Gesetz gegen sexuelle Gewalt an Kindern: Endlich mehr Zeit für die Opfer
Das neue Gesetz gegen sexuelle Gewalt an Kindern ist wichtig. In der Pflicht ist aber weiterhin die Gesellschaft, die aufhören muss, wegzusehen.
Jetzt ist es also da, das Gesetz, das sexuelle Gewalt an Kindern stärker bekämpfen soll. Und dass die beiden SPD-Ministerinnen – Christine Lambrecht, Justiz, und Franziska Giffey, Frauen und Familie – das am Mittwoch vom Kabinett beschlossene Gesetz begrüßen, liegt in der Logik der Sache. Aber es ist tatsächlich ein wichtiges Instrument im Kampf gegen Gewalt an Kindern, die in der Regel im Verborgenen stattfindet und viele Kinder in ein lebenslanges Trauma schickt.
Das Gesetz wird sexuelle Gewalt an Kindern, die in allen sozialen Schichten und seriösen Institutionen vorkommt, nicht verhindern – kein Gesetz sorgt dafür, dass Straftaten auf null gefahren werden. Aber es setzt deutliche Signale. Das beginnt bei der Sprache und endet bei höheren Strafen.
So soll sexuelle Gewalt an Kindern fortan auch genauso und nicht mehr als „sexueller Kindesmissbrauch“ bezeichnet werden. Der Begriff „Missbrauch“ insinuiert, dass es auch einen „Gebrauch von Kindern“ geben könne. Der klare Verstand sagt natürlich sofort, dass das eine unzulässige Zuspitzung ist, kein Kind darf für etwas „gebraucht“ werden.
Warum dann trotzdem die sprachliche Änderung? Einerseits werden Taten jetzt deutlicher als das beschrieben, was sie sind: Gewalt. Da wird nichts verharmlost, nichts euphemisiert. Andererseits ist es ein Signal an die Betroffenen: Wir nehmen euch ernst. Wir gehen sensibel mit Worten um. Denn Sprache verändert das Bewusstsein: Wo Gewalt draufsteht, ist Gewalt drin. Auch wenn es nach wie vor Menschen geben wird, die von Missbrauch sprechen, weil es ein in den Sprachgebrauch eingegangener Begriff ist.
Klares Zeichen
Als klares Zeichen an Täter*innen und an die Justiz sind ebenso die aktuellen Strafverschärfungen zu verstehen: Aus 10 Jahren Gefängnis als Höchststrafe für sexuelle Gewalt an Kindern wurden 15 Jahre. Der Besitz und das Beschaffen von sogenannter Kinderpornografie werden nun als Verbrechen betrachtet wie auch das Verbreiten. Letzteres kann mit bis zu 10 Jahren Haftstrafe geahndet werden.
Auch bei den umstrittenen Verjährungsstrafen wurde nachgebessert: Die beginnt jetzt erst, wenn das Opfer 30 Jahre alt geworden ist. Das ist nicht gering zu schätzen, denn viele Betroffene können erst, wenn sie älter sind, offen mit den Erlebnissen in ihrer Kindheit und Jugend umgehen. Den Satz „Das ist verjährt, da können wir leider nichts mehr machen“ haben viele Betroffene zu oft von Gerichten, Polizei und anderen Behörden gehört, wenn sie endlich die Kraft gefunden haben, die Täter*innen anzuzeigen.
Unter Jurist*innen ist die Strafverschärfung durchaus umstritten. Viele Anwält*innen und Richter*innen lehnen sie ab mit dem Argument, die im Gesetzbuch formulierten Strafen reichten schon jetzt aus, der Strafrahmen müsse nur ausgeschöpft werden. In der Realität haben es viele Opfer allerdings anders erlebt: Da wurden geringe Strafen auferlegt, Täter*innen wurden freigesprochen oder sind mit einer Bewährungsstrafe davongekommen.
Einschränkend muss gesagt werden, dass sexuelle Gewalt nach Jahrzehnten nur sehr schwer zu beweisen ist und mutmaßliche Täter*innen daher rechtmäßig auf freiem Fuß bleiben. Und doch mag es Jurist*innen geben, denen das Thema nicht gut genug vertraut ist und die daher milder urteilen. Auch hier legt das Gesetz nach: Familien- und Jugendrichter*innen, Jugendstaatsanwält*innen, Verfahrensbeistände müssen für ihre Jobs nun speziell qualifiziert sein.
All das ist wichtig und richtig. Doch es gibt der Gesellschaft keinen Freibrief, nicht selbst so aufmerksam wie möglich zu sein und Kinder darin zu befähigen, Nein sagen zu können.
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