburtstagskaffees, Bastelaktionen in der Adventszeit – das fehlt uns alles total“, sagt Cordula Glanemann aus Meppen. „Aber wenigstens unser Hygienekonzept steht.“
Trotzdem sei immer auch die Angst da, sagt Gutmann: „Jetzt in der Erkältungszeit vergeht kein Tag, an dem nicht eine Husten oder Fieber hat.“ Jedes Mal müsse aufs Neue entschieden werden, wie die Situation umorganisiert werden kann, wenn sich die Frau gerade mit zwei anderen eine Wohneinheit teilt.
Manche Häuser konnten auch Bäder oder Zimmer umbauen – mit Geldern des Investitionsprogramms des Bundes, das zwar nichts mit der Pandemie zu tun hat, sondern längerfristig geplant war, nun aber gerade recht kommt.
Wer bezahlt das?
In vielen Bereichen aber sei nach wie vor unklar, wer die Kosten der Pandemie tragen wird, auch wenn es private Spenden gegeben habe: „Unser Defizit wird mit jedem Tag größer“, sagt Gutmann.
Sie hat zusätzliche Räume in der Umgebung angemietet, um die Frauen sicher unterbringen zu können. „Das wurde von der Bundespolitik gefordert. Es wäre schön, wenn von politischer Seite nun auch die entsprechende finanzielle Unterstützung käme.“ Das Land Baden-Württemberg hatte zwar Mittel bereitgestellt, die hätten aber nur einen Teil der Kosten gedeckt.
„Wir stemmen diese Zeit irgendwie“, sagt Hopperdietzel. „Aber nicht nur für die Frauen, auch für die Mitarbeitenden ist die Pandemie ein Kraftakt.“ Die privaten Kontakte seien reduziert und auch im Team sei es schwer, sich gegenseitig zu ermutigen, wenn Abstand gehalten und nicht einmal die Hand auf die Schulter gelegt werden kann.
Eine Erleichterung immerhin gibt es hier in Heilbronn: durchsichtige Masken. „Dem Gegenüber ins Gesicht schauen zu können, macht die Sache besser.“
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