Geschichtsaufarbeitung in Kroatien: Kein Platz mehr für Tito in Zagreb
Konservativer Stadtrat beschließt die Umbenennung des Marschall Tito Platzes. Daran ändern auch massive Proteste der Bevölkerung nichts.
Was ist los in Kroatien, das sich eines seiner bekanntesten Staatsmänner entledigt und eines der wichtigsten Kapitel seiner Geschichte entsorgt? Josip Broz Tito gehörte zweifellos zu den überragenden Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts. Darin sind sich Historiker, Politiker und vor allem Linke einig.
Tito wurde nach dem Einmarsch deutscher und italienischer Truppen 1941 der unbestrittene Führer der Partisanenbewegung in Jugoslawien, die den bewaffneten Kampf gegen den „Faschismus“ aufnahm. In keinem Land des besetzten Europas gelang es den antifaschistischen Widerstandsbewegungen ohne nennenswerte Hilfe von außen den Gegner zu besiegen.
Nur in Jugoslawien konnten sich die Partisanen, denen es gelungen war, breite Bevölkerungsschichten mit dem Schlagwort „Brüderlichkeit und Einheit“ zu mobilisieren, 1945 zurecht als Sieger fühlen.
Sozialistische Entwicklungsdiktatur
Sicher haben seine Kritiker recht, wenn sie dem sozialistischen System Jugoslawiens das Prädikat demokratisch absprechen. Tito war ein Diktator und errichtete eine sozialistische Entwicklungsdiktatur. Doch die kroatische Linke kann darauf verweisen, dass es Tito Ende der 40er-Jahre gelungen war, das Land aus dem Stalinismus zu lösen. Seine Wirtschaftspolitik verwandelte das Land innerhalb von 20 Jahren von einem Agrar- in ein Industrieland.
Jugoslawien wurde zu einem führenden Land der Bewegung der Blockfreien. An die Liberalisierung der sechziger und siebziger Jahre erinnern sich noch heute die meisten Zeitgenossen in ganz Exjugoslawien als „die schönsten und freiesten Jahre“ ihres Lebens.
Ende der siebziger Jahre erklärte Tito, „wenn ich euch die Demokratie gebe, werdet ihr euch die Köpfe einschlagen“. Die Kriege ab 1991 geben ihm recht. Tito war kein kroatischer Patriot, sondern Internationalist. Das ist für die kroatische Rechte der Sündenfall. Tito habe für Jugoslawien gekämpft, nicht aber für Kroatien, monieren sie.
Dabei vergessen die Rechten nach Meinung des Mitglieds des Verbandes der Antifaschisten Marinko Vlašić aus Split, dass die kroatischen „Patrioten“ des rechtsradikalen Ustascha-Regimes (1941–45) Teile Kroatiens – Istrien und Teile Dalmatiens – an das Italien Mussolinis abtraten. Die Partisanen hätten diese Gebiete zurückerobert.
Hass auf Tito
Schon 1943, beim Kongress der Partisanen in Jajce, wurden die Weichen für das Wiedererstehen Kroatiens in seinen heutigen Grenzen gestellt. Zum Leidwesen serbischer Nationalisten, die Tito vorwerfen, gegen Serbien gearbeitet zu haben. Der serbische Extremist Vojislav Šešelj wollte schon 1990 Titos Grab aus Belgrad verbannen.
Im Hass auf Tito sind sich die Extremisten in Kroatien und Serbien einig. „Die Diskussion in Kroatien fußt auf einer ideologischen Hysterie“, sagt der kroatische Philosoph Žarko Puhovski. Die Rechte wolle Tito verbannen, die Linke nutze einen antiquierten Begriff von Antifaschismus. „Antifaschismus heute bedeutet für Menschenrechte, Meinungsfreiheit, den Rechtsstaat und die Umwelt zu kämpfen.“ Tito jedenfalls behalte seinen Platz in der Geschichte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag