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Gespräch über Angst in Corona-Zeiten„Die Welt wackelt“

Durch die Pandemie erfährt eine Mehrheit, was es bedeutet, mit Ängsten zu leben. Ein Gespräch mit einer Psychose-Erfahrenen und einem Psychologen.

Händewaschen: In Corona-Zeiten verwischen die Grenzen zwischen Zwang und Ritual Foto: dpa
Friederike Gräff
Interview von Friederike Gräff

taz: Erfahren jetzt, wo so viele Angst haben, Menschen mit Angststörungen mehr Verständnis, Frau Schulz?

Gwen Schulz: Ich weiß nicht, ob uns wirklich ein anderes Interesse entgegengebracht wird, sodass gefragt würde: Wie kommt es, dass Sie eine Angst haben, die ich nicht habe? Ich glaube aber, dass mindestens am Anfang dieser Krise ein Verständnis für das Wackeln der Welt und für das Wackeln der Personen in dieser Welt entstanden ist, für das Gefühl, bedroht sein zu können.

Wie sieht dieses Wackeln der Welt und der Person aus?

Schulz: Meine Welt wackelt schon lange. Sowohl aus persönlichen Gründen, aber auch wegen dem, was in der Welt passiert: Das ist jetzt nicht nur Corona, das war die Klimakatastrophe, das ist die gesamte Veränderung von Werten, dass wir alle mehr auf uns selber gucken als auf die Gemeinschaft. Und das erreicht einen über alle Kanäle. Das Wackeln der Welt hat dazu geführt, dass auch ich mich nicht besonders stabil fühle.

Thomas Bock: Ich stimme Gwen zu, dass die Welt lange wackelt, schon vor Corona, mit der Umwelt- und Kriegsgefahr, der Spannweite von Arm und Reich. Wir arbeiten ja schon lange zusammen, es gab häufige Situationen, wo ich beschämt war, dass ich das so wenig spüre oder zulasse – zwar mit meinem Verstand, aber nicht so tief mit meiner Seele. Da ist jemand, der psychoseerfahren ist, und bei dem die Grenze zwischen innen und außen durchlässiger ist, sicher ungeschützter und dadurch vielleicht sogar der Wirklichkeit näher.

Wie ist es Ihnen persönlich mit dem Ausbruch der Pandemie ergangen, Frau Schulz?

Schulz: Ich fand das am Anfang beruhigend. Ich hatte das Gefühl, es ist nicht mehr so, dass ich alleine Kopf stehe, sondern die stehen alle Kopf – das hat ein Gefühl von Unterschiedslosigkeit gemacht. Das war vielleicht die ersten zwei, drei Wochen so, als alle versucht haben, irgendwie mit der Situation zurechtzukommen.

Bock: Ich glaube, dass Menschen mit psychischen Erkrankungen sehr unterschiedlich mit der Krise umgehen. Die einen fühlen sich ein Stück weit aufgehoben, die anderen steigen erst recht aus der Realität aus. Es gibt schon auch Menschen, die besonders isoliert sind, es gibt solche, die sagen: Wir werden jetzt völlig allein gelassen, weil die Psychiatrie nur noch auf Schmalspur läuft. Einige fühlen sich entlastet, weil alle betroffen sind. Ich kenne Menschen, die den Zwang haben, sich die Hände zu waschen, und dadurch im normalen Leben erheblich gestört sind. Weil jetzt alle Hände waschen müssen, entwickelt sich das, was ein Zwang war, zurück zum Ritual und wird erträglich.

Im Interview: Thomas Bock

66, langjähriger Leiter der Psychose-Ambulanz am UKE, Mitgründer der Seminare, wo sich Patienten, Angehörige und Profis gegenseitig fortbilden.

Schwingt da auch ein Hauch von Genugtuung mit: Jetzt bin ich mal nicht allein mit der Angst?

Bock: Genugtuung finde ich zu böse. Sich aufgehoben zu fühlen in der Angst, wenn alle Angst haben, ist ja ein sehr berechtigtes Gefühl.

Schulz: Ich habe von Betroffenen gehört, die gesagt haben: Jetzt wisst ihr auch mal, wie sich das anfühlt. Ich glaube, dass das auch davon abhängt, wie aufgehoben man sich vorher gefühlt hat.

Warum ist die Situation für Sie gekippt, Frau Schulz?

Im Interview: Gwen Schulz

63, Tischlerin, Erzieherin, seit 2011 Genesungsbegleiterin für Menschen in der Psychiatrie am Uniklinikum Hamburg-Eppendorf, psychoseerfahren.

Schulz: Ich finde, dass inzwischen wieder jeder mehr bei sich guckt: Wie komme ich klar? Es gibt wieder Menschen, bei denen man ganz deutlich sieht: Für sie ist es schwer, sie sind damit stärker alleine. Ich kenne deren Seite: Wenn ich es irgendwie hinkriege, versuche ich, die Menschen anzulächeln. Aber manchmal bleibt es mir einfach im Hals stecken, weil ich so viel Angst habe. Die Leute sagen, man muss doch irgendwie Humor haben, statt dass sie fragen: Warum kriegen manche Leute das besser hin und die anderen schlechter? Da sind wir schon wieder weggerückt von der Solidarität der Anfangszeit.

Glauben Sie, dass es einen Unterschied macht, als Angst-erfahrener Mensch in die Coronakrise zu gehen?

Schulz: Ich glaube, diese Krise ist eine so umfassende Erschütterung, dass niemand darauf eine bekannte Antwort in sich hat. Menschen die vorher mit Ängsten zu kämpfen hatten, deren Welt immer mal wieder wackelt, kennen das möglicherweise mehr. Sie kennen das Gefühl, nicht zu wissen, wie antworte ich auf eine bestimmte Sache, die Welt geht zu schnell, ich weiß noch gar nicht, wie ich das einsortieren soll, und trotzdem muss ich irgendwie weitermachen.

Es lag auch etwas Wohltuendes in dem allgemeinen Nicht-weiter-Wissen zu Beginn der Coronakrise, vielleicht kann man es Demut nennen.

Bock: Der Coronavirus macht keinen Unterschied zwischen Menschen, die psychisch krank oder nicht psychisch krank sind. Darin sehe ich auch eine große Chance, unseren Unterscheidungszwang zu überprüfen. In der Psychiatrie setzt das voraus, dass wir als Fachleute auch zugestehen: „Der Virus macht mir auch Angst.“ Und dass wir dann nicht sagen: „Du bist kränker, ich bin gesünder“, sondern den Teil der Angst teilen und versuchen, ihn gemeinsam auszuhalten. Das würde für mich etwas verändern im Verhältnis und in der Beziehungsstruktur zwischen Profi und Patient, und auch in der öffentlichen Wahrnehmung.

Schulz: Natürlich ist jeder Mensch verantwortlich dafür, sein Teil dazu beizutragen – das ist die Seite von Corona, die ich super finde. Ich kann nicht zum Therapeuten rennen und sagen: „Ich habe Angst, bitte sagen Sie mir, dass ich sie nicht zu haben brauche.“ Es gibt niemanden, der stärker ist, der trösten kann, es gibt niemanden, der davon unbeeindruckt ist. Das ist einerseits eine Chance, dass sich dieses stark und schwach mehr auflöst. Dass Menschen nicht nur trösten, sondern auch selber vorkommen mit ihrer Bedürftigkeit, auch die vermeintlich Stärkeren. Ich arbeite als Genesungsbegleiterin und höre von meinen Kollegen an der Hamburger Uniklinik, dass Menschen, die als Hilfesuchende dorthin kommen, häufiger fragen: „Wie geht es Ihnen?“

Wie erleben Sie als Genesungsbegleiterin, wie Menschen mit Angststörungen mit der Situation zurechtkommen?

