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Gesetz gegen sexuelle GewaltFrankreichs Light-Version

Paris verabschiedet ein Gesetz gegen sexuelle Gewalt. Den Gerichten bleibt überlassen, ab wann Sex mit Minderjährigen als Vergewaltigung gilt.

Und wenn das Gesetz nichts bewirkt, hilft vielleicht ein Regenschirm Foto: dpa

Paris taz | Mit einem Gesetz gegen sexuelle Gewalt und Belästigung wollte die französische Regierung ein Wahlversprechen von Emmanuel Macron erfüllen und die Konsequenzen aus Debatten im Kontext der ­#MeToo-Kampagne ziehen. Auch aktuelle Gerichtsentscheidungen beeinflussten die Diskussion der Abgeordneten. Diese haben nun vor der parlamentarischen Sommerpause mangels Konsens eine abgespeckte Vorlage verabschiedet.

Zwei Prozesse um Sex von Erwachsenen mit 11-jährigen Mädchen hatten kürzlich Frankreich schockiert. Die illegalen Geschlechtsbeziehungen mit Kindern waren von der Justiz unter Hinweis auf die existierende Gesetzgebung als Delikt, nicht aber als Vergewaltigung eingestuft worden, weil die Opfer angeblich einverstanden gewesen seien. Doch können Kinder in diesem Alter wirklich im Bewusstsein der Konsequenzen ihre Zustimmung zu Sex geben? Seit Wochen diskutierten die französischen Parlamentarier über die Frage, ob zusätzlich zum geltenden Mindestalter (15 Jahre) eine Altersgrenze festzulegen sei, unter der jede sexuelle Handlung von Erwachsenen automatisch als Vergewaltigung bestraft werden soll.

Vor der Schwierigkeit, eine Altersgrenze festzulegen, haben die Abgeordneten kapituliert: In letzter Lesung hat die Nationalversammlung ohne Gegenstimmen und bei einigen Enthaltungen ein Gesetz zum Kampf gegen sexuelle Gewalt und Sexismus verabschiedet, in dem dieser umstrittene Artikel zur Verschärfung der Strafen für sexuelle Aggressionen mit Penetration von Minderjährigen unter 15 Jahren nicht mehr enthalten ist.

Das bedeutet konkret, dass es im Ermessen der Gerichte bleibt, wann illegale Verführung und Geschlechtsbeziehungen mit Minderjährigen eine sexuelle Aggression oder eine Vergewaltigung im Sinne des Strafgesetzbuchs ist. Die Unterscheidung hat Auswirkungen auf das Strafmaß. Die Beibehaltung des Status quo bedeutet aber auch, dass es den Opfern und deren Erziehungsberechtigten obliegt, bei der Einreichung einer Klage bei der Polizei zu beweisen, dass explizit keine Zustimmung vorlag.

Verjährungsfrist verlängert

Weggefallen aus der Vorlage ist auch ein Artikel, der Ärzte verpflichtet hätte, den Behörden Fälle von sexueller Gewalt an Minderjährigen zu melden, die ihnen in der Praxis auffallen. Hingegen verlängert das neue Gesetz die Verjährungsfrist von sexuellen Verbrechen an Minderjährigen von 20 auf 30 Jahre.

Staatssekretärin Marlène Schiappa ist stolz auf einen Text, der „eine konkrete Umsetzung einer großen Sache, eines Wahlversprechens des Präsidenten ist.“ Die feministischen Organisationen und Vereinigungen gegen sexuelle Gewalt sind enttäuscht über die Zimperlichkeit von Parlament und Regierung. Die linke Abgeordnete Clémentine Autain aus der Fraktion France insoumise spricht von einer „verpassten Chance“. Die Kinderpsychiaterin Muriel Salmona protestiert in ihrem Blog: „In Frankreich ist eine Penetration von Kindern (weiter) nicht zwingend ein Verbrechen und das neue Gesetz ändert daran nichts.“

Positiv wird hingegen kommentiert, dass es das Gesetz erlaubt sowohl Voyeure, die unter Röcken, in Toiletten oder Umkleideräumen heimlich mit Minikameras filmen, als auch sexuelle Belästigungen auf der Straße strafrechtlich zu verfolgen.

Wie ernst es der Justiz wirklich mit dem Kampf gegen die oft noch verharmlosten Delikte von sexistischen Belästigungen ist, wird die Rechtspraxis der kommenden Jahre zeigen.

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3 Kommentare

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  • Sehr interessant! Eine Frage hätte ich jedoch, da ich mich mit franz. Recht nicht wirklich auskenne. Im Text wird der Begriff "Delikt" iRd Gesetzgebung verwendet. Daraus erschließt sich mir nicht ganz, in welchem Bedeutungszusammenhang dieser Begriff steht. Meinen Sie "Delikt" iSd Unterscheidbarkeit zwischen Verbrechen und Vergehen, oder aber die Straftat als solche im Vergleich zum Delikt als mögliche Ordnungswidrigkeit? Meinem Verständnis nach wird das "Delikt" eher allgemein zB iRd Zuteilung eines Schwerpunkt einer Straftat verwendet, zB das Sexualdelikt (Missbrauch von Schutzbefohlenen), Äußerungsdelikt (Beleidigung) etc. Vielen Dank!

  • Dass die Umkehr der Beweislast vom Kläger auf den Beschuldigten nicht im neuen Gesetzestext in Frankreich steht, ist ein sehr positives Zeichen. Dass die Anklage von Kindesmissbrauch wegen der Beweisproblematik bei Sex mit Kindern, bei denen diese nicht verletzt werden, schwierig ist, ist halt so und lässt sich nicht ändern, wenn man ein Grundprinzip des Rechtsstaates nicht beseitigen will: Wer beschuldigt muss beweisen! Wenn man daran rüttelt, brauchen sich totalitäre Staaten noch nicht einmal mehr die Mühe von Schauprozessen machen.

    Kommentar gekürzt. Bitte bleiben Sie sachlich. Die Moderation

    • @Gottfried Scherer:

      Ihnen ist schon bewusst, dass es im Artikel explizit um Kindesmissbrauch geht? Das missbrauchte Kind soll also beweisen müssen, dass es nicht damit einverstanden war, mit seinem Onkel/Vater/etc Geschlechtsverkehr zu haben? Meinen Sie das ernst?