Gescheiterter Neuanfang von RB Leipzig: Blutleere Vorstellungen
RB Leipzig stand seit seiner Erstligazugehörigkeit noch nie so schlecht da. Auch nach der Entlassung von Coach Jesse Marsch hat der Klub noch viele Probleme.
Mehr RB-DNA wagen – das war der Plan im Sommer. Nach dem von Julian Nagelsmann geprägten Ballbesitzfußball sollte dessen Nachfolger Jesse Marsch wieder mehr auf Balljagd und Umschaltfußball setzen. Damit sollte die Renaissance eines Spielstils eingeleitet werden, den Ralf Rangnick einst gewissermaßen als RB-DNA etabliert hatte. Der „Wunschtrainer“ (Geschäftsführer Oliver Mintzlaff) ist seit Sonntag aber schon wieder Geschichte, der Plan gescheitert. Man habe sich „einvernehmlich darauf verständigt, die Zusammenarbeit zu beenden“, heißt es in der Vereinsmitteilung, was aber lediglich eine nettere Formulierung für eine Entlassung ist.
Der offenkundige Grund für die Trennung sind die fehlenden Ergebnisse. Marsch hat es nicht geschafft, Konstanz in die Leistung der überaus talentierten Mannschaft zu bekommen. Neben starken Leistungen (5:0 gegen Brügge, 2:2 gegen Paris St. Germain, 6:0 gegen Hertha BSC) gab es immer wieder auch blutleere Vorstellungen wie das 0:1 gegen Mainz, das 0:2 gegen Hoffenheim und am Freitag das 1:2 gegen Union Berlin.
Im Schneetreiben an der Alten Försterei machten die Spieler nicht mehr den Eindruck, unbedingt für ihren Trainer gewinnen zu wollen. „Bis zuletzt hatte ich die Hoffnung, dass wir nach einem unruhigen Start in die Saison und wechselhaften Auftritten als Gruppe zu mehr Geschlossenheit und Stabilität finden und das sprichwörtliche Ruder herumreißen“, sagte Marsch. „Leider haben wir das nicht geschafft.“
Am Sonntag erzählte Geschäftsführer Mintzlaff beim „Sport1-Doppelpass“, dass auch der Trainer schon länger Zweifel hatte: „Jesse kam schon nach dem siebten und dem zehnten Spiel auf uns zu und sagte: Ich weiß nicht, ob ich der richtige Trainer für die Mannschaft bin. Ich weiß nicht, ob meine Philosophie zur Mannschaft passt.“ Warum die Vereinsführung dennoch an ihm festhielt? Unklar.
Problematischer Umbruch im Sommer
Vielleicht lag es auch daran, dass die Lösung mit Marsch als Nagelsmann-Nachfolger so charmant war: Zuvor hatte der US-Amerikaner schon bei den RB-Filialen in New York und Salzburg gearbeitet, war zudem Co-Trainer unter Spiritus Rector Rangnick gewesen. Jetzt braucht Mintzlaff einen neuen Plan. Roger Schmidt, derzeit Trainer bei PSV Eindhoven, soll laut verschiedenen Medien der heißeste Nachfolgekandidat sein. Auch Schmidt stand schon in Salzburg an der Seitenlinie, war lange in Leverkusen Trainer.
Die derzeitigen Probleme bei RB haben vor allem mit dem enormen Umbruch im Sommer zu tun. Neben Nagelsmann gingen große Teile des „Staffs“, wie es in Leipzig im besten Start-up-Vokabular heißt. Aus dem Betreuerstab wechselte etwa Sportdirektor Markus Krösche zu Eintracht Frankfurt. Sein Arbeitsbereich wurde auf den ehemaligen Springer-Journalisten Florian Scholz und den Technischen Direktor Christopher Vivell aufgeteilt. Im Kader fehlen nach dem späten Abgang von Marcel Sabitzer dessen Fähigkeiten, junge Spieler mitzunehmen. André Silva wurde seinem Status als Topzugang bislang nicht gerecht und durch das längere Fehlen von Dani Olmo mangelt es der Offensive an Kreativität und Spielfreude.
RB steht in seiner sechsten Bundesligasaison so schlecht da wie noch nie. Sieben bis 15 Punkte mehr hatten die Leipziger zu diesem Zeitpunkt in den vorherigen Saisons mehr auf dem Konto. Das Saisonziel „Champions-League-Qualifikation“ gerät in Gefahr, denn Platz vier ist schon sieben Punkte entfernt.
Die Teilnahme an diesem Wettbewerb ist mittlerweile eine wirtschaftliche Notwendigkeit geworden, denn RB ist extrem schnell gewachsen: Über 400 Mitarbeiter beschäftigt der Club, zahlte in der Saison 2019/20 Gehälter von rund 140 Millionen Euro. Ohne Champions League wird RB erstmals sparen müssen. Daher ist das letzte Spiel der Gruppenphase gegen Manchester City am Dienstagabend (18.45 Uhr) auch so wichtig: Mit einem Sieg könnte RB zumindest in der Europa League weiterspielen. An der Seitenlinie wird Achim Beierlorzer stehen. Er soll bis zur Winterpause weitermachen. Zum neuen Jahr sollen dann der neue Trainer und der neue Sportdirektor vorgestellt werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Die Wahrheit
Der erste Schnee