Gesetze zum Schwangerschaftsabbruch: Besser in Kanada, Nepal oder Irland
Schwangerschaftsabbruch ist in Deutschland eine Straftat. Eine Kommission der Regierung soll nun alternative Regelungen prüfen. Vorbilder gäbe es.
Schwangerschaftsabbrüche sind in Deutschland verboten. Nur unter bestimmten Bedingungen wird auf die Bestrafung verzichtet. An sich betrachtet das deutsche Recht Abbrüche jedoch als „Straftat gegen das Leben“. SPD und Grüne wollen das ändern, konnten aber die FDP bisher nicht überzeugen. Immerhin: Im Koalitionsvertrag hat man sich auf eine Kommission geeinigt. Die soll im November zusammentreten und „Regulierungen für den Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafgesetzbuches“ prüfen. Wir haben mal vorgearbeitet: drei reale Beispiele, wie man Schwangerschaftsabbrüche regeln könnte.
Kanada
Kanada ist das einzige Land weltweit, in dem es überhaupt kein nationales Gesetz zum Schwangerschaftsabbruch gibt. Seitdem der oberste Gerichtshof 1988 das damalige Gesetz für verfassungswidrig befand, ist es ersatzlos verschwunden.
Zuvor mussten Abbrüche in Krankenhäusern stattfinden. Ein Komitee aus Ärzt*innen musste befinden, dass die Fortsetzung einer Schwangerschaft die Gesundheit oder das Leben der Schwangeren gefährde. Dazu erklärte der Vorsitzende Richter: „Eine Frau durch Androhung strafrechtlicher Sanktionen zu zwingen, einen Fötus auszutragen, außer sie erfüllt bestimmte Kriterien“, sei ein „schwerwiegender Eingriff in den Körper der Frau“. Es verletze ihr Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit – also ihre Menschenrechte. Das Urteil hätte sich das deutsche Bundesverfassungsgericht damals genauer ansehen sollen. Dieses entschied nämlich noch 1993, also fünf Jahre später: Eine Frau sei grundsätzlich verpflichtet, eine Schwangerschaft auszutragen.
Schwangerschaftsabbrüche sind in Deutschland nicht legal. Abbruch auf Verlangen ist eine Straftat. Nur unter bestimmten Bedingungen wird auf die Bestrafung verzichtet: Der Abbruch muss innerhalb der ersten 12 Wochen nach Befruchtung stattfinden.
Eine ungewollt Schwangere muss sich zudem in einer staatlich anerkannten Beratungsstelle beraten lassen und dies mit einem entsprechenden Schein nachweisen. Dann muss sie eine dreitägige Wartefrist verstreichen lassen. Attestieren Ärzt*innen, dass ein Fortsetzen der Schwangerschaft die seelische oder körperliche Gesundheit der Schwangeren gefährdet, oder ist die Schwangerschaft Resultat einer Straftat – etwa einer Vergewaltigung –, ist ein Abbruch nicht strafbar.
Zu verdanken ist das bahnbrechende kanadische Urteil dem Arzt Henry Morgenthaler, der 1969 die erste Abtreibungsklinik Kanadas eröffnete. Weil er damit Personen mit ungewollter Schwangerschaft am Gesetz vorbei half, wurde er mehrfach festgenommen, verurteilt und saß im Gefängnis – bis sein Fall schließlich die bestehenden Regelungen im Strafrecht zu Fall brachte.
Mehrmals gab es in den Folgejahren Versuche, ein neues nationales Gesetz zu erlassen, ohne Erfolg. Das heißt aber keineswegs, dass totale Anarchie herrscht. Die Provinzen regeln ihren Umgang mit Abbrüchen selbst. Das passiert aber – wie bei anderen medizinischen Prozeduren auch – nicht etwa im Strafrecht. Überall sind Abbrüche als Gesundheitsleistung anerkannt.
Das Beispiel widerlegt die Behauptung, eine liberale Gesetzgebung beim Thema Schwangerschaftsabbruch führe zu steigenden Abbruchzahlen oder gar dazu, dass Frauen quasi bis kurz vor der Geburt abtreiben – eine Sorge, die Konservative und Rechte auch in Deutschland gerne in den Raum werfen. Die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche liegt in Kanada seit der Entkriminalisierung konstant bei etwa 100.000 im Jahr, 90 Prozent davon werden im ersten Trimester der Schwangerschaft durchgeführt. Nahezu alle Abbrüche nach der 20. Woche finden im Zusammenhang mit fötalen Anomalien statt. Auch diese Zahl ist seit der Entkriminalisierung stabil. Kanada macht vor, wie Abbrüche geregelt werden können, wenn Politik und Gesellschaft Frauen nicht stigmatisieren, sondern ihnen vertrauen.
Nepal
Auch in Nepal war es das oberste Gericht, das das Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen kippte. Bis zu ersten, kleineren Lockerungen im Jahr 2002 hatte Nepal eins der restriktivsten Abtreibungsverbote weltweit. Ein Fünftel der Frauen in nepalesischen Gefängnissen saß dort wegen illegalen Schwangerschaftsabbruchs – viele davon wurden wegen Mordes verurteilt. Unsichere Schwangerschaftsabbrüche kosteten zahlreiche Frauen das Leben. Rund die Hälfte der Fälle von Müttersterblichkeit stand im Zusammenhang mit entsprechenden Komplikationen – und Nepal war zu dieser Zeit eines der Länder mit der höchsten Müttersterblichkeitsrate weltweit. Angesichts dieser dramatischen Lage wurden die Gesetze ab 2002 nach und nach gelockert.
