Geschichte der deutschen Industrie: Ein leicht geschönter Blick
Der BDI hat seine Vergangenheit erforschen lassen. Fehler im Dritten Reich werden nicht geleugnet. Einiges aber bleibt vage.
Fritz Berg ist heute vergessen, war aber eine prägende Figur der Nachkriegszeit: Er gehörte zu den engsten Beratern von Kanzler Adenauer – und war gleichzeitig Chef des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI). Schon diese enge Verknüpfung mit der Macht zeigt: Eine Gesamtdarstellung der BDI-Geschichte lohnt sich.
Sie ist jetzt erschienen, denn der BDI wird an diesem Freitag genau hundert Jahre alt: Am 12. April 1919 wurde der Vorläufer gegründet, der „Reichsverband der Deutschen Industrie“ (RDI). Zwei Historiker wurden daher beauftragt, die Verbandsgeschichte zu erforschen: Johannes Bähr widmete sich der Zeit von 1919 bis 1950; Christopher Kopper war für die Zeit 1950 bis 1990 verantwortlich. Die jüngste Vergangenheit blieb ausgespart, weil Akten meist einer Sperrfrist von dreißig Jahren unterliegen.
Das Buch ist insofern redlich, als es kein historisches Minenfeld auslässt. Klar wird herausgestellt, dass sich der RDI nach Hitlers Machtübernahme „wenig rühmlich“ verhielt, indem beispielsweise schon im April 1933 alle jüdischen Mitarbeiter von ihren Leitungspositionen entfernt wurden. Im Krieg beteiligte man sich selbstverständlich an den „Planungen für einen europäischen Großraum“.
Dennoch wirkt das Buch eigenartig. Zum Teil liegt dies am Gegenstand: Der RDI war nicht mehr und nicht weniger als ein Lobbyverband. Er hatte keinerlei direkten Einfluss. Dies galt auch für die „Reichsgruppe Industrie“, wie der Verband im Dritten Reich hieß. Solange also nur die Reichsgruppe Industrie betrachtet wird, ist es völlig richtig, aber auch nicht gerade erhellend festzustellen, dass es „keine unmittelbare Verantwortung für Kriegsverbrechen“ gab.
Für die einzelnen Mitglieder galt dies natürlich nicht. Jedes Unternehmen beschäftigte Zwangsarbeiter, fast alle beteiligten sich an den Raubzügen im Osten. Aber einzelne Firmen kommen nicht vor in dem Buch: „Da hätten wir ja 800 Seiten schreiben müssen“, rechtfertigte sich Bähr auf der Pressekonferenz. Für kurze Fallbeispiele wäre aber durchaus Platz gewesen. Da sie fehlen, geht auch der Kontext verloren. Unwillkürlich entsteht der Eindruck, als hätte die „Reichsgruppe Industrie“ weitgehend normale Verbandsarbeit betrieben.
War der erste BDI-Chef bei der NSDAP?
Seltsam sind auch einige Details: So kann sich das Buch nicht entscheiden, ob BDI-Präsident Fritz Berg nun NSDAP-Mitglied gewesen war oder nicht. Bähr schreibt, er sei 1937 eingetreten. Bei Kopper steht, dass Berg nie der NSDAP angehört hätte.
Gelegentlich erstaunt auch die Gewichtung in dem Buch. Schlüsselmomente werden zu kurz abgehandelt, sodass ein leicht schiefer Eindruck entsteht. Dies gilt etwa für das berühmt-berüchtigte Treffen von 28 Industriellen mit Hitler am 20. Februar 1933, das nur auf einer knappen Seite gewürdigt wird.
Bereits die Dramatik dieses Moments geht in dem Buch unter: Hitler war zwar schon Reichskanzler, hatte aber seine Macht noch nicht konsolidiert. Außerdem stand am 5. März eine Reichstagswahl an, und die Kassen der NSDAP waren leer.
Also lud Hermann Göring, damals Reichstagspräsident, die Industriellen in seinen Dienstsitz ein. Zunächst hielt Hitler eine 90-minütige Rede, von der es bei Bähr nur heißt, Hitler habe „monologisiert“. Dies ist zweifellos richtig, aber kein Grund, den Inhalt zu verschweigen. Denn Hitler versprach den Unternehmern damals unter anderem, dass er die Demokratie abschaffen und die Gewerkschaften entmachten würde.
Nur wer Hitlers Rede kennt, kann auch das weitere Geschehen einordnen, das bei Bähr dann wieder nachzulesen ist: RDI-Chef Krupp reagierte nämlich begeistert und erklärte, „dass es höchste Zeit sei, endlich einmal in Deutschland Klarheit in innenpolitischen Fragen zu schaffen“.
Die anwesenden Industriellen hatten also nichts dagegen, dass die Demokratie abgeschafft werden sollte. Nur zahlen wollten sie dafür nicht: Sie waren empört, dass sie an diesem 20. Februar 1933 dazu gedrängt wurden, 3 Millionen Reichsmark in die NSDAP-Kasse einzuzahlen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Höfliche Anrede
Siez mich nicht so an
US-Präsidentschaftswahl
50 Gründe, die USA zu lieben
Bundestag reagiert spät auf Hamas-Terror
Durchbruch bei Verhandlungen zu Antisemitismusresolution
Grundsatzpapier des Finanzministers
Lindner setzt die Säge an die Ampel und an die Klimapolitik
Klimaziele der EU in weiter Ferne
Neue Klimaklage gegen Bundesregierung
Serpil Temiz-Unvar
„Seine Angriffe werden weitergehen“