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Gesundheitsversorgung in BerlinÄrzte mögen's gut bürgerlich

Medizinische Versorgung hängt von der Wohnlage ab. Das zeigt eine Studie der unter Ärztemangel leidenden Bezirke Neukölln und Lichtenberg.

Wo ist ein Arzt, wenn man ihn braucht? Foto: dpa

„Die Physiotherapie sollten Sie in dieser oder der nächsten Woche fortsetzen“, hatte der Arzt, der mein gebrochenes Ellenbogengelenk operiert hatte, mir bei der Entlassung aus dem Krankenhaus mit auf den Weg gegeben. „Sonst wächst Gewebe im Ellenbogen und wir müssen noch einmal operieren.“

Doch bei meiner Orthopädin in Lichtenberg musste ich erst einmal zwei Wochen auf einen Termin warten. Und dann saß ich noch vier Stunden lang in ihrem Wartezimmer – zwischen Menschen mit Gehhilfen und Rollatoren.

Lichtenberg gehört zu den Berliner Bezirken, die mit Ärzten unterversorgt sind. Je 100.000 EinwohnerInnen gibt es hier etwa nur knapp sieben Orthopäden. In Charlottenburg-Wilmersdorf, dem am besten mit Ärzten versorgten Bezirk, sind es dagegen 14, in Steglitz-Zehlendorf zwölf. Noch schlechter als in Lichtenberg sieht es in Neukölln (5,9) und Marzahn-Hellersdorf (6,6) aus.

Ähnliche Ungleichheiten ergeben sich auch bei Ärzten anderer Fachrichtungen. Das geht aus einer aktuellen Studie hervor, die die Bezirke Lichtenberg und Neukölln mit dem Evangelischen Krankenhaus Elisabeth Herzberge und dem Sana Klinikum Lichtenberg beim Berliner Forschungs- und Beratungsinstitut Iges in Auftrag gegeben haben.

Entsprechend dem von den Krankenkassen festgelegten Bedarfsschlüssel von 66,3 Hausärzten pro 100.000 EinwohnerInnen weisen etwa die gutbürgerlichen Bezirke Charlottenburg-Wilmersdorf (148 Prozent), Tempelhof-Schöneberg (125 Prozent) und Steglitz-Zehlendorf (115 Prozent) eine starke Überversorgung auf, während Lichtenberg (86 Prozent) und Treptow-Köpenick (89 Prozent) unterversorgt sind.

Betrachtet man nicht nur die Bezirke, sondern kleinteilige Gebiete, wird das Bild noch klarer: Ärzte lassen sich dort nieder, wo die Sozialstruktur günstig ist und mit Privatpatienten mehr Geld verdient werden kann. Dagegen fehlen Ärzte in Problemkiezen, aber auch am östlichen und südlichen Stadtrand.

Am eklatantesten ist das Missverhältnis bei Psychotherapeuten. Während Charlottenburg-Wilmersdorf einen Versorgungsgrad von 483 Prozent aufweist, kommt Marzahn-Hellersdorf nur auf 47 Prozent des Bedarfs.

Neukölln und Lichtenberg wollen einzelne Ärzte direkt beim Bezirk anstellen

Die Autoren der Studie legen die Vermutung nahe, dass das tatsächliche Missverhältnis noch viel größer sein könnte. Denn der Bedarf an Ärzten wurde teilweise anhand von Statistiken aus den frühen 90er Jahren errechnet. Weder das Bevölkerungswachstum Berlins noch die Flüchtlinge, die oft einen hohen medizinischen Bedarf haben und vor allem in Mitte, Lichtenberg und Spandau leben, wurden berücksichtigt. Sozialstruktur und Krankheitshäufigkeit werden zudem, so die Autoren der Studie, „nur unzureichend bis gar nicht“ abgebildet. Sprich: Kinder aus einkommensschwachen Familien müssten eigentlich öfter zum Arzt gehen als Kinder, deren Familien sich ausreichend Erholungsurlaub oder etwa zusätzliche Angebote beim Heilpraktiker leisten können.

Wer in einem mit Ärzten unterversorgten Kiez wohnt, muss nicht nur weite Wege und lange Wartezeiten in Kauf nehmen. Der Arzt kann auch weniger für ihn tun. Ist der Warteraum voll, bleibt kaum Zeit für den einzelnen Patienten. Und die Verschreibungsmöglichkeiten für Medikamente und Behandlungen sind eingeschränkt. Denn Ärzte haben dafür für Kassenpatienten nur ein gedeckeltes Kontingent, das nicht mit der Anzahl der Patienten steigt.

Diese Erfahrung musste auch ich bei meiner Lichtenberger Orthopädin machen: Eine Anschlussphysiotherapie für meinen gebrochenen Arm bekam ich erst, als ich mit dem Anwalt drohte. Als ich danach zu einem Orthopäden in Friedrichshain wechselte, bekam ich dort nicht nur zeitnah Termine mit wesentlich kürzerer Wartezeit. Ich bekam auch problemlos Physiotherapien verordnet. Doch anders als ich bleiben die Patienten mit Rollatoren und Gehhilfen in Lichtenberg auf Angebote in Wohnnähe angewiesen.

Wo in Berlin sich Ärzte niederlassen, entscheiden diese selbst und die kassenärztliche Vereinigung. Der frühere Berliner Gesundheitssenator Mario Czaja (CDU), der aus dem mit Ärzten unterversorgten Bezirk Marzahn-Hellersdorf stammt, hatte die ungleiche Versorgung als Problem erkannt und versucht gegenzusteuern. Der einzige Hebel, den er dazu hatte, waren Neuvergaben von Praxen.

Neue Ärzte bekommen aber nur eine Zulassung, wenn woanders in Berlin eine Praxis schließt. Czaja veranlasste, dass seit 2013 neue Praxen nur noch in schlechter versorgten Bezirken eröffnet werden dürfen. Seitdem haben allerdings nur 200 von 9.000 Ärzten ihre Praxen verlegt. Lichtenberg und Neukölln, wo Ärzte fehlen, haben laut ihren GesundheitsstadträtInnen Katrin Framke (Linke, Lichtenberg) und Falko Liecke (CDU, Neukölln) nichts davon. Dort wandern immer noch Ärzte ab.

Nein, das ist kein Arzt: der einstige Sozialsenator Czaja (CDU) beim Besuch einer Kinderarztpraxis Foto: dpa

Deshalb haben sich die beiden ungleichen StadträtInnen zusammengetan. Sie wollen in unterversorgten Kiezen künftig einzelne Ärzte direkt beim Bezirk anstellen. Die Mediziner wären dann keine Selbstständigen mehr, sondern kommunale Angestellte. Für Berufsanfänger, die die Selbstständigkeit scheuen, könnte das interessant sein. Als Rechtsform peilen Framke und Liecke kommunale Versorgungszentren in Trägerschaft der Bezirke an. Ohne die kassenärztliche Vereinigung geht das aber nicht.

Deren Sprecherin Susanne Roßbach trägt Bedenken vor: „Wir werden die Studie prüfen und uns dann äußern. Vorerst geben wir zu bedenken, dass kommunale Versorgungszentren, wie sie einzelne Krankenhäuser schon betreiben, eher zu einer Konzentration von Ärzten führen als zu einer besseren Verteilung auf der Fläche.“

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4 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Der Artikel beschreibt schön ein Politikfeld, dass seit langem bekannt ist und sich lange an entsprechenden Zahlen ablesen lässt. Er dokumentiert damit wiedermal das Versagen der Berliner Landespolitik, die lieber Utopien hinterher jagt, anstatt sich um die notwendige Daseinsvorsorge ihrer Bürger zu kümmern.

    Diese Problem nun wohlfeil als Problem der "Gutbürgerlichen" hinzustellen, kann nur als Ablenkung oder Vertuschungsversuch bezeichnet werden - und als künstliche Empörung an der falschen Stelle.

    Hauptsache wir haben ein Fahrradwegeausbauprogramm in Höhe von 150 Mio. Euro als topwichtig erkannt.