2009 dann urteilte das Verfassungsgericht im Fall einer armen Frau vom Land, die gezwungen war, ein sechstes Kind zu bekommen, weil sie kein Geld für einen Schwangerschaftsabbruch hatte: Schwangerschaft unter Zwang sei Gewalt gegen Frauen und könne zu Ungleichheit zwischen Frauen und Männern führen. Abbrüche dürfen diesem Urteil zufolge nicht länger ein Straftatbestand sein. Im Gegenteil: Sie müssen als Frage der Menschenrechte von Frauen durch ein eigenes Gesetz geschützt werden.
Heute ist ein Abbruch im Einvernehmen mit der Schwangeren in den ersten 12 Wochen legal. Ebenso verhält es sich bei Abbrüchen nach Vergewaltigung oder Inzest, aus medizinischen Gründen oder wenn beim Fötus eine Behinderung festgestellt wird. Geregelt allerdings sind Abbrüche nach wie vor im Strafgesetz. 2021 hat die Regierung angekündigt, Abbrüche völlig entkriminalisieren zu wollen. Damit würde es sein Recht dann auch in Einklang mit dem Verfassungsgerichtsurteil von 2009 bringen – sowie mit der nepalesischen Verfassung, in der das Recht von Frauen auf reproduktive Gesundheit längst verankert ist.
Inzwischen gibt es im Land mehr als 2.000 ausgebildete medizinische Fachkräfte, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Das ist deutlich mehr als im um einiges bevölkerungsstärkeren Deutschland, wo die Zahl bei inzwischen rund 1.100 liegt – Tendenz seit Jahren stark sinkend. In den letzten 20 Jahren ist die Müttersterblichkeitsrate in Nepal um zwei Drittel gesunken.
Das Beispiel Nepal zeigt aber auch, dass ein progressives Gesetz alleine nicht reicht. Zwar hat das Gesundheitsministerium Anstrengungen unternommen, um den Zugang zu sicheren und legalen Schwangerschaftsabbrüchen sicherzustellen. Trotzdem findet noch immer ein relevanter Anteil von ihnen illegal und unter unsicheren Bedingungen statt. Gerade in ländlichen Regionen ist die Versorgung immer noch schlecht. Dazu kommt eine nach wie vor massive Stigmatisierung des Themas. Wenn ungewollt Schwangere ihre Abtreibung unter allen Umständen geheim halten müssen, sind offizielle Stellen für sie oft keine Option.
Irland
Es ist genau zehn Jahre her, im Oktober 2012, dass in Irland die 31-jährige Savita Halappanavar im Krankenhaus an einem septischen Schock und multiplem Organversagen starb. Ein Tod, der hätte vermieden werden können: Ärzt*innen hatten sich aufgrund des strikten Abtreibungsverbots in der irischen Verfassung geweigert, den nicht lebensfähigen Fötus aus dem Körper Halappanavars zu entfernen, die in der 17. Woche schwanger war.
Der Tod Halappanavars führte zu einer radikalen Kehrtwende. Im September 2018 stimmte die Mehrheit der Ir*innen per Referendum für die Änderung der Verfassung und die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen. Was bis dahin eins der restriktivsten Abtreibungsgesetze Europas war, ist heute an einigen Stellen sogar progressiver als die deutsche Rechtslage.
Zwar sind in Irland Abbrüche auf Verlangen der Schwangeren nur in den ersten zwölf Wochen nach der letzten Regel erlaubt, das sind sogar zwei Wochen weniger als in Deutschland, wo ab der Befruchtung der Eizelle gerechnet wird. Die meisten Länder mit liberalen Gesetzen geben ungewollt Schwangeren mehr Zeit. Umso schwerer wiegt, dass Irland zudem eine dreitägige Wartefrist hat, die vergehen muss zwischen der Feststellung des Schwangerschaftsalters und dem Abbruch. Auch hier gibt es also noch deutlichen Verbesserungsbedarf.
Doch diese Schwangerschaftsabbrüche in den ersten zwölf Wochen sind nicht mehr Teil des Strafrechts, sondern klar ein Gesundheitsthema – geregelt im „Health (Regulation of Termination of Pregnancy) Act 2018“. Die Kosten für Abbrüche werden übernommen – jedenfalls für Frauen, die in der Republik Irland ihren Wohnsitz haben. In Deutschland zahlen ungewollt Schwangere den Eingriff grundsätzlich selbst, je nach Methode mehrere Hundert Euro.
In Deutschland musste die Ärzt*in Kristina Hänel jahrelang vor Gericht darum kämpfen, dass Mediziner*innen öffentlich darüber berichten dürfen, dass sie Abbrüche durchführen. In Irland informiert seit der Legalisierung die staatlich finanzierte Gesundheitsorganisation HSE niedrigschwellig über Schwangerschaftsabbrüche – inklusive kostenfreier Hotline und Informationen darüber, wo Abbrüche zu bekommen sind. Frühe Abbrüche bis zum Ende der 9. Woche finden vor allem bei niedergelassenen Ärzt*innen statt und vor allem medikamentös – die schonendste Methode, während in Deutschland immer noch vor allem der chirurgische Eingriff dominiert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles