Geschichte des Hooliganismus: Ackerkampf und Kampfsport
Der deutsche Hooliganismus ist dabei, neue Gewaltformate zu entwickeln. Dabei bleibt der Einfluss der extremen Rechten konstant hoch.
„Ich war lange dabei“, beginnt Thomas Oetker unser Gespräch. Er sitzt leger in seinem Sessel im Erker seines jüngst eröffneten Yogastudios im rheinischen Worms. Ein Bein hochgeschlagen, trägt Jeans und Trainingsjacke. 1978 kam Oetker zur Frankfurter Eintracht. 15 Jahre alt war er da. Er war oft der Jüngste und habe zu den Älteren aufgeschaut, sagt er.
„Die Gewalt war damals schon wichtig, dabei waren wir kaum Hooligans. In jeder Halbzeit haben wir versucht, den Gästeblock im Waldstadion zu stürmen. Ein liebgewonnenes Ritual.“ Oetker trägt damals noch seine eigene Kutte mit großem „United“-Aufnäher seines Fanklubs auf dem Rücken, wie er betont. Ähnlich dem englischen Vorbild der damaligen Hooligans „war äußerlich kaum zu unterscheiden zwischen friedlichen und gewaltbereiten Fußballfans“.
1983 gründen sie das „Presswerk“, die Mitglieder kamen aus Rüsselsheim, arbeiteten zum Teil bei Opel. Dort gab es ein Presswerk. Die Gruppe besuchte über Jahre hinweg jeden Sonntag die Spiele des SC Opel Rüsselsheim in den unteren Amateurligen sowie Randale, wo immer sie sich anbot. Politisch jedoch blickt Oetker heute leicht frustriert zurück: „Zwei Leute von uns haben für die ‚Aktion Ausländerrückführung‘ der FAP einmal zur Kommunalwahl kandidiert. Ab da galt die ganze Gruppe als rechts. Dabei war das eine Minderheit. Doch den Stempel wurden wir nie wieder los.“ Die Gruppe sei viel heterogener gewesen – auch Punks und Skinheads hätten teilgenommen.
Durch die Gruppe kommt Oetker in den 1980er Jahren zum Boxen: In einem Keller richten sie ein eigenes Boxgym ein und melden einen Verein an: Presswerk. Sie werden Mitglied im Boxverband und nehmen an Turnieren teil. Die Firma „Hooligan“ wird Sponsor, sie tragen den Schriftzug groß auf ihrer Sportkleidung. Doch der Boxverband interveniert. Presswerk zieht sich zurück, trainiert nur noch für sich und begründet eine eigene Tradition. Presswerk veranstaltet fortan Boxturniere zur Weihnachtszeit, in der eigenen Kneipe werden Seile gespannt. Hundert Menschen drängen sich nah am Ring. Hooligans aus anderen Städten treten an. Das Event ist beliebt, die Szene kommt stets zusammen.
Verabredete Kämpfe
Wie auch zu Spielen der Nationalmannschaft: 1984 scheppert es bei der EM in Straßburg. 1986 fliegt er zur WM nach Mexiko, doch mit knapp 30 Leuten lässt sich wenig ausrichten. Anders bei der EM 1988 in Deutschland: Bei den Kämpfen in der Hamburger Hafenstraße ist Oetker dabei. Er besucht die WM 1990 in Italien und die EM 1996 in England, als er 1998 auf dem Heimweg von der WM im Wohnmobil sitzt, erfährt er, dass der französische Gendarm Daniel Nivel von deutschen Hooligans ins Koma geprügelt wurde.
Es ist die Zeit, zu der Oetker zum ersten Mal spürt, dass sich etwas in ihm ändert. „Mit den ostdeutschen Hooligans kam ein neuer Wind auf. Die waren trainiert und gut organisiert. Da war spürbar: Hier entsteht etwas Neues. 1997 hatten wir zwei Auseinandersetzungen mit Hooligans aus Chemnitz und Zwickau. Das erste Match haben wir auswärts brutal verloren. Den Rückkampf – ausgemacht für den Frankfurter Ostpark – verloren wir ebenso. Die formierten sich wie eine Schildkröte nach römischem Vorbild. Wir waren verstreut und boxten unorganisiert drauflos.“
Thomas Oetker, Ex-Hooligan
Zu jener Zeit entstanden die „Matches“, die verabredeten Kämpfe jenseits von Spieltagen an geheimen „Drittorten“. Unter dem Druck der Polizei verlagerten sich die Kämpfe von den nahegelegenen Stadtparks an den Stadien auf abgelegene Feldwege und Äcker. Die Szene begründet damit sukzessive ihr eigenes Sportformat, denn die Matches sind eine Art Gruppenkickboxen: Gleich große Teams treten dabei in einheitlichen Farben gegeneinander an, gewonnen hat, wer am Ende noch steht. Regeln werden rudimentär durchgesetzt. Zugleich führt die räumliche und zeitliche Entfernung von den Fußballspielen dazu, dass die Szene verstärkt auch Menschen fernab des Fußballs rekrutiert, aus den Kampfsportgyms.
„Das war alles nicht mehr meins. Ich boxte zwar, aber die waren richtig trainiert. Die fuhren stundenlang durch Deutschland für zwei Minuten Kampf. Mir fehlte der Spaß daran. Ich war auch schon um die 40 und wollte nicht mehr gegen 20-jährige Kampfsportler antreten“, resümiert Oetker seinen langsamen Ausstieg. Bis 2006 hängt er an der Szene und ihrem intensiven Lebensstil.
Elitäre Entwicklung
Führend in dieser Entwicklung – der Kampfsportisierung der Szene – waren jene Hooligans aus Chemnitz und Zwickau, gegen die auch Oetker angetreten ist. Sie trugen den Namen „HooNaRa“ – die Abkürzung steht für „Hooligans Nazis Rassisten“ – und standen militant weit rechts. Die Gruppe wurde 1992 vom Chemnitzer Neonazi Thomas Haller gegründet, der im selben Jahrzehnt seine „Haller Security“ aufbaute.
Das im Jahr 2000 verbotene Musik- und Terrornetzwerk „Blood & Honour“ hatte in der Region eine seiner agilsten Sektionen, die Hooliganszene professionalisierte ihre Gewalt im Kampfsport, „HooNaRa“-Kader wie Rico Malt traten bereits Mitte der 2000er Jahre bei den Event des „Fight Club Karl-Marx-Stadt“ an. Malt war Gerüstbauer und starb 2007 bei einem Bauunfall. Er bewegte sich in einem extrem rechten Milieu aus Subkultur mit Musik, Hooliganismus und Kampfsport sowie seinem wirtschaftlichen Rückgrat in Security-Unternehmen, Baufirmen, szenetypischem Versandhandel und eigenen Kneipen. „HooNaRa“ löste sich 2007 nach dem Tod Malts offiziell auf, doch ist der dreisilbige Schlachtruf bis heute auf Kampfsportevents zu hören, die Netzwerke bestehen weiter.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Nahmen an den Ackermatches in den 1990er Jahren noch oftmals über fünfzig Personen teil, hat sich auch diese Gewaltform elitär entwickelt. Vielfach berichten Szenemedien wie die Facebook-Seite „GruppaOf“ und das osteuropäische HooligansTV über Kämpfe mit heute zumeist zwischen zehn und zwanzig Teilnehmern pro Seite, alle männlich. Frauen gibt es zwar in der Szene. Sie nehmen auch an Kampfsportevents teil, jedoch sind Gruppenkämpfe von Frauen lediglich in Russland dokumentiert, wo mittlerweile die Speerspitze des internationalen Hooliganismus liegt.
Mehrfach traten russische Hools auch mit Kölnern zu Kämpfen an. Zentral für die Verbindung ist der deutsch-russische Hooligan und Neonazi Denis Kapustin – der in Deutschland jahrelang als Denis Nikitin firmierte. Anfang 2017 bekannte er sich in einem Interview mit der ukrainischen Hooligan-Website www.troublemakers.com freimütig zur Kölner Hooliganszene. „Mit den Jungs aus Köln und Dortmund ist eine echte Männerfreundschaft entstanden. Uns verbinden die nationalistischen Ideen.“
Hass und Gewalt
Er ist eine Schlüsselfigur des extrem rechten Hooliganismus in Europa. Denn Kapustin bietet auch außerhalb Russlands Kurse zu Selbstverteidigung und Messerkampf an. Laut des Blogs Ukrainianpolicy.com wurde er 2014 als Redner zu einem Treffen der „London New Right“-Bewegung eingeladen. Zudem verfügt er durch seine 2008 gegründete Neonazi-Kampfsportmarke „White Rex“ („Weißer König“) über Kontakte in die Fanszenen von Legia Warschau sowie Sparta Prag.
Robert Claus, Experte für Hooliganismus, veröffentlichte 2017: „Hooligans – Eine Welt zwischen Fußball, Gewalt und Politik“ im Verlag Die Werkstatt
2011 begann er, Kampfsportturniere zu veranstalten. Die ersten MMA-Qualifikationsturniere namens „Kriegergeist“ fanden in der russischen Provinz statt, anfangs noch in kleinen Räumen mit zehn Kämpfern und 20 Zuschauern. Kapustins Kampfsportreihe wuchs über die Jahre rasant an. Er setzt mit seinem nationalsozialistischen Business, modernen Wehrsportübungen und Veranstaltungsmanagement viel Geld um. Die Vermischung von politischem Hass und rassistischer Gewalt mit der professionalisierten Eventkultur ist zum internationalen Geschäftsmodell geworden.
Nach seinen Erfolgen in Russland baute Kapustin europaweit Kampfsportevents auf. Zu diesem internationalen Netzwerk gehört auch der deutsche „Kampf der Nibelungen“ (KdN). Dieser wurde 2013 erstmals als „Ring der Nibelungen“ von Pfälzer und Dortmunder Neonazis ausgerichtet, seinerzeit noch geheim organisiert, vor weniger als 200 Zuschauer. 2017 kamen erstmals über 500 Gäste, und der KdN ließ sich offiziell als Marke registrieren. 2018 stand „White Rex“ größer auf den Plakaten als der Name des Turniers. Kämpfer und die rund 800 Zuschauer reisten bundesweit sowie aus dem Ausland an. Der KdN ist Teil einer internationalen extrem rechten Kampfsport- und Eventreihe geworden.
Aus seiner extrem rechten Gesinnung macht das Netzwerk indessen keinen Hehl: Auf der Website des KdN wird die Demokratie als faules politisches System diffamiert, gemeinsam mit einer Reihe an europaweiten, extrem rechten Marken vertreibt „White Rex“ sein Merchandise über den Internetversand 2yt4u. Das Kürzel steht für die Lautsprache des englischen Slogans „Too White For You“ („Zu weiß für dich“). Von der Alltagskleidung bis zur Kampfsportausstattung reicht das stattliche Angebot.
Internationales Netzwerk
Seit Herbst 2018 versuchen die Organisatoren zudem Teamfights durchzuführen: Dabei treten kleine Hooligangruppen im Ring an. Offiziell existiert Kampfsport in der Bundesrepublik lediglich als Einzeldisziplin. Sollte es dem KdN gelingen, regelmäßig vierstellige Zuschauermengen anzuziehen und sich mit den Teamfights ein Alleinstellungsmerkmal aufzubauen, dann stößt eine extrem rechte Kampfsportorganisation unter die Top Ten der Veranstalter in Deutschland vor.
Womit die extreme Rechte wieder einmal die generelle Entwicklung der Szene anführt: Hooligans sind keine schlecht organisierten Straßenschläger mehr. Sie haben ein internationales, professionalisiertes Kampfsport- und Geschäftsnetzwerk begründet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestellerautor will in den Bundestag
Nukleare Drohungen
Angst ist ein lautes Gefühl