  • Danke für den Artikel, aber leider Thema verfehlt. Wiedermal wird (taz-typisch) die gesellschaftliche Spaltung in "Arme und Reiche" oder "Prekär und Gutbürgerlich" betrieben. Das ist einfach und immer "schön". Aber eine echte journalistische Analyse würde mehr Licht ins Dunkel bringen: In den späten 1990ern wurde aufgrund einer fiktiven "Ärzteschwemme" (mal googlen) die Studienplatzanzahl für Medizin von 15.000 auf 11.500 gesenkt, in dem die Einschreibung zum Sommersemester gestrichen wurde - auch in Berlin. Seit dem tritt in ganz D ein sich verstärkender Ärztemangel auf. Die Arbeitsbedingungen für Ärzte sind so schlecht, dass ca. 5.500 Ärzte jährlich aus D abwandern, während ca. 1.500 oft schlechter ausgebildete Ärzte einwandern. GB, Schweiz, Norw. bieten mehr Einkommen und weniger Stress. Dazu kommt die Binnenabwanderung aus Berlin weg. In NRW werden bis zu 30% mehr Gehalt an Krankenhäusern gezahlt! Wer gehen kann aus Berlin, geht. Dazu kommt die Alterung. Seit ca. 3 Jahren gehen mehr Ärzte in Rente als neu in die Niederlassung gehen. Die restlichen Ärzte nehmen sich eben die Wahl und gehen in gut strukturierte Viertel mit netten und zahlungskräftigen Patienten, die nicht so stressig sind.

    Was könnte Berlin machen? Z.B. wollen in Berlin ca. hundertmal mehr Abiturienten Medizin studieren als Plätze da sind. Warum finanziert die Stadt nicht Studienplätze mit späterer lokaler Bindung der Stipendienempfänger in MVZs oder kommunalen Praxen?

    Ach ja, Heilpraktiker sind keine Ärzte und sie betreiben keine Medizin!

  • In den 1980-ern haben sich unter Schirmherrschaft des Diktators Pinochet und seiner Freunde die Marktfundamentalisten unter den Neoliberalen durchgesetzt. Erst in Chikago, dann in Chile, im Großbritannien Margaret Thatchers und schließlich weltweit. Seitdem gerät die Grundversorgung allenthalben in Gefahr. Zu viele politische Entscheidungsträger sind den Sparfüchsen unter den Lobbyisten auf den Leim gegangen. Sie haben damit nicht nur Gesundheit und Sicherheit der Bevölkerung, deren Bildungsstandard und den sozialen Frieden untergraben, sondern auch ihre eigene Existenzberechtigung.

     

    Ein Staat, dessen Führung glaubt, dass sie die Arbeitsmoral ihrer Bürger untergräbt, wenn sie von Steuergeldern Grundversorgung bzw. Daseinsvorsorge betreibt für jene unter ihnen, die temporär oder dauerhaft weniger leistungsfähig sind als andere, neigt zu Steuersenkungen. Mit jeder Steuersenkung wird die Daseinsvorsorge tendenziell weiter minimiert, was wiederum zu Steuersenkungen berechtigt, die ihrerseits... etc. pp. Es entsteht ein sogenannter Teufelskreis. An dessen Ende ist der Staat schlicht überflüssig - und Ärzte gibt es nur noch, wo's sich für die Mediziner lohnt. Ohne Staat aber ist das Kräftegleichgewicht, das den Kapitalismus einst produktiv gemacht hat, ruiniert. Alle Macht läge dann bei den reichen Unternehmern - zu denen manche Ärzte offenbsr auch gerne zählen würden.

     

    Dass es nicht wirklich eine gute Idee ist, den all zu Gierigen alle Freiheiten zu lassen und denen, die mangels Gier nicht genug Geld haben, alle Freiheiten zu nehmen, hätte gut lernen können aus der Geschichte, wer nicht all zu gierig und nicht all zu dumm ist. Es ist erstaunlich, dass der Lerneffekt nicht eingetreten ist. Vielleicht aber auch nicht. Wer geht schon in die Politik, seit Diktatoren unterrichten in dem Fach?

    • @mowgli:

      Schöner, beeindruckender Text ;-)

       

      Hat zwar nichts konkretes mit dem Artikel zu tun aber dafür kann der Text an vielen anderen Stellen auch verwendet werden.

       

      Ein paar konkrete Anmerkungen zum Artikel:

       

      1.) Anstellung von Ärzten beim Bezirksamt. Das ist gar nicht so einfach, wie man in Berlin am Öffentlichen Gesundheitsdienst sehen kann, denn die Besoldung als beamteter Amtsarzt (immerhin etwas zwischen A14 und A15) ist für Ärzte so unattraktiv, dass es kaum Bewerber auf die Stellen gibt. Da müßte die Bezirksämter schon tariflich auf der Ebene der Krankenhaustarife einsteigen.

       

      2.) Derzeit ist Berlin ein einziger kassenärztlicher Bezirk. Das könnte die Politik ändern. Dann könnte auf bezirklicher Ebene reguliert werden (d.h. kein weiter Kardiologe in Zehlendorf sondern mal einer in Neukölln).