Schulz: Ich bin ziemlich beeindruckt, dass es einige Menschen gibt, die weiter an ihren Themen dran sind, so als gäbe es kein Corona. Viele Menschen sind tatsächlich geübt darin, ein bisschen anders zu leben und da ist dieses Ich-kann-mich-nicht-mit-vielen-Leuten-Treffen kein großer Einschnitt. Sie sind froh, wenn sie sich mit einem Menschen treffen, den sie gerne haben. Insgesamt gibt es mehr Menschen, von denen ich das Gefühl habe, es beunruhigt sie nicht wahnsinnig stark. Mich treibt es sehr viel mehr um.

Was hilft Ihnen?

Schulz: Es ist schon überwiegend die Natur, das sind Menschen, Begegnungen und immer wieder die Ermahnung, Verantwortung zu übernehmen. Ich bin sowieso niemand, der irgendwo hingeht und sagt: Bitte mach’ meine Angst weg. Damit, dass die Termine wegfallen, habe ich überhaupt kein Problem, dass die Tage so vergehen und ich weiß nicht, ist es Montag oder Mittwoch. Auch weniger außerhalb zu sein, macht mir bisher nichts aus. Mich treibt der Wunsch um, dass diese Welt auf eine gute Art weitergeht. Dass die eigenen Ideen und das eigene Sein und das meiner Freunde gefragt bleiben. Was uns zu Menschen macht, gilt das weiter?

Glauben Sie, dass nach der Pandemie der Blick auf Menschen mit Ängsten ein anderer sein wird?

Bock: Ich fände es schon viel gewonnen, wenn wir eine neue Wertschätzung entwickelten. Wenn wir sehen, dass Menschen mit Psychosen nicht nur stoffwechselgesteuert sind, nicht nur auf innere Konflikte reagieren, sondern auch auf äußere. Und dass sie damit auch eine Art Seismografenfunktion haben. Wenn wir diese Wertschätzung entwickeln, könnte das Risiko der Selbst- und Fremdstigmatisierung kleiner werden. Und ich hoffe, dass die Psychiatrie auch in ihrer Struktur lernt: Dass man nicht nur auf stationäre Unterbringung setzt, jetzt, wo die Leute in den Kliniken nicht nur vor Stigmatisierung, sondern auch vor Ansteckung Angst haben. Also die Akutpsychiatrie auch nach Hause bringt.

Empfinden sich Menschen mit Angststörungen genügend gesehen in der Krise?

Schulz: Eine Menge Menschen mit psychischen Problemen sind genervt davon, dass jetzt gesagt wird: „Für die muss man ein besonderes Programm machen, die sind besonders schwach.“ Die sagen: „Verdammt noch mal, wir sind gar nicht so schwach. Redet mal von euch selbst, das macht etwas mit uns allen, was hier passiert. Und ihr helft uns am meisten damit, wenn ihr euch nicht wieder rauszieht, indem ihr uns helft, sondern indem wir uns mal gegenseitig ein bisschen sichtbarer machen“. Ich finde es richtig, jetzt um sich herum zu gucken, aber dann auch nachzufragen: Brauchen sie wirklich mehr und falls ja, was brauchen sie eigentlich?

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1 Kommentar

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  • Spannende Perspektive, danke!

    Anschlussfrage: wenn Angst haben, das Wackeln der Welt, jetzt also "normaler" ist, können wir aus der langjährigen Erfahrung im Umgang mit Angst vielleicht sogar etwas darüber lernen, wie Menschen mit entgegengesetzten Ängsten miteinander im Gespräch bleiben können, also etwa: diejenigen die sich vor Infektionen, vor einer 2. Welle fürchten, mit denjenigen, die sich vor Einschränkungen ihrer persönlichen Freiheit fürchten, oder sonstwie Angst haben, abgehängt zu werden?