Gespaltene Sozialdemokraten: Saleh provoziert Koalitionskrach
Nachdem der SPD-Fraktionschef am Donnerstag die eigene Koalition attackierte, sehen Linke und Grüne Gesprächsbedarf. Saleh sei eine „tickende Zeitbombe“.
Der jüngste Auftritt des SPD-Fraktionsvorsitzenden Raed Saleh im Abgeordnetenhaus wird ein Nachspiel haben. Auf einer gemeinsamen Sitzung der Fraktionsvorstände der rot-rot-grünen Koalition Anfang der Woche wollen Linke und Grüne Salehs Rede zum Thema machen. „Wir werden deutlich machen, dass das kein vertrauensvoller Umgang miteinander ist“, sagte der Fraktionsvorsitzende der Linken, Udo Wolf, am Freitag der taz.
Raed Saleh hatte sich im Abgeordnetenhaus am Donnerstag nach der Regierungserklärung des Regierenden Bürgermeisters Michael Müller (SPD) zu Wort gemeldet und eine „zeitgemäße Videoüberwachung“ sowie die sofortige Abschiebung von Gefährdern gefordert. Radikale Gruppen dürften in der Stadt nicht unbehelligt bleiben, so Saleh: „Wir müssen diese Brutzellen des Terrors verbieten, und zwar besser heute als morgen.“
Der Applaus, den der SPD-Fraktionschef für seine Einlassungen bekam, stammte von AfD und CDU. Linke und Grüne sowie Teile der SPD waren dagegen konsterniert: Rot-Rot-Grün hatte sich erst am Montag auf einer Koalitionsklausur auf ein Sicherheitspaket verständigt. Eine bessere Ausrüstung der Polizei gehörte ebenso dazu wie eine temporäre und anlassbezogene Videoüberwachung an Orten wie dem Kottbusser Tor. Müller hatte sich nach der Klausur zufrieden gezeigt: „Ich bin erstaunt, wie viel wir jetzt erreichen konnten. Das hilft richtig.“
Dass der SPD-Fraktionsvorsitzende den Kompromiss nun ausgerechnet nach der Regierungserklärung Müllers in Bausch und Bogen verdammt, hat auch die Grünen überrascht. „Wir sind etwas irritiert“, sagte die grüne Fraktionschefin Antje Kapek. Während der Senatsklausur, bei der auch die Fraktionsvorsitzenden anwesend waren, habe Saleh keinen Widerspruch angemeldet. „Dort hat er weder seine am Donnerstag vertretene Position eingebracht, noch hat er zu erkennen gegeben, dass er den Beschluss des Senats inhaltlich nicht mitträgt.“
„Es hat uns alle überrascht“, sagte auch Linken-Fraktionsvorsitzender Wolf, der auch das Koalitionsklima belastet sieht. „So wird es schwierig, einen gemeinsamen Korridor der Koalition über die gesamte Legislaturperiode offen zu halten.“
Salehs Attacke war nicht der erste Zwischenfall dieser Art. Schon nach der Wahl am 18. September hatte der 39-Jährige den Regierenden Bürgermeister kritisiert, ohne ihn beim Namen zu nennen. In einem Wortbeitrag im Tagesspiegel hatte er moniert, dass die SPD „von einer Volkspartei zu einer Staatspartei“ geworden sei. Ausdrücklich hatte Saleh Müllers Vorgänger Klaus Wowereit gelobt: „Klaus Wowereit hat es mit seiner menschlichen Art lange geschafft, diese Kluft zu überbrücken, im letzten Jahr ist uns das nicht genug gelungen.“
Seitdem rätseln die Genossen, welche Agenda Saleh mit seinen Angriffen auf Müller und nun sogar die gesamte Koalition verfolgt. In der Umgebung des Regierenden Bürgermeisters hielt man es lange Zeit für möglich, dass Saleh im nächsten Jahr versucht, Müller vom Landesvorsitz zu verdrängen. Die gerade erst gebildete Koalition anzugreifen würde dazu aber nicht passen. Etwas deutlicher wird man bei einem der beiden Koalitionspartner: „Saleh ist eine tickende Zeitbombe.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anbrechender Wahlkampf
Eine Extraportion demokratischer Optimismus, bitte!
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei