Geschlechterpolitik der AfD: Mein Körper gehört mir
Wie früher müssen Frauen heute wieder für ihre Würde kämpfen. Gegen die Abtreibungsgegner vom „Marsch für das Leben“. Und gegen die AfD.
Am Wochenende wird in Berlin gewählt. Und wieder will die AfD punkten. Am Wochenende wird in Berlin auch demonstriert. Gegen TTIP, ja. Aber auch die Abtreibungsgegner werden am Samstag mit 1.000 Kreuzen auf ihrem „Marsch für das Leben“ durch Berlin ziehen und für ein Abtreibungsverbot demonstrieren.
Zwei Gegendemonstrationen gegen die „Lebensschützer“ wird es zudem noch geben. Sie werden in der Berichterstattung kaum erwähnt werden, und wenn doch, dann nur, wenn es Ärger gibt. Ich werde zu einer der Gegendemos gehen, weil ich gefährlich finde, was sich da zusammenbraut.
Der Bundesverband Lebensrecht e. V. marschiert jedes Jahr im September mit weißen Kreuzen durch Berlin. Jeden Tag, so behaupten die Veranstalter, werden in Deutschland 1.000 Kinder abgetrieben. Für jedes Kind ein Kreuz.
Die Fakten indes sind andere: Im Jahr 2015 gab es 99.200 Abtreibungen hierzulande.
Beatrix von Storch, die AfD-Einpeitscherin, die sich vorstellen kann, dass Flüchtlinge – darunter auch Kinder – mit Waffen von deutschen Grenzen ferngehalten werden müssen, führte die Demo des „Lebensrecht“-Vereins in den vergangenen Jahren öfter an. Dieses Jahr haben sich zwei Bischöfe angekündigt, rechte Christen aus dem ganzen Bundesgebiet machen das Gros der Unterstützer aus.
Gefühle werden Fakten
AfD in den Parlamenten und Lebensschützer mit ihrer auf Gefühlsdogmatismus ausgerichteten Symbolik auf der Straße – ich kann es nicht mehr ertragen. Die zwei Gruppen bilden eine Allianz, deren simple Logik für immer mehr solche Leute, die Meinungen für Wahrheiten und Gefühle für Fakten halten, auf den Leib geschneidert scheint. Denn seit Informationen durch die neuen Medien zu diffusen Wahrnehmungswolken gerinnen, die man „liken“ oder „bashen“ kann, wird Politik nicht mehr mit Fakten, sondern mit Emotionen gemacht.
Vermutlich hätte die AfD kaum groß werden können, wenn dem nicht so wäre. Nun aber wird sie es mit rassistischen Sprüchen und geschürter Angst vor Flüchtlingen (die in Mecklenburg-Vorpommern eigentlich gar nicht angekommen sind und trotzdem der AfD den Erfolg bei den Wahlen brachte). Sie wird es mit Mutterhass, ausgelebt an Angela Merkel, weil das den Macht-Ohnmacht-Konflikt berührt – im übertragenen Sinne ist die Mutter übermächtig, „der kleine Mann und die kleine Frau auf der Straße“ aber sind ohnmächtig, ungeliebt und bedeutungslos. Und die AfD wird groß, indem sie selbstbestimmten Frauen mit Abwehr, ja Verachtung begegnet – nachzulesen im AfD Grundsatzprogramm.
Tausende demonstrieren gegen TTIP und CETA – selbst Trump, Le Pen und die AfD sind gegen Freihandel. Wie sich die Organisatoren der Proteste von den Rechten abgrenzen wollen, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 17./18. September. Außerdem: Silke Burmester beschreibt, wie es ist, wenn das eigene Kind auszieht. Ingo Zamperoni erzählt im Interview, wie Amerikaner Hausschuhe finden. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Über den identitätsstiftenden Rassismus, der der AfD Zulauf gewährt, ist viel geschrieben worden. Nicht so über deren Frauenhass. Dabei zeigt schon die Präambel des AfD-Grundsatzprogramms, wohin die Reise geht. Es sollen, steht da, „in einem friedlichen, demokratischen und souveränen Nationalstaat“ als Erstes „die Würde des Menschen“, als Zweites „die Familie mit Kindern“, als Drittes die „abendländische christliche Kultur“ erhalten bleiben. Eine irritierende Reihenfolge.
Wer „die Würde des Menschen“ liest, liest sie auf dem Hintergrund des ersten Satzes des Artikels 1 im Grundgesetz: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Deshalb schwingt wie beim Obertonsingen nun die Unantastbarkeit auch bei der „Familie mit Kindern“ und der „christlichen Kultur“ mit. Die allerdings scheinen nun in Gefahr – sie müssen „erhalten“ bleiben. Entsprechend fällt das AfD-Grundsatzprogramm aus.
Die Familie – gemeint ist übrigens eine Mutter-Vater-Kinder-Konstellation, klar heterosexuell, klar mehrkindorientiert – ist aus Sicht der AfD von vielen bedroht: von Kinderkrippen und Ganztagsschulen, vom Streben nach Individualität, vom Gender-Mainstreaming und der Wirtschaft. Aber auch von „einem falsch verstandenen Feminismus“, der die Frau angeblich nur als Erwerbsarbeitsfaktor aber nicht als Mutter sieht. Im Umkehrschluss soll das heißen: Feminismus ja, aber den richtigen, den der AfD.
Angstszenario Bevölkerungsschwund
Bei dem kommt dem Muttersein der deutschen Frauen eine zentrale Bedeutung bei der Rettung des deutschen Volks zu – sonst droht eine „demografische Fehlentwicklung“, die mit Bevölkerungsschwund und „sinkenden Renten“ – so wird Angst geschürt – einhergeht. Denn die „konfliktträchtige Masseneinwanderung“ aus islamischen Staaten, wie es derzeit von der Regierung erlaubt werde, tauge nicht, um diesen Trend aufzuhalten. Diese Migranten seien dümmer, aber auch gebärfreudiger als die Einheimischen, sie trügen, steht da im Programm, zu einem weiter sinkenden durchschnittlichen Bildungsstand bei.
Die Sprache des Programms ist modern und auf eine verbrämte Art intellektuell. Es wird von Humanitarismus und Multikulturalismus gesprochen (man beachte die grammatikalischen Suffixe, die dem Wort eine negative Note geben). Es wird von „Kettenmigration“ und „Multi-Minoritätengesellschaften“ geredet, die den sozialen Zusammenhalt erodieren ließen. Von Gleichberechtigung, die durch Chancengleichheit, nicht durch Ergebnisgleichheit eingelöst werde und deshalb keiner Quotenregelung bedarf.
Allerdings: Sobald die AfD übers Kopftuch diskutiert, steht die Gleichberechtigung der Frauen dann doch wieder auf dem Podest. Hü und hott – das lässt sich bei einigen Themen beobachten. Individualität nein, aber individuelle Betreuung der Kinder – sprich die Mutter bleibt zu Hause – doch. Wie übrigens auch die sozialen Sicherungssysteme entlastet werden sollen, indem Frauen wieder selbstbewusst die Pflege Bedürftiger übernehmen und man sie dafür lobt.
Was aber ist zu tun, um das deutsche Volk aus Sicht der AfD wirklich zu retten? Die gebärunfreudigen, abtreibungswilligen, kinderlosen deutschen Frauen müssen eines Besseren belehrt werden.
Mit nicht verifizierten Statistiken wird unterstellt, dass 90 Prozent der Frauen einen Kinderwunsch hätten, aber jede dritte Akademikerin bliebe kinderlos. Die AfD schlägt nun vor, dass Bau- und auch BAföG-Kredite für Familien abgekindert werden können, dass mit jedem Kind den Eltern also ein Teil der Schulden erlassen werde. Historische Vorlage für diese Praxis: der von den Nazis 1933 eingeführte Ehekredit.
Islamistische Logik
Geld allein aber wird die Frauen nicht zum Kinderkriegen ermutigen. Deshalb muss auch die Abtreibung aus Sicht der AfD erschwert, wenn nicht unterbunden werden. Weil das Embryo ein eigenständiges Individuum sei. Wie sie es indes mit der Reproduktionstechnologie und der Gentechnik am menschlichen Embryo sehen, sagen die Verfasser – darunter auch Beatrix von Storch – nicht.
Im AfD-Grundsatzprogramm gibt es klar ausformulierte Vorstellungen davon, wie (deutsche) Frauen im gebärfähigen Alter ihr Leben gestalten sollen. Und es beinhaltet klare Vorstellungen, wie die islamische Kultur in Deutschland zu reglementieren ist. Dabei propagiert die AfD in ihren Positionen doch genau das, was auch Islamisten und alle fundamentalistischen Religionsanhänger tun: Religion mit Politik gleichsetzen. Sie machen Politik mit dem Körper der Frau.
Ich will das nicht.
„Mein Körper gehört mir!“ – Der alte Slogan der Frauenrechtlerinnen aus den 70er Jahren muss lauter geschrien werden denn je.
Eigentlich will ich nicht erneut für das Selbstbestimmungsrecht von Frauen demonstrieren müssen. Wie in den achtziger Jahren. Und auch nach der Wende, als durch die Wiedervereinigung die Chance da war, die Abschaffung des Paragrafen 218 zu erreichen, was nicht gelang. Wenn ich dennoch hingehe, dann tue ich das, weil Frauenrechte Menschenrechte sind. Weil die Würde der Frau auch die Würde des Menschen ist. Sie ist unantastbar. AfD und Lebensschützer sehen das anders.